Kapitel hundertsechzehn

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„Wähl den Notruf!" Schrie ich Andrei an, der nur fassungslos um sich herum starrte während ich neben meinen Mann sank.

„Du musst Ruhig bleiben Lena, es ist nicht so schlimm wie es aussieht, es ist nur der Muskel, nicht die Schlagader. Es blutet stark, hörst du? Nimm die Tischdecke, und drück sie auf die Wunde, nicht auf den Hals, hörst du? Nur hier unten auf die Wunde. Es wird alles gut werden, sieh mich an Babe, sieh mir in die Augen, es wird alles gut werden, er hat nicht getroffen." Seine ruhigen Worte in Andreis Geschrei hielten meinen Fokus voll und ganz bei meinem sterbenden und doch befehlsgewohnten Mann. Schnell zog ich die Tischdecke vom Tisch, knüllte eine Ecke zusammen und drückte sei fest auf die Wunde die sich eher am Schlüsselbein als am Hals befand, im Versuch ihm nicht gleichzeitig die Schlagader zuzudrücken. Deutlich spürte ich seinen rasenden Pulsschlag neben meiner Hand. Durch mein Studium wusste ich sehr wohl, dass das dunkle Blut, welches schwallweise aus der Wunde trat, kein Zeichen der Entwarnung war, aber besser als helles, arterielles Blut.

Endlich schien Andrei sich soweit im Griff zu haben, dass ich ihn telefonieren hörte, während er neben Bakscha zusammensackte. „Caspar, Jacob, seid ihr unverletzt?" Rief ich, die Hände und den Blick nicht von meinem Krieger nehmend. „Ja" tönte Caspars dunkle stimme und er eilte zu mir. „Geh vor die Tür, bring sie rein, ich weiß nicht wie schnell die Mediziner hier in Russland sind. Jacob, antworte!"

„Mir geht es gut Ma'am, aber der Katze nicht." Nichts konnte mich weniger interessieren als Koshkas Wohlergehen und so hielt ich den Blick weiter auf Roland, während ich beinah kühl meine Anweisungen sprach. Rolands Ruhe, hatte sich trotz der Tatsache, dass die Menge des Blutes mir sagte, dass sein Leben am seidenen Faden hing, zumindest für den Moment auf mich übertragen.

„Sag ihnen wir brauchen drei Wagen Andrei, sag ihnen drei Notärzte, drei Op-säle, hörst Du? Stich und Schussverletzung, eine vielleicht an der Vene. Was siehst Du bei Koshka Jacob?" Er keuchte. „Eine ihrer Krallen steckt in ihrem Bauch, ich versuche sie dort zu halten, ich weiß nicht wo oder was sie verletzt hat, ich sehe kaum Blut."

Stoisch nickend sah ich flehend auf meinen Krieger. „Kann hier irgendwo ein Hubschrauber landen, Andrei? Wenn ja, sag ihnen wo und das hier gerade ein deutscher Graf mit dem Leben ringt an einer Schussverletzung an einer der Hauptvenen vermutlich, vielleicht hilft ihnen das, sich zu beeilen. Sag ihnen auch, dass Koshka ihre Klinge noch im Bauch hat und halt verdammte scheiße nochmal das Messer in Damians Wunde!" Rolands Blick flackerte und sirupgleich schien die Zeit mit einem Mal durch meine Finger zu sickern.

„Sieh mich an mein Herz, sieh mir in die Augen, Du wirst mich nicht alleine lassen, hörst Du? Ich brauche Dich. Enttäusche mich nicht, Du musst Nachkommen zeugen, Du wirst unsere Kinder aufwachsen sehen, Kinder die das Geschlecht der von Binnenbergs weiter leben lassen, Kinder denen Du beibringst wie man Gitarre spielt. Du wirst hier nicht sterben Roland, nicht hier und nicht so, hörst Du mich?!"

Er reagierte nicht mehr, auch wenn sein Blick noch immer auf mir haftete, sah ich deutlich, wie das Leben daraus zu schwinden begann und begann zu schreien, während meine Hände mehr Druck auszuüben versuchten.

„NEIN!" Eine Hand legte sich auf meine Schulter, doch ich war nicht fähig sie wahrzunehmen. „Sie kommen Lena." Flüsterte Jacob in mein Bewusstsein und tatsächlich...

Endlich hörte ich Sirenen, viele Sirenen die sich näherten und erhöhte den Druck auf die mittlerweile blutgetränkte Tischdecke am Hals meines leblosen Donnergottes.

Als die ersten Rettungskräfte eintrafen triagierten sie sofort, brachten Roland nach einem Blick auf Bakscha zu erst heraus, aber nicht in den Krankenwagen, sondern die Treppen hinauf, in den Helikopter.

Wunsch & WilleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt