Kapitel 154

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Nell's Sicht:
"Was ist nur aus ihm geworden?" murmelte Marco, als ich neben ihm stand und wir beide auf Marcel starrten, der sich auf seine Couch hatte fallen lassen. Ich sah Marco von der Seite an. Er litt. Marcel war immer einer von Marco's besten Freunden gewesen. "Marco, du musst dich nicht wegen seinem Verhalten auf meine oder Mario's Seite schlagen. Jeder verliert mal die Kontrolle über sein Leben." baute ich ihn auf. Eine steile Sorgenfalte erschien auf Marco's Stirn, doch dann schüttelte er den Kopf und setzte wieder den selben zornigen Blick auf, wie zuvor. "Ich kann ihm doch nicht ständig hinter laufen und ihn in Schutz nehmen." fuhr er mich an. Bevor ich etwas erwidern konnte, ging er ein paar Schritte auf Marcel zu. "Hast du Drogen genommen?" ging er er ihm direkt an den Kragen. Marcel antwortete nicht, er war schlicht und ergreifend zu. Ohne ein Wort ging ich in die Küche, nahm ein Glas und füllte es mit Wasser. Ich kehrte damit zur Couch zurück und wollte es Marcel reichen, doch Marco riss es mir aus der Hand und schüttete es Marcel ins Gesicht. "Marco!" mahnte ich und wischte Marcel mit der Hand grob das Wasser weg. Auf einmal packte Marco mein Handgelenk und schubste mich leicht weg. "Fass ihn nicht mehr an, hast du mich verstanden?" fauchte er. Ich sah ihn entgeistert an, doch er konzentrierte sich wieder auf Marcel. "Hast du was aus dem Medikamentenschrank im Quartier geklaut?" wollte er von ihm wissen. "Vielleicht hab ich das, vielleicht nicht." antwortete Marcel langsam. Marco stieß den Atem aus. "Was willst du? Mehr Alkohol? Geld? Was muss ich dir geben, damit du uns die Wahrheit sagst?" knurrte er. Marcel hob die Augenbrauen. "Was ich will? Ich will sie." meinte er und deutete schließlich auf mich. Marco fuhr herum, als würde er erst jetzt festellen, dass ich immernoch da stand. Im nächsten Moment hatte Marco Marcel am Kragen gepackt. "Sie kriegst du aber nicht. Jetzt hör mir mal gut zu: Nell ist für dich Geschichte. Du wirst ihr keinen Schritt mehr näher kommen!" schrie er ihn an. "Und wer sagt das?" presste Marcel hervor. "Das sage ich und darauf solltest du lieber hören!" zischte Marco. "Soll ich mich etwa vor dir fürchten du Lusche?" lallte Marcel. Marco kochte innerlich. Zugegeben, dass Marcel Marco so vorführte, war alles andere als fair, aber Marco würde Gewalt anwenden, und das war die bei Weitem schlechtere Lösung. Ehe ich mich zwischen die Beiden stellen konnte, stieß Marco Marcel heftig zurück. "Mach die Fresse endlich für vernünftige Dinge auf, verdammt nochmal!" rastete er nun aus. Ich stürzte auf ihn zu und zog an seiner Schulter. "Marco, jetzt lass ihn doch, das funktioniert so nicht!" versuchte ich, ihn milde zu stimmen. "Halt dich da raus!" schrie er mich an, fuhr zu mir herum und stieß mir dabei unabsichtlich seinen Ellenbogen in die Rippen. Mit dem plötzlichen Schlag bekam ich einen Moment gar keine Luft, dann raufte ich mich zusammen und verbarg den Schmerz. "Ich halte mich da nicht aus! Die Freundschaft zwischen dir und Marcel geht mich nichts an und glaub mir, ich will auch gar nichts wissen. Aber weißt du was dich nichts angeht? Wenn genau dieser Typ nunmal Gefühle für mich hat. Er tut mir leid, weil ich seine Gefühle nicht erwidere! Er macht sich doch schon kaputt! Willst du ihm genau dabei auch noch helfen?" fuhr ich ihn an. Nur langsam wandte Marco mir sein Gesicht zu. "Wenn man jemanden nicht mehr liebt, ist er einem doch egal. Warum sehe ich dann, dass er dir nicht egal ist?" fragte mich Marco und deutete mit einer etwas abfälligen Bewegung auf Marcel. Ich legte den Kopf schräg und kniff die Augen leicht zusammen. "Wenn du glaubst, ich würde Mario heiraten, obwohl ich noch etwas für einen Anderen empfinde, dann hast du wirklich keine Ahnung." murrte ich. Marco blinzelte. "Du kannst deinen Ex-besten-Freund ja weiter zusammen schlagen, aber ohne mich. Mach endlich die Augen auf, Marco." sagte ich leise und wandte mich ab, um zu verschwinden. Marco griff nach meinem Handgelenk. "Nell bitte, lass mich jetzt nicht stehen. Wir streiten uns so oft in letzter Zeit..." flehte er. Ich riss meine Hand los und sah ihm in die Augen. "Frag dich mal, warum." raunte ich ihm zu und verschwand endgültig aus dieser Wohnung. Die Morgendämmerung färbte den Himmel in ein unbehagliches grau, während sich die Sonne am Horizont hoch zog. Mein Blick fiel auf den Roller, mit dem wir gekommen waren. Einige hundert Meter weiter sah ich einen Bus auf die mir nahe gelegene Bushaltestelle zufahren. Ich lief dorthin und stieg in den Bus. Der Busfahrer starrte mir grimmig entgegen. Ich tastete in meinen Hosentaschen nach Münzgeld, aber auffinden konnte ich nur Luft. "Ich habe einen Zeitplan, Mädchen." drängte der miesepetrige Mann hinter dem Steuer. Ich trug immer noch Marco's Jacke. Mit einem Griff in deren Tasche, spürte ich sein Portmonnaie unter meinen Fingern. Nie hätte ich mit seinem Geld bezahlt, trotzdem zog ich es heraus. Beim Öffnen klappte ein Fach auf. Wo andere Menschen den Ehepartner oder Kinder auf einem Foto verewigt hatten, prangte bei Marco nur ein Bild mit drei Gesichtern. Mario links, Marco rechts und ich in der Mitte. "Wird's bald? Ansonsten kann ich dir nämlich nicht helfen." murrte der Busfahrer wieder. "Das glaube ich auch." murmelte ich, klappte das Portmonnaie zu und trat wieder auf den Bürgersteig. Den Geldbeutel an die Brust gedrückt, setzte ich mich in Bewegung und ging zurück. Bei Marcel angekommen, betrat ich das Treppenhaus und drückte ungeduldig auf den Knopf das Fahrstuhls. Er war ganz oben. Starrend verfolgte ich die Anzeige, deren Stockwerkanzahl sank. Mit einem leisen Klingeln schepperten die Türen und öffneten sich dann. Ich wollte reinstürmen, die Person darin wollte raus. Und dann standen wir uns gegenüber. Marco schlang einen Arm um meinen Körper, mit der anderen Hand umschloss er meinen Hinterkopf und drückte mich fest an sich. "Nell, Gott sei Dank! Ich dachte, du wärst abgehauen." stieß Marco erleichtert hervor. Ich sagte nichts, hob nur langsam meine Arme und legte sie um seinen Oberkörper. "Es tut mir leid." flüsterten wir schließlich synchron. Ich löste mich von ihm und sah hoch. "Ich war vorhin etwas hart. Eigentlich hast du Recht. Marcel verdient einen Arschtritt und es ist auch-..." "Shh." unterbrach mich Marco und lächelte mich sanft an. "Ich konnte Marcel eine Antwort entlocken." fuhr er fort. Ich versuchte, möglichst gelassen auszusehen, trotzdem hatte ich Angst vor der Methode, wie er Marcel zum Reden gebracht hatte. "Wir haben geredet. Gewalt ist keine Lösung, das sollte auch ich langsam verstehen. Und nachdem du uns hast stehen lassen, sind wir beide weich geworden." berichtete er mir. "Ist das gut oder schlecht?" fragte ich leise. "Such's dir aus." meinte Marco. Er griff in seine Hosentasche, dann kam eine Schachtel Tabletten zum Vorschein. Ich atmete geräuschvoll aus. "Er hat sie wirklich genommen." Marco nickte langsam. "Willst du ihn anzeigen?" Ich zögerte und sah Marco an. "Soll ich das denn?" fragte ich ihn. "Er... er hat sie ja wieder rausgerückt, bevor du in Schwierigkeiten kommen konntest." meinte er mit einem leicht fragenden Unterton. Ich lächelte leicht. "Ihr müsst ja echt ziemlich weich geworden sein, wenn du ihn jetzt wieder verteidigst." stellte ich fest. Marco senkte kurz den Blick. Ich wusste genau, was er dachte. "Ich habe einen Kriminellen, einen Mörder, der mich jahrelang geschlagen hat, sehr lange als meinen Vater bezeichnet. Du brauchst dich dich nicht dafür zu schämen, dass Marcel dein Freund ist." machte ich ihm klar. Ein Hauch von Verbitterung huschte über sein Gesicht. "Tut mir leid, wie grob ich vorhin zu dir war. Eigentlich sollte man dich ganz dick in Watte packen, damit-..." "Ruhe jetzt. Vergleich dich nie wieder mit meinem... Erzeuger. Hast du mich verstanden?" unterbrach ich ihn. Ich glaubte, Mitleid in seinem Blick zu erkennen. Er nickte nur. "Warum bist du überhaupt zurück gekommen?" wollte er nun wissen. "Weil du voll süß bist." säuselte ich. Marco sah mich förmlich entsetzt an. "Süß? So niedlich-süß?! Hast du 'nen Knall?" meinte er empört. Ich zog daraufhin sein Portmonnaie aus der Tasche und hielt ihm das Foto entgegen. Er sah es nur kurz an und riss es mir dann aus der Hand, um daraufhin grimmig den Blick zu senken. Ich schob grinsend sein Kinn hoch. "Du wirst rot!" lachte ich. "Weißt du was ich mit Herrn Superdaddy gemeinsam habe? Ich werde genauso hübsche Kinder zeugen." entgegnete Marco und knuffte mir in die Wange. "Du wirst rot! Hihihihihi!" äffte mich Marco nach und fuchtelte dabei wie blöd mit den Händen herum. "Ich wusste gar nicht, dass du Samenspender werden willst. Oder kommt da etwa noch 'ne Frau dazu?" ärgerte ich ihn. Seine Mundwinkel sanken. "Miese Ratte." presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und lief Richtung Tür. "Hey, warte!" rief ich ihm hinterher. Da er sich aber nicht mehr umdrehte, sorang ich ihm einfach auf den Rücken und schlang die Arme um seinen Hals. Er ächzte erstmal unter meinem Gewicht, bevor er meine Beine um seine Hüften schlang und mich so Huckepack trug. "Was ist los Opa? Bin ich dir zu schwer? Mario trägt mich mit Leichtigkeit." neckte ich ihn. "Wahrscheinlich hat Mario mehr Eigengewicht um sich aufrecht zu halten." entgegnete Marco. Ich schlug ihm auf den Rücken. "So schwer bin ich nun auch nicht!" rechtfertigte ich mich. Marco setzte mich mit einem erleichterten Stöhnen vor unserem Roller ab und drehte sich dann um. "Du wiegst weniger als 'n Sixpack Bier. Iss mal was, Kleines." sagte er nun. Ich hob eine Augenbraue und verschränkte die Arme. "Und was machst du dann so ein Drama?" wollte ich wissen. "Weil es auch nicht gerade angenehm ist, wenn man einen Sixpack in den Rücken geworfen bekommt." vermittelte er mir mit völliger Ernsthaftigkeit und reichte mir meinen Helm. Ich schnitt nur eine Grimasse, als er sich abwandte. Wir stiegen auf und fuhren zurück. Beinahe fielen mir an Marco's warmem Rücken die Augen zu, als wir langsamer wurden. Ich hob den Kopf. Wir waren gar nicht am Quartier. "Wo sind wir?" fragte ich über seine Schulter. "Ich will dir etwas zeigen." gab Marco zurück. Er parkte am Straßenrand und zerrte an meiner Hand, bevor ich überhaupt abgestiegen war. Als ich auf dem Bprgersteig stand, zog er mich zu einem Schaufenster. "Ein Brautmodengeschäft?" fragte ich überrascht, als ich die vielen Kleider sah. "Ja aber schau. Da hinten." meinte er und deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger in den Laden. Ich folgte seiner Andeutung. "Wow." sagte ich nur, als ich ein paar wenige Kleider sah, die sich von den anderen abhoben. "Das sind alles Unikate. Wenn du eins davon hast, hast nur du es. Maßgeschneidert." schwärmte Marco. Ich ging näher an das Schaufenster heran und betrachtete die Brautkleider etwas genauer. "Ich muss hier mit Sarah rein." beschloss ich, worauf die Scheibe vor meinem Gesicht anlief. Ich wandte mich Marco zu, der grinste wie ein Honigkuchenpferd. "Und deshalb ist der Laden auch für die nächsten drei Tage ab 15 Uhr auf die zukünftige Frau Götze vorbereitet." verkündete er. "Das hast du nicht ernsthaft gemacht." sprach ich. Marco zuckte mit den Augenbrauen auf und ab. Ich fiel ihm um den Hals. "Und ich dachte du wirst der verplanteste Trauzeuge aller Zeiten." Lachend erwiderte er die Umarmung. "Ich überrasche doch immer wieder, was?" grinste er. Sein Grinsen verwandelte sich in ein konzentriertes Starren, als sein Handy klingelte. Es kam aus seiner Jacke, die ich immernoch trug. Ich öffnete die Tasche, zog das Handy heraus und reichte es ihm, ohne einen Blick darauf zu werfen. "Na super. Wenn du nicht bei ihm bist, wacht er viel früher auf." murmelte Marco und nahm den Anruf daraufhin an. "Mario, was gibt's?" begrüßte er ihn seufzend. Ich starrte zu Marco hoch. Als er den Blick erwiderte und meinen verunsicherten Gesichtsausdruck erkannte, lächelte er mir aufmunternd zu und legte abwesend eine Hand auf meine Schulter. "Mario. Maaario, hallo. Jetzt beruhige dich doch mal. Nell ist bei mir und wir sind unterwegs." erklärte Marco ungeduldig. Mit einem genervten Stöhnen hielt er mir nun sein Handy unter die Nase. Ich nahm es entgegen. "Mario?" fragte ich ins Telefon. "Wo steckst du?" "Ich bin mit Marco in der Stadt, er wollte mir etwas zeigen." Es war nicht gelogen. Es war nur nicht alles. "Zeigen? Was... egal. Nell, du musst zurückkommen. Jogi setzt gerade alles daran, dich zu finden. Es gibt wohl irgendwelche Probleme mit dem Medikamentenbestand." berichtete er mir. Mir gefror das Blut in den Adern. "Probleme?" wiederholte ich, in der Hoffnung, Mario würde meine brüchige Stimme nicht bemerken. "Ja, da kam so ein Lieferant, der die Vorräte aufgefüllt hat und da schien irgendwas nicht zu stimmen." erzählte er mir. "Okay, ich komme so schnell wie möglich." nuschelte ich und drückte Marco das Handy in die Hand. Dieser legte einfach auf. "Was ist?" wollte Marco von mir wissen. "Ich bin im Arsch. Löw hat die fehlende Schachtel bemerkt." sagte ich. Schockiert sog Marco die Luft ein. "Wir finden schon eine Ausrede." wollte er mich halbherzig beruhigen. "Eine Ausrede? Wie willst du Medikamentenklau denn erklären? Ich muss die Wahrheit sagen. Sowohl vor Mario, als auch vor Jogi." erwiderte ich. Marco sagte nichts, er starrte grimmig auf den Boden. "Lass uns losfahren." murmelte er schließlich und stieg auf den Roller. Ich tat es ihm nach. Während der Fahrt versuchte ich, mich auf jegliches Szenario vorzubereiten. Ein Streit mit Mario wäre auf jeden Fall drin. Ebenso wie eine Standpauke von Löw...wenn nicht Schlimmeres. Als wir in die Tiefgarage fuhren, ging es mir noch schlechter. Diesmal betätigte Marco auch den Schalter für die Schranke. Wir stiegen ab, ich gab Marco seine Jacke zurück, dann stiegen wir in den Aufzug. Was dann passierte, hatte ich beinahe erwartet. Der Lautsprecher sprang an. "Elena. In mein Büro. Sofort." erklang Jogi's kalte Stimme. Ich sah Marco an, doch er erwiderte meinen Blick nicht. "Gibst du mir die Tabletten?" bat ich, was er auch tat. Aber auch das ohne mich eines Blickes zu würdigen. Als die Fahrstuhltüren sich öffneten, lief ich zügigen Schrittes davon. "Setzen." begrüßte mich Jogi. Durch den Lautsprecher hatte seine Stimme deutlich angespannter gewirkt, aber das konnte sich schlagartig ändern. "Weißt du, worum es geht?" fragte er mich. Ich zögerte und legte schließlich die Schachtel auf den Tisch. Er nahm sie, öffnete sie und prüfte den Inhalt. "Was hatte dieses Medikament außerhalb des dafür vorgesehenen Schrankes zu suchen?" wollte er wissen. Ich zögerte. Gerade als ich antworten wollte, schwang die Tür auf. "Es ist meine Schuld." Ich zuckte zusammen, als ich diese Worte aus Marco's Mund hörte. Ich drehte mich kein einziges Mal um, bis er die Hände auf die Rückenlehne meines Stuhls stützte. "Nein, das ist-..." wollte ich wiedersprechen, als Marco meine Schulter drückte, und das so fest, dass ich es gar nicht wagte, den Mund auf zu machen. "Sie will mich verteidigen. Sie wissen, dass wir gut befreundet sind und ich bin wohl einer der wenigen, der problemlos an ihre Schlüssel ran kommt." begann Marco. Nein. Ich wollte erneut widersprechen, doch Marco's Hand drückte nur fester zu. Ich biss mir vor Schmerz auf die Unterlippe. "Ich wollte mir eigentlich nur Kopfschmerztabletten nehmen. Aber da die normalen bei mir so gut wie keine Wirkung zeigen, habe ich nach denen daneben gegriffen." erzählte Marco ruhig. Das glaubt er nie. "Ist dir bewusst, dass das ganz andere Sachen bewirkt, als Kopfschmerzen zu bekämpfen?" fragte er an Marco gewandt. Er nahm es ihm tatsächlich ab. "Jetzt schon. Sobald sie das Verschwinden bemerkt hat, hat sie es mir abgenommen und erklärt." antwortete Marco. Ich senkte den Blick. Noch einen Moment spürte ich Löw's Blick auf mir, dann erhob er sich. "Ich denke, das wird keine Konsequenzen mit sich ziehen. Passt aber in Zukunft auf." meinte er, nahm die Schachtel und verließ das Büro. Ich saß reglos da. Langsam verringerte Marco den Druck auf meine Schultern. Er atmete tief durch und ließ sich auf die Armlehne des Sessels neben mir sinken. "Du hast was gut bei mir." murmelte ich schließlich. Ich spürte Marco's durchdringenden Blick von der Seite. Schließlich rang ich mich dazu durch, ihn anzusehen. "Danke." schob ich hinterher. Ein Lächeln huschte über seine Lippen. "Noch eine Trennung zwischen dir und Mario hätte mein Herz nicht verkraftet." scherzte er. Nur kurz konnte ich darüber schmunzeln. "Du bist auch kein unbeschriebenes Blatt. Nach der Sache mit deinem Führerschein hättest du nach der Aktion genauso rausfliegen können wie ich. Du hast gerade deine Karriere für mich riskiert." sagte ich. "Hätte ich das vorher so betrachtet, hätte ich es wahrscheinlich nicht sofort gemacht. Aber ich hätte es gemacht. Trotzdem." meinte er lachend. "Ich gehe es Mario sagen." verkündete ich. "Weißt du, was du ihm sagen wirst? Genau das, was ich Löw erzählt habe. Nichts anderes. Du hast selbst gesagt, dass Marcel Geschichte ist. Also ist es unwichtig, oder? Mario wird nur unnötig eifersüchtig, willst du das?" redete er auf mich ein. "Nein, aber-..." "Nichts aber." unterbrach er mich, bevor sein Gesichtsausdruck weicher wurde und er mit einfühlsamem Tonfall fort fuhr. "Sag es ihm nicht, Nell. Er ist glücklich, plant eure Hochzeit in Hochtouren und nebenbei soll er sich auch noch auf die Länderspiele vorbereiten..." Ich sah auf meine Hände. "Und was soll ich ihm stattdessen sagen?" fragte ich vorsichtig. Marco schien erleichtert, dass ich auf seine Meinung einging. "Sag ihm einfach, dass du eben mit mir unterwegs warst, weil ich dich mit dem Brautmodengeschäft überrascht habe. Den Rest kann ich übernehmen." bot er an. Ich nickte langsam. Einige Sekunden blieb ich sitzen, in denen mich Marco prüfend musterte. Das Klopfen an der Türe ließ mich hochschrecken. Ich starrte auf die Tür, die sich kurz darauf öffnete. Mario stand wie gerufen da und versicherte sich mit einem kurzen Blick, dass Jogi nicht anwesend war. Ich erhob mich ruckartig und marschierte steif Richtung Tür. Kaum einen Blick wagte ich in Mario's Gesicht. Als ich direkt an ihm vorbei ging, ließ ich meine Hand von seiner Brust bis zu seiner Schulter wandern. Ein kurzes, tapferes Lächeln schenkte ich ihm, dann verließ ich den Raum, schloss die Tür und atmete tief durch. "Warum ist sie denn so seltsam drauf? Hat Löw irgendwas gesagt?" hörte ich gedämpft Mario's Stimme. Ich legte meine Wange an die Tür und lauschte. "Sie hat mir eine kleine Standpauke gehalten, weil ich Tabletten aus dem Medikamentenschrank genommen habe, die ich mir eigentlich von ihr hätte verschreiben lassen sollen. Löw hat das Fehlen bemerkt und wollte sie dafür verantwortlich machen, aber ich habe die Wahrheit gesagt." erzählte Marco. Beim Ansprechen der Wahrheit bekam ich einen dicken Kloß im Hals. "Nell, was machst du da?" Ich wirbelte herum und versuchte, meinen ertappten Blick vor meinem Bruder zu verbergen. Neben ihm stand Miro, der mich einfach nur ansah. Sind denn in diesem Gebäude immer alle zufällig da, wo sie nicht sein sollen?! "Nichts ich... Mario und Marco reden über die Hochzeit, ich wollte wissen, worum es geht." Super, wie oft willst du heute noch lügen? Manu und Miro lachten. "Typisch Schwesterchen, du kannst es einfach nicht erwarten." meinte Manu. Ich setzte ein Lächeln auf. "Ist Sarah zu Hause?" wollte ich wissen. Augenblicklich veränderte sich Manu's Miene. "Die geht mir aus dem Weg. Ich weiß nicht, was mit ihr los ist, sie verkriecht sich total." murmelte er. Natürlich wusste ich, warum. "Weißt du was? Ich gehe sie besuchen. Frauengespräche, du verstehst?" grinste ich schelmisch. "Liebend gerne, vielleicht rückt sie dann endlich mit ihrem Geheimnis raus." entgegnete Manu. Ich zeigte ihm meinen erhobenen Daumen, ging an ihnen vorbei und lief durch den Gang auf mein Zimmer zu. Gerade als ich die Tür öffnete, schlangen sich starke Arme von hinten um mich und Mario's Lippen streiften meinen Nacken. "Wo will meine Verlobte denn schon wieder hin?" grinste er an meiner Haut. "Hmm, vielleicht vor dir wegrennen, weil du so besitzergreifend bist?" scherzte ich, löste mich aus seinen Armen und betrat mein Zimmer. Dabei ließ ich die Tür offen, worauf Mario mir direkt folgte. "Besitzergreifend? Weib, du hast in meinem Bette zu nächtigen!" meinte er, womit er mich zum Lachen brachte. Ich griff nach meinem Handy, das auf dem Bett lag und drehte mich wieder zu ihm um. "Dein Weib muss erstmal für die entsprechende Gaderobe für unsere Hochzeit sorgen, bevor sie in deinem Bette nächtigt und da ganz nebenbei noch in deine Dienste tritt." erklärte ich ihm, während ich eine Nachricht an Sarah eintippte. Ohne dass ich seine Bewegung registriert hatte, tauchte et wieder hinter mir auf und linste über meine Schulter. "Saridubibu, ich nudel mal bei dir vorbei, ja?" las er die Nachricht ungläubig vor. Lachend legte ich den Kopf auf seine Schulter. "Nur weil bei euch alles aus 'Alter, Bro und Diggah' besteht, müssen wir Frauen nicht in korrektem Deutsch kommunizieren." rechtfertigte ich mich. Mario sah mich an. "Aha. Und wie verkündet Sarah Manu die frohe Botschaft? 'Manubububibi wir bekommen Zwullidudeldudibubbeldus'?"

Liebe stirbt nicht {Mario Götze u.A.}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt