Kapitel sechs

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„Irgendwie wusste ich schon was in dir steckt, als ich meinen Schild zwischen dich und den Haufen Irrer hielt, um dich herausziehen."

Mir wurde heiß und kalt zugleich und ich wusste nicht was mit mir geschah. Wieder begann mein Körper postwendend eine Masse Hormone auszuschütten, die mir vollkommen fremd waren, mich veranlassen wollten die Kontrolle zu verlieren, mich ins wanken brachten, so sehr das ich meine weichen Knie kaum noch beherrschen konnte. Doch ich erhielt auch endlich die Antwort auf meine Frage, ob ich ihn mir nicht nur im Sonnenstich, oder was auch immer das war, eingebildet hatte. Mehr als zwei Wochen nach unserer ersten Begegnung und sehr lauten Zweifeln an meinem eigenen Verstand wollten mir hier und jetzt, zwischen all diesen Gästen Tränen der Erleichterung in die Augen steigen.

Halt!Stopp!" rief mir die Männerstimme eines Memes mir im Geiste zu. Hart und trocken schluckend, hielt ich verbissen den Blick gesenkt und gewann den Kampf.

Das Letzte was ich wollte war, dass er sah wie sehr er mich ins Wanken gebracht hatte, wie unfassbar ich an mir und meiner geistigen Gesundheit gezweifelt hatte, wie verzweifelt ich immer wieder das Telefon angeschrien hatte, das es klingeln solle. Und vor allem nicht, wie verrückt ich nach einem wildfremden Mann war, den ich nicht mehr als 10 Minuten ohne Maske gesehen hatte und vor dem ich mich schämen sollte, für das was ich wohl nun offensichtlich doch mit ihm getan hatte.

Gewannen da etwa doch die Tränen und rannen aus meinen Augenwinkeln? Hastig senkte ich das Haupt noch tiefer, einem trotzigen Kind gleich, das nicht wollte, dass man seinen Trotz sah und das sich dessen schämte. Fest umklammerte ich mein Silbertablett, versuchte mich aus seinem Griff zu entwinden, der noch immer meine Schultern umfasst hielt, um Richtung Küche zu steuern. Nur langsam ließ er mich gewähren, löste aber die Hände auch nur soweit von mir, dass ich mich gerade so zu bewegen vermochte.

„Das kannst du vergessen, nochmal lasse ich dich nicht aus den Augen. Weißt Du wie viele Geschäfte ich abgeklappert habe? Wie oft ich im Bahnhof stand, in der Hoffnung ich würde dich endlich wieder finden? Weißt Du wie lang ich an Theos Bett stand und ihn innerlich angeschriene habe er möge aufwachen und mir sagen wo du wohnst, oder wie Dein Nachname lautet? Hast Du überhaupt nur den Hauch einer Ahnung was Du mit mir angestellt hast?", erklang seine wundervolle, befehlsgewohnte Stimme, für alle hörbar.

Verbissen weigerte ich mich zu antworten. Es war mir unangenehm, das jeder Gast in näherer und weiterer Umgebung seine Worte hören konnte. Erst als wir die Türe zur Küche passiert hatten drehte ich mich mit einem Ruck zu ihm um und schrie mit heiserer Stimme:

„Was ist falsch mit Theo, warum hat er Dir meine Nummer nicht gegeben? Überhaupt warum solltest Du an seinem Bett stehen, was bist Du ein Psycho? Treibt ihr irgendein Spiel miteinander, das ich nicht verstehe? Er hätte Dir doch einfach den Zettel geben können! Weißt Du eigentlich wie sehr ich an mir, der Realität und meinem Verstand gezweifelt habe?"

„Theo liegt im Koma!"

Mitten im Luftholen für das nächste Wort der Schimpftirade erstarrte ich und blicke vollkommen entsetzt zu ihm auf.

„Red kein Scheiß!", stieß ich hervor, während ich ihn fassungslos und mit immer noch tränenden Augen anstarrte. Hinter uns flog, mit einem lauten Knall, eine Tür auf und eine leise aber messerscharfe Stimme schnitt sich in mein Bewusstsein.

„Roland Frederik Gustav von Binnenberg! Du kommst sofort in mein Büro und hast hoffentlich eine sehr triftige Erklärung für diese widerwärtige Verhalten unserem Personal gegenüber!"

Augenblicklich erstarrte Roland, einem kleinen Kind gleich das beim klauen von Bonbons an der Kasse erwischt wurde und ich wurde Zeuge, wie aus einem stattlichen, weit über ein neunzig messendem Krieger, mit wilder Verzweiflung im Blick, ein kleiner Junge wurde, der wie versteinert nur:

Wunsch & WilleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt