Kapitel hunderteinundzwanzig

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⚠️ Triggerwarnung: 

Folter, Psychisch, Physisch, Erbrechen, Zwanghaftes Essen, Kannibalismus⚠️


Die Stimme, die ich aus dem Schrei zu erkennen glaubte zerschmetterte augenblicklich alle meine bisher bewahrte Ruhe und Gelassenheit. Einem brechenden Damm gleich, der viel zu viel Wasser aufgestaut hatte rann die Angst nicht in meinen Körper, sie überrollte mich.

Panisch sprang ich auf die Füße, begann Jules Namen zu kreischen, schrie aus voller Kehle das ich hier war, dass wir das irgendwie schaffen würden und dass er nicht aufgeben durfte. Mit dem Gefühl, meine Lunge würde bersten, brüllte ich auch Caspars und Jacobs Namen, bis sich die Tür neuerlich öffnete und das weiße Fastgrinsen der Maske, die mich auch in Ketten gelegt hatte, mir einen Knebel in den Mund schob und diesen verschloss.

Abermals sprach man kein Wort mit mir, was meine Panik nur noch mehr schürte. Mit Flehen im Blick, versuchte ich mich vor ihm nieder zu knien, hob die Hände und versuchte ihn irgendwie zurückzuhalten, doch es gab keine Reaktion auf mein Handeln. Ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen, wurde ich zurückgelassen wie ich war und ich begann auch in meiner Panik ernsthaft am Verstand meiner Entführer zu zweifeln. Kaum war die Tür ins Schloss gefallen griff ich mir, da meine Hände lose in den Ketten hingen, an den Hinterkopf und erschrak bis ins Mark als eine Stimme ertönte.

Sie sprach deutsch, war männlich, unangenehm hoch, im Versuch einen sanften Klang anzuschlagen und brachte mich allein anhand dessen zum erschaudern. Ich war mir sicher, sie definitiv noch nie gehört zu haben und wandte meinen Blick ängstlich zur Decke, in welcher sich hinter einem kleinen Gitter wohl ein Lautsprecher befand.

„Lena, zwing uns nicht Dich härter zu binden, Du wirst Deine Kraft brauchen, um das hier zu überstehen. Ich bewundere deine Ausdauer und Dein Durchhaltevermögen, auch deinen Ideenreichtum, aber halte uns nicht für dumm. Lass den Knebel wo er ist, sonst müssen wir Dich bestrafen und das sicher nicht auf eine Weise, die Dir gefällt." Das war alles was ich hörte und dann herrschte eine lange, sehr, sehr lange Zeit Stille die meine Panik nur weiter schürte. Wie ein wildes Tier huschte mein Blick durch meine trostlose Zelle, versuchte rasend eine Lösung zu finden, dass sich Jules Schrei nicht wiederholte oder eine Idee davon zu bekommen, warum man uns hier gefangen hielt und was man von uns wollte. Meine Gedanken überschlugen sich, wurden auch nicht langsamer, als das Sonnenlicht erneut über meinen schmutzigen Zellenboden zu kriechen begann, doch musste ich irgendwann eingeschlafen sein. Jedes Gefühl für Zeit verlierend, wusste ich nicht mehr ob es morgens, oder abends war, oder wie lang ich schon in dieser Zelle hockte.

Erst ein weiterer markerschütternden Schrei riss mich aus meinen verzweifelten Gedanken und diesmal traf er mich noch sehr viel unvermittelter, als ich Caspars Stimme darin erkannte. Ihm etwas anzutun, das ihn laut aufschreien ließ, konnte nicht einfach gewesen sein und es trieb mir augenblicklich die Tränen in die Augen. Hecktisch flehend sah ich mich um, suchte die Kameras um hineinblicken zu können, doch ich fand nichts. Ich flehte undeutliche Bitten in den Knebel, meine Freunde in Ruhe zu lassen, dass ich ihnen geben würde, was immer sie wollten, wenn sie nur aufhörten sie zu quälen, doch ich bekam keine weitere Reaktion. Weder erklang die Stimme erneut, noch öffnete sich die Tür und mir blieb nichts, als der Versuch, meine Panik zu bekämpfen, mich auf etwas zu fokussieren, doch wieder und wieder hallte Caspars Schrei durch meinen Kopf. Was konnten sie ihm angetan haben, wie viel Schmerz mussten sie ihm bereiten um IHN, einen so starken Menschen schreien zu lassen, der Jahre der Folter klaglos ertragen hatte?

So sehr mich der Gedanke auch in Angst versetzte, dass gerade er es war, den sie zum schreien brachten, so sehr halt mir die Gewissheit, dass er hier bei mir war, mich zu fokussieren. Mit einem Ruck straffte ich mich, beschloss alles zu tun um unsere Entführer zufrieden zu stellen, in der Hoffnung diesen Laut nie wieder hören zu müssen. Er war verdammtnochmal gebrannt worden, ohne einen Mucks von sich zu geben und ich würde ihnen sicher keinen Grund liefern, ihn erneut schreien zu lassen.

Wunsch & WilleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt