Kapitel 129

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Marcel's Sicht:

Bin ich ein Vampir oder was? Gott, wie sehr musste ich das Verlangen unterdrücken, ihr einfach in den zarten Hals zu beißen. Ich war echt verrückt. Vielleicht auch verrückt nach ihr. Aber nur ein kleines Bisschen. Ein winziges Bisschen! Und da redete sie von Vertrauen... Ich hatte ihr ein heißes Bad eingelassen, weil sie sich einfach nur schlapp fühlte. Aber jetzt stand ich voller Ungeduld vor meiner verschlossenen Badezimmertür. Weil ich Marco eigentlich versprochen hatte, dafür zu sorgen, dass sie ins Quartier kam. Apropos Marco... Ich hatte nicht wie angekündigt nochmal zurückgerufen. Die Angst, dass er Fragen stellte, etwa nach dem, was nach ihrem Suizidversuch passiert war, war einfach zu groß. Man, das konnte doch nicht sein! Sie war jetzt schon fast zwei Stunden da drin! Für das Quartier war sie sowieso spät dran, aber das war nun das kleinste Problem. Sie würde doch wohl nicht irgendetwas finden, womit sie es erneut versuchen konnte. Jetzt wurde ich wieder nervöser. Ich richtete mich am Türrahmen auf und hob meine Hand zum Klopfen. Die Tür war überhaupt nicht abgeschlossen. Äh hallo? Marcel, es ist doch dein Badezimmer, da darfst du rein wann immer du willst, meckerte die Stimme in meinem Kopf mal wieder. Ohne weiter nachzudenken stieß ich die Tür auf und trat ein. Da saß sie. An die Badewanne gelehnt auf dem Boden und den Kopf in den Armen vergraben, die sie um die Knie geschlungen hatte. Das einzige, was sie trug, war ein weißer Bademantel von mir. Der war ihr aber zu groß, sodass er an einer Schulter einfach herunter gerutscht war und ihre halbe Brust freilegte. Ich hatte sie zwar gestern schon nur im BH gesehen, aber ich sog ihren Anblick trotzdem förmlich in mich auf. Sie war so hübsch. Und ihr Körper echt... sexy. Shit, was tue ich hier?! "Oh, 'tschuldigung ich-..." setzte ich an, doch brach wieder ab, als sie ruckartig hochschreckte und den Bademantel fest um sich schlang. "Hey, ganz ruhig, ich wollte nur nachsehen, ob alles okay ist, du hast so lange gebraucht." erklärte ich vorsichtig. Sie rappelte sich nun auf. Dann huschte sie an mir vorbei. "Es tut mir leid, ich hab wohl die Zeit vergessen." schniefte sie und wischte sich mit dem Unterarm über die Augen. Sie hatte wieder geweint. Ehe ich mich versah, hatte ich sie gepackt und zurückgehalten. Beschämt wich sie meinem Blick aus. "Wie lange sitzt du da schon und weinst?" fragte ich sanft. Für den Bruchteil einer Sekunde sah sie mir in die Augen. "Lange genug, dass der Schmerz langsam unerträglich wird." murmelte sie, wobei ihre Stimme schließlich brach, weil sie versuchte, den erneuten Heulkrampf zu unterdrücken. Ich lockerte den Griff um ihren Arm und strich stattdessen langsam ihren Oberarm auf und ab. "Vom Weinen kommt dein Mario auch nicht zurück." Toll Marcel, gefühlloser geht es wirklich nicht. "Du hast ja recht." murmelte sie überraschenderweise. "Außerdem bist du dadurch jetzt spät dran." erzählte ich. Sie verschränkte die Arme vor dem Körper. "Wozu?" wollte sie ahnungslos wissen. "Äh hallo, die Nationalmannschaft wartet?" erinnerte ich sie. Wieder sah sie weg. "Ich will nicht hin." meinte sie kaum verständlich. "Ich dachte du vermisst ihn?" erwiderte ich und hob eine Augenbraue. "Ja, aber ich vermisse den alten Mario. Der, der er jetzt ist, den kann ich nicht lieben. Er hat mir so wehgetan. Und Marco genauso. Wenn ich doch wüsste, was ich ihnen angetan habe." meinte sie traurig. Ich legte meine Finger unter ihr Kinn und hob es an. "Mario hat dich doch vor die Tür gesetzt, genau wie Marco. Ist das ein Grund, sauer auf dich zu sein? Du machst hier nicht die Fehler, kapiert?" munterte ich sie auf. Sie schüttelte erschöpft den Kopf. "Ich kann ihm einfach nicht gegenübertreten. Ich müsste wieder mit ihnen in dieses Zimmer. Und das geht nicht nicht, weil ich mich nunmal immernoch zu ihm hingezogen fühle. Und sonst habe ich zu niemandem eine engere Bindung." Die Tatsache, dass sie mir irgendetwas davon erzählte, wie sie sich nach ihm sehnte, störte mich irgendwie. Ich konnte ihre Gefühle für Mario wohl einfach nicht nachvollziehen. "Warte, doch... ich habe jemanden." riss sie mich aus meinen Gedanken. Ich sah ihr ins Gesicht. Lächelnd erwiderte sie den Blick. Ich brauchte einen Moment, bis ich verstand, was sie meinte. Oh scheiße, so war das nicht geplant. Langsam begann ich meinen Kopf zu schütteln. "Nein. Nein, Nell, das geht nicht." setzte ich an. Schmollend zog sie eine Schnute und zog leicht am Kragen meines T-Shirts. "Man, wieso nicht? Bitte Marcel." quängelte sie. Ich löste ihre Hände von mir, wobei der Bademantel sich beinahe gelöst hätte. Ich griff nach den Enden des Gürtels, verknotete sie einmal und zog dann so fest zu, dass sie überrascht nach Luft schnappte. "Nein." bestimmte ich in schroffem Ton und lief an ihr vorbei. "Ich dachte du bist mein Retter in der Not." zitierte sie mich leise. Ich hielt Inne. Ja, es war alles nur ein Spiel und ich hatte eigentlich nicht vorgehabt, mich mit ihr anzufreunden. Aber genau in diesem Moment wurde mir bewusst, dass das längst geschehen war. Marco liebte sie beinahe wie seine eigene Schwester, Marco und ich waren auf einer Wellenlänge. Da war es eigentlich kaum verwunderlich, dass Nell und ich uns gut verstanden. Der Plan war es, dass ich bis heute Abend auf sie Acht gebe und dann aus ihrem Leben verschwinde. Aber sie hat Vertrauen in mich gelegt. Und wenn ich jetzt abhaute, verlor sie nicht nur ihre einzige Bezugsperson, sondern auch ich eine Frau, die nur das Gute in mir sah und nicht die ekelhafte, kalte Seite, die immer den Macho raushängen ließ. Plötzlich legte sie von hinten ihre Hände auf meine Schultern. "Bitte." wiederholte sie sanft. Ihr Atem kitzelte meinen Nacken. Scheiß doch auf den Plan, ich hatte Mario nicht zu gehorchen. "Also gut. Aber klär das vorher mit den Leuten." gab ich nach. Sie lief um mich herum und fiel mir quietschend um den Hals. Diesmal erwiderte ich die Umarmung. Sie legte die eine Hand an meine Wange und drückte mir dann auf der anderen Seite einen Kuss auf. Sie lehnte sich gegen meine Arme, die ich auf ihrem Rücken platziert hatte, um mich anzusehen. Zum ersten Mal strahlten ihre Augen. Ihr Zahnpasta-Lächeln steckte mich sofort an. Ich strich ihr die Haare aus dem Gesicht. "Ich versteh Mario nicht. Du bist wunderschön." rutschte es mir heraus. Sie löste sich langsam von mir, als ihr die Röte ins Gesicht stieg.

Liebe stirbt nicht {Mario Götze u.A.}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt