Kapitel 27

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Mario's Sicht:

Seit Stunden stand ich auf dem Fußballplatz und schoss aus Frust hunderte Bälle immer wieder in das Tor. Bis auf den Regen, der zu allem Übel auch noch auf mich niederprasselte, hörte man nur den Knall, wenn ich mit voller Wucht auf den Ball trat. "Mario?! Hör auf mit dem Scheiß!" rief plötzlich Marco vom Spielfeldrand. Ich ließ den Ball vor meinen Füßen liegen, den ich gerade abschießen wollte und ließ mich auf den nassen Rasen fallen. Erst jetzt merkte ich, dass ich völlig außer Atem war. Marco joggte durch den Regen zu mir. Er zog mich am Arm wieder auf die Beine und dann unters Dach. Wie betäubt taumelte ich hinter ihm her. Marco schlug mir auf die Brust. "Kannst du mir mal sagen was du hier machst?!" fragte er gereizt. "Ich war bei ihr. Sie hat Schluss gemacht." entgegnete ich nur. Marco verzog das Gesicht und legte eine Hand vor die Augen. "Sie hat nicht mal versucht es anders zu lösen. Sie will gar nicht dass wir uns noch sehen." fuhr ich fort. "Weil sie genauso gut weiß wie du, dass sie dich damit in Schwierigkeiten bringen könnte! Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass sie dich nicht liebt?! Sie hat nur Angst, wieder verletzt zu werden." wollte er mich beruhigen. "Und was ist mit mir? Ist dir klar, dass ich sie nie wieder sehen werde?! Noch mal bringt uns das Schicksal nicht durch Zufall zusammen!" erwiderte ich. "Es tut mir Leid, Mario." meinte Marco nur und lief mit gesenktem Kopf davon. Erst als ich es ausgesprochen hatte, wurde mir klar, dass es wirklich so war: Ich würde Nell nie wieder sehen. Als ich den Gang entlang ging, um mich in meinem Zimmer zu verkriechen, begegnete ich Löw. "Mario, wir haben Training. Wo willst du hin?" hörte ich seine Stimme wie aus einem Tunnel. Mein Blick ging ins Leere und ich lief einfach ohne ein Wort an ihm vorbei. Am liebsten hätte ich ihn umgebracht, aber selbst zu Wut oder Hass war ich in diesem Moment unfähig. Ich spürte noch Löw's Blick im Rücken. Aber es war mir egal. Ich wunderte mich in diesem Moment über mich selbst. Bei der Nationalmannschaft musste ich ständig ohne meine Familie auskommen und machte mir so gut wie nichts aus aber ohne Nell kam ich keinen Tag aus. Mittlerweile lag ich in meinem Zimmer auf dem Bett und starrte die Decke an. Doch immer sah ich nur sie vor mir. Wie sie lächelt und lacht. Und wie ihre Tränen über meine Hand an ihrer Wange laufen.

Nell's Sicht:

Wenige Tage später

Seit Tagen lebte ich nur vor mich hin. Mario hatte sich nicht mehr gemeldet. Aber wieso erwartete ich überhaupt, dass er sich meldet? Andererseits hatte ich aus Angst auch gar nicht mehr auf mein Handy geschaut. Mit zitternden Händen griff ich jetzt danach. Als er Bildschirm aufleuchtete, sah ich die Benachrichtigung: 87 Anrufe in Abwesenheit von zwei Anrufern, 312 Whatsapp-Nachrichten. Davon einige Privat, aber auch in der Gruppe, in die sie mich aufgenommen hatten, seit ich bei der Deutschen 11 war. Ohne die Nachrichten zu lesen, löschte ich mich aus der Gruppe. Bei dem Chat mit Mario blieb ich kurz unschlüssig. Ich merkte garnicht, wie ich wenig später sein Profilbild anstarrte und dabei eine Träne auf mein Handy platschte. Dann blockierte ich den Kontakt und löschte seine Nummer, bevor ich mich umentscheiden konnte. Weil mir nichts anderes übrig blieb machte ich dasselbe mit Marco's Nummer. Aber direkt darauf überkam mich ein Heulkrampf und ich warf das Handy aufs andere Ende der Couch. Doch in diesem Moment klingelte das Handy wieder. Es war Sarah. Ich versuchte kurz mich wieder einigermaßen einzukriegen und nahm ab. "Ja?" meldete ich mich mit heißerer Stimme. "Hey hier ist Sarah! Was machst du grade?" fragte sie fröhlich. "Ich sitz auf der Couch" antwortete ich knapp. "Aha. Ich wollte dir sagen, dass Manu die nächsten paar Tage bei mir bleibt, wegen seiner Schulter. Er meinte ich soll bescheid geben." erzählte sie. Mein Bruder wusste es also noch garnicht, ebenso Sarah. "Dann ruf bei Löw an." sagte ich. "Äh Nell, irgendwas stimmt doch nicht mit dir." stellte sie fest. Ich schluchzte in das Telefon. "Komm in einer halben Stunde in das Café am Stadtrand." sagte sie darauf und legte auf. Sie würde auch bei mir zu Hause auftauchen, wenn es nötig war, also ging ich ins Badezimmer und klatschte mir kaltes Wasser in das verheulte Gesicht. Zur Sicherheit setzte ich mir aber eine Sonnenbrille auf. Dann war ich auch schon unterwegs zum besagten Café. Als ich eintrat, entdeckte ich Sarah's blonden Schopf an einem kleinen Tisch, der etwas abseits stand. Ich ging zu ihr. Als ich mich setzte, packte Sarah sofort meine Hände und musterte mich besorgt. "Was ist los?" fragte sie. Ich entzog ihr nochmal meine rechte Hand und setzte die Sonnenbrille ab. Sie schlug sich die Hand vor den Mund. "Was zum Teufel ist dir denn über die Leber gelaufen? Du siehst beschissen aus!" rief sie aus, sodass der Kellner zu uns herübersah. "Toll, danke." erwiderte ich leise. "Also Nein! So meinte ich das nicht! Du siehst toll aus, aber... aber... also..." stotterte sie. "Ja, schon gut." meinte ich und winkte ab. "Löw hat mich gefeuert." fuhr ich dann schließlich fort. "Bitte was?!" schrie Sarah schon wieder und wäre direkt aufgesprungen, wenn ich nicht ihre Hände gehalten hätte. "U-und w-wie ist das jetzt mit Mario?" hakte sie jetzt ruhiger nach. Ich senkte den Kopf und musste schon die Tränen zurückhalten, wenn ich nur seinen Namen hörte. Sarah bemerkte das und durchschaute mich. Das war wohl diese mysteriöse weibliche Intuition. "Du hast Schluss gemacht." stellte sie fest. Ich nickte knapp und biss mir auf die Unterlippe. Der Kellner brachte mir einen Kaffee, den Sarah wohl bestellt hatte. "Und wie kommt er damit klar?" fragte sie. Ich zuckte mit den Schultern. "Ich hab den Kontakt komplett abgebrochen." sagte ich. "Das scheint dir aber nicht wirklich zu helfen." meinte sie und runzelte die Stirn. "Was soll ich deiner Meinung nach tun." fragte ich. Sie öffnete den Mund um eine Antwort zu finden. Doch nach kurzer Zeit schloss sie ihn wieder. Ihr Handy klingelte. Sie ging ran. Dem Gespräch entnahm ich, dass es Manu war. Sie stand auf und nahm sich ihre Tasche. "Sorry, Nell ich muss los." erklärte sie und sah mich entschludigend an. Ich versuchte mich an einem Lächeln. Sie verschwand also. Ich nahm meine Tasse in die Hand und nippte am heißen Kaffee. Die Klingel an der Eingangstür ertönte. Sofort kribbelte es in meinem ganzen Körper. Ich wandte meinen Kopf zur Tür und da standen Mario und Marco. Mario starrte niedergeschlagen auf den Boden. Und Marco blickte mir direkt in die Augen. Ohne sich von mir abzuwenden tippte er Mario auf die Schulter. Er hob den Kopf und sah Marco an. Weil dieser nur in meine Richtung starrte, folgte Mario jetzt seinem Blick. Ich wollte nur noch weg, aber meine Beine wollten offenbar nicht. Ich konnte mich keinen Zentimeter bewegen. Sie kamen die paar Meter auf mich zu. "Nell." sagte Mario leise. Mein Herz schmerzte. Ich kramte in meiner Tasche und legte schließlich einen 5-Euro-Schein auf den Tisch. Ich befreite mich aus meiner Starre und stand auf. Jetzt stand ich direkt vor Mario, konnte seinen Atem auf der Haut spüren. Ich sah ihm nicht in die Augen. "K-kann ich bitte durch?" sagte ich tonlos und wollte schon weiterlaufen, doch Mario stellte sich mir direkt in den Weg. Er hob seine zitternde Hand und legte seine Finger unter mein Kinn. Meine Haut prickelte und brannte unter seiner Berührung. Mario hob vorsichtig mein Kinn. Ich versuchte überall hinzusehen nur nicht in seine schmerzerfüllten Augen und schloss schließlich meine Eigenen. Als ich sie wieder öffnete, kam mir Mario gerade näher. Ich konnte seine warmen Lippen schon fast spüren, da wich ich zurück und drückte mich anschließend an ihm vorbei. Ich stolperte aus dem Café und auf dem Gehweg weiter. Schon bald tauchten Mario und Marco hinter mir auf. Sie holten mich schnell ein. "Nell, bitte, bleib stehen!" rief Marco. Ich beschleunigte meine Schritte, doch wieder waren sie schneller. Marco packte meine Hand und zwang mich stehen zu bleiben. Als ich herumwirbelte, sah ich ihm direkt in die Augen. Dann starrte ich auf meine Hand, die er festhielt. Ich hielt es nicht aus, den Beiden so nah zu sein und entriss Marco schließlich meine Hand. Ich lief wieder los. Nach kurzer Schockstarre verfolgten mich Mario und Marco wieder. Eine Straße weiter war meine Wohnung. Unachtsam lief ich über eine Kreuzung, wo eine kleine Seitenstraße in die Hauptstraße mündete. Kaum war ich auf der anderen Seite wieder auf dem Gehweg, zuckte ich wegen des lauten Reifenquitschens zusammen. Ich blieb stehen. Langsam drehte ich mich um. Marco stand noch auf der anderen Straßenseite, während Mario...

Liebe stirbt nicht {Mario Götze u.A.}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt