Kapitel 112

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Nell's Sicht:

Eine Tür öffnete und schloss sich wieder. Ich kippte wohl für einen Moment wieder weg, denn ich bekam nicht mit, wer die Person war, die den Raum betreten hatte. Ich wusste nicht, wie viel Zeit verging, bis ich leise Stimmen vernahm. "Denkst du sie will mich überhaupt sehen?" sagte jemand. War das Mario? Ja, vermutlich. "Laber keinen Scheiß. Nur wegen dieses dummen Streits liebt sie dich doch trotzdem." Das klang nach Marco. "Aber wenn wir uns nicht gestritten hätten, wäre sie bei mir im Stadion gewesen und das alles wäre nicht passiert." zweifelte Mario wieder. Ich wollte meine Augen öffnen und endlich herausfinden, wo ich mich befand, doch keiner meiner Muskeln wollte mir gehorchen. Plötzlich mischte sich noch eine dritte Stimme ein. "Naja, indirekt hat er ja Recht." hörte ich Manu's grimmige Stimme. Ich konnte mir genau Mario's schuldbewussten und Marco's drohenden Blick vorstellen. Es klopfte an der Tür. "Herein?" bat Manu. Die Tür öffnete sich. "Wie geht es ihr?" erkundigte sich mein Vater. Jemand erhob sich ruckartig von einem Stuhl. Dieser Jemand war des Besuchs meines Vaters nach zu urteilen wohl Manu. "Was willst du hier?" fragte Manu gereizt. "Manuel, ich möchte zu meiner Tochter. Du kannst mir das nicht verbieten." erwiderte mein Vater ruhig. "Und wie ich das kann." zischte Manu. Wenn ich könnte, hätte ich jetzt genervt aufgestöhnt. Zwischen guten Freunden sollte es ja so etwas wie Gedankenübertragung geben, weswegen im nächsten Augenblick Marco aufstand. "Macht nicht so einen Aufstand. Wenn sie aufwacht, hat sie Stress wohl am allerwenigsten nötig." beschwerte er sich. Irgendetwas passierte in Form von Mimik, was ich nicht mitbekam. "Wir lassen euch mal allein." meinte Marco und wenig später schloss sich die Tür und es war wieder totenstill. Ich erschrak ziemlich, als Mario plötzlich meine Hand nahm. Trotzdem wagte ich es nicht, mich zu bewegen. "Seit du mich kennst landest du öfter im Krankenhaus, als jemand anderes in seinem kompletten Leben." seufzte er und streichelte dabei mit dem Daumen über meinen Handrücken. Ich war im Krankenhaus? "Es tut mir leid." schob er hinterher. Er ließ den Kopf hängen, wobei seine Haare mich kitzelten. Ich sehnte mich nach seiner Nähe, aber mein Körper wollte mir weiter nicht gehorchen. Mario lachte leise auf. "Soll ich dich jetzt wieder küssen, damit du aufwachst?" scherzte er. Ja!, schrie ich innerlich. Seine Hand löste sich von meiner und er erhob sich. Nein! Nein, geh nicht!, wollte ich ihm sagen. Ich war so verzweifelt, dass mein Körper doch eine Reaktion zeigte. Eine kleine Träne huschte zwischen meinen Wimpern durch. Sofort lag Mario's warme Hand an meiner Wange. "Nell? Süße, bist du wach?" fragte er leise. Streng dich an, verdammt!, befahl ich mir selbst. "Ma-..." krächzte ich. Augenblicklich begann Mario, meine Wange zu streicheln. "Shhht. Du musst nichts sagen." Sein Atem streifte meine Haut und er senkte seine Lippen vorsichtig auf meine. Der Kuss schien mir wieder Leben einzuhauchen. Ich hob meine Hände, welche aus Gewohnheit sofort Mario's Nacken fanden. Ich zog ihn näher zu mir. Er verlor das Gleichgewicht und musste sich mit der einen Hand neben meiner Schulter abstützen. Dabei lachte er leise auf. "Süße, ein Krankenhaus ist kein guter Ort für Versöhnungssex." scherzte er. Ich musste lächeln. "Du bist..." setzte ich krächzend an, doch ausgerechnet da wollten meine Stimmbänder nicht mehr. "...verdammt sexy. Ich weiß." Seine Lippen streiften noch einmal meine. Dann löste er sich von mir. Ich brachte jetzt endlich auch meine Augen geöffnet, hatte aber Kopfschmerzen. "Ich muss...dich...fragen." brachte ich hervor. "Du musst jetzt gar nichts." beschwichtigte er. "Aber..." "Nichts aber. Ich hol jetzt einen Arzt und deinen Bruder." verkündete er und ging zur Tür. "Habt ihr gegen Irland gewonnen?" sprach ich jetzt trotzdem meine Frage aus. Er seufzte. "Unentschieden." sagte er dann. Ich nickte nur, worauf er verschwand. Wenig später kam Manu herein und setzte sich an die Bettkante. Er strich mir vorsichtig über das Haar. "Alles in Ordnung, Schwesterchen?" wollte er wissen. Es war inzwischen selten geworden, dass wir mal Gespräche führten. "Es geht." brachte ich geradeso heraus, als mir einfiel, dass meine Stimme noch nicht so mitmachte. "Möchtest du was trinken?" bot er an. Ich nickte dankbar, worauf er sich erhob und ein Glas Wasser einschenkte. Er reichte es mir vorsichtig und ich trank ein paar kleine Schlucke. Dann räusperte ich mich. "Dad ist hier, oder?" sprach ich Manu dann auf das an, was ich eben gehört hatte. Er wich meinem Blick aus und knetete nervös seine Finger. "Nell, versteh mich doch. Er hat dich geschlagen, er hat mich geschlagen und er wird sich nicht ändern. Ich möchte nicht, dass überhaupt die Chance besteht, dass es wieder dazu kommt." meinte er beinahe verzweifelt. Ich griff nach seiner Hand. "Ich verstehe dich sehr wohl. Aber du merkst doch selbst, dass Mario, Marco und du nicht rund um die Uhr bei mir sein könnt. Dad könnte mir ein Wenig Gesellschaft leisten, wenn ihr zu tun habt." versuchte ich ihn zu überzeugen. "Ich guck mal, wo der Arzt bleibt." lenkte er ab. "Manu, er kann nichts dafür, dass Mum tot ist." sagte ich leise, bevor er abhauen konnte. Er wandte sich mir noch einmal zu. Ich wusste, dass er unserem Vater immer die Schuld am Tod unserer Mutter gegeben hatte. "Das weißt du nicht." murmelte er und öffnete die Tür. "Du hälst deinen eigenen Vater für einen Mörder?" rief ich ihm hinterher. Er antwortete nicht und ließ die Tür hinter sich zu fallen. Keine Antwort war eben auch eine Antwort. Und deshalb war es für mich irgendwie auch eine Genugtuung gegenüber Manu, meinem Vater eine Chance zu geben. Es dauerte eine Weile, bis der Arzt kam und mir sagte, ich hätte eine leichte Gehirnerschütterung. Marco, der selbst noch nicht wirklich frisch aussah, erzählte mir, dass Schiebler irgendwie wieder entwischen konnte. "Das darf doch nicht war sein, verdammt! Woe schafft es dieser Arsch eigentlich immer wieder, so plötzlich aufzutauchen und zu verschwinden?!" regte ich mich daraufhin auf. Ich merkte selbst, dass es mir nicht gut tat, mich so hineinzusteigern, aber ich konnte einfach nicht ruhig bleiben. "Nell, jetzt komm mal runter. Es bringt nichts, sich so aufzuregen." meinte Marco. "Es regt mich zum Teufel nochmal aber auf! Dich hat er doch auch niedergeprügelt!" rechtfertigte ich mich. "Nell, bitte..." mischte sich auch Manu ein. Alle drei standen vor meinem Bett und hörten sich mein Geschreie an. "Nichts bitte! Ihr habt selbst gesagt, dass das zu viel für mich ist, wie könnt ihr so ruhig bleiben?!" plapperte ich weiter. Manu und Marco warfen Mario einen vielsagenden Blick zu. "Na los, stell sie ruhig." forderte Manu. Ich wusste, was jetzt kam. "Leute, ich meins ernst!" sagte ich wieder. Nach einem weiteren Blickwechsel kam Mario auf mich zu, beugte sich herunter und küsste mich leidenschaftlich. Ich konnte machen, was ich wollte, das würde mich immer ruhig stellen. Und vor allem jetzt, da ich Mario für meine Verhältnisse lange nicht bei mir hatte, konnte ich einfach nicht widerstehen. Ich erwiderte den Kuss jetzt. Ehe ich mich versah, wurde bereits ein Zungenkuss daraus. Marco lachte bereits, aber es war mir egal. Und Mario schien ebenso zu denken.
Mario's Sicht:

Wenn sie wüsste, dass ich genau hier und genau jetzt gerne weitergehen würde... Ich hatte so ein ziehendes Gefühl im Bauch. Mich zog es zu ihr. "Ich liebe dich." flüsterte sie mir kurz zu. Sie war total außer Atem und wollte sich kaum von meinen Lippen lösen. "Ich dich auch, Nell." gab ich zurück. Es war plötzlich so still. Ich löste mich komplett von ihr. Manu und Marco waren weg. An Fußende von Nell's Bett lag ein Zettel. "Wenn ihr dann miteinander fertig seid, könnt ihr so langsam nach Hause." las ich laut vor. "Seh ich auch so." grinste Nell. Ich war mir bei ihr irgendwie nie so sicher, ob sie Schiebler - der schon an einen Stalker grenzte - wirklich so ausblenden konnte, oder ob sie sich einfach nur versuchte abzulenken. Trotzdem machte ich einfach weiter wie bisher. Etwa eine Stunde später wurde sie endgültig entlassen und durfte nach Hause. Sie hatte sich bei mir unter und so liefen wir zu meinem Auto. Es war bereits Nacht und stockdunkel. Somit erschraken wir auch schrecklich, als plötzlich eine Person schnellen Schrittes auf uns zuhastete. Es war Nell's Vater. "Elena, es tut mir leid, Manuel wollte mich nicht zu dir lassen. Wie geht es dir?" erkundigte er sich scheinbar besorgt. Ich warf Nell einen Blick zu. "Ist schon okay, lass uns kurz allein." las sie meine Gedanken. "Ich hol das Auto her." verkündete ich und entfernte mich langsam. Eigentlich interessierte es mich schon, was die beiden besprachen, aber unser letzter Streit war ja auch durch das Thema Ehrlichkeit entschieden und ich wusste nicht, wie gut dieser Kratzer bei Nell verheilt war, also riskierte ich es nicht und holte wirklich das Auto. Dass sie mir von sich aus nicht erzählte, was los war, als sie wiederkam, machte mich dennoch ein Wenig misstrauisch...

Liebe stirbt nicht {Mario Götze u.A.}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt