Kapitel 88

11.1K 303 13
                                    

Nell's Sicht:

Seit Tagen war es die erste Nacht, die ich wieder durchschlief, weil Mario nicht ständig aufstehen musste, um eine Tablette oder ein Glas Wasser gegen den starken Husten zu holen. Am nächsten Morgen wachte ich dann auf, weil ich Stimmen hörte. Drei Stimmen. Mario's, Marco's und eine dritte, die irgendwie verzerrt klang. Ich vermutete, dass die beiden mit irgendwem telefonierten oder Ähnliches. Ich hatte keine Lust, das warme Bett zu verlassen, obwohl ich lieber Mario neben mir hätte. Wie aufs Stichwort öffnete sich die Tür und Mario linste herein. Als er sah, dass ich wach war, kam er herüber und setzte sich an die Bettkante. "Morgen, Süße." begrüßte er mich und küsste mich sanft."Morgen." murmelte ich dann ebenfalls und setzte mich gähnend auf. "Ich geh heute wieder zum Training." verkündete er irgendwann. "Gut, dann geh ich mit. Dann kann ich auch endlich Manu sehen." beschloss ich lächelnd. "Nein!" rief er geschockt aus, nahm dann meine Hände und begann erneut, "Ich meine: Tut mir leid, das geht nicht." Ich sah ihn verwirrt an. "Warum nicht?" wollte ich wissen. "Weil, ähm, weil heute kein öffentliches Training ist und du somit keinen Zutritt hast." erklärte er. "Aber ich bin Familienangehörige und kenne alle persönlich." wollte ich mich rechtfertigen. "Tust du nicht. Lewy kennst du nur flüchtig. Und dann wären da ja noch Juan (Bernat), Sebastian (Rode) und Pepe (Reina)." konterte er. Ich grummelte nur vor mich hin. "Sag doch, dass du mich nicht dabei haben willst." murrte ich. Sein Gesichtsausdruck wurde langsam panisch. Er hob mein Kinn an und streichelte liebevoll meine Wange. "Nein, so ist das nicht. Aber schau, wenn jeder seine Angehörigen mitbringen würde, wäre das der FC Family. Tut mir leid Nell, aber wenn, dann muss ich das erst mit Pep klären." meinte er. Ich sah ihn nur schmollend an. "Ach komm schon, ich mag es nicht, wenn du so guckst. Ich bin bald wieder da." vertröstete er mich. "Na gut. Aber glaub ja nicht, dass du mich jedes mal so abwimmeln kannst!" warf ich ihm hinterher. "Wie könnte ich?" grinste er. Dann drückte er mir einen Kuss auf, der mich alle schlechte Laune vergessen ließ. "Marco ist ja auch noch da. Der will auch nicht ohne Gesellschaft hier rumhocken." schob er hinterher. "Das heißt ich soll Marco küssen und mit ihm schlafen?" witzelte ich. "Haha, wie witzig du doch wieder bist." meinte er sarkastisch. "Aber das mit dem 'miteinander schlafen' können wir gerne nachholen." fügte er zwinkernd hinzu. Dann erhob er sich und verschwand grinsend aus dem Raum. Wenig später war er auch schon weg. Erst eine halbe Stunde später schwang ich mich aus den Federn und schlurfte in die Küche. Dort stand Marco vor dem Herd. Er starrte konzentriert auf die Pfanne vor sich, wo gerade Spiegeleier vor sich hin brutzelten. "Marco der Hausmann." lachte ich, worauf er erschrocken zu mir herumwirbelte. "Och man, jetzt wollte ich dir Frühstück ans Bett bringen." jammerte er. Ich hob die Augenbrauen. "Womit hab ich das denn verdient?" fragte ich nach. "Gehört alles zum Plan." verkündete er grinsend. Als ich ihn verwirrt ansah, bemerkte er anscheinend seinen Fehler. "Äh, ich meine natürlich: Da wirst du ... stark wie ... Peter ... Pan." meinte er, machte dann aber ein Gesicht, das in etwa sagen sollte: 'Peter Pan?! Wirklich?!' Ich lachte nur und setzte mich kopfschüttelnd im Wohnzimmer auf die Couch. Marco gesellte sich wenig später zu mir und hielt mir einen Teller mit dem doch ganz gut gelungenen Frühstück entgegen. Dankbar aß ich. Er blickte immer wieder auf die Uhr. "Komm." forderte er mich dann auf. "Äh wozu?" fragte ich verwirrt. "Siehst du dann." entgegnete er und schob mich ins Bad, um mir dann Klamotten hinterher zu werfen. "Eben sahst du nicht gerade aus, als würdest du je wieder auf die Straße treten wollen." rief ich ihm durch die geschlossene Tür zu. "Meinungen ändern sich!" flötete er. Kopfschüttelnd zog ich mich um und flechtete meine Haare grob zu einem lockeren Zopf zusammen. Dann trat ich wieder zu Marco. "Gut siehst du aus." meinte er schnell, ohne mich wirklich anzusehen und schob mich aus der Tür. Er trug mich förmlich die Treppe hinunter, weil ich ihm anscheinend nicht schnell genug war. Unten angekommen öffnete er die Beifahrertür seines Autos. "So wie du gerade drauf bist, baust du noch einen Unfall." zögerte ich. Kurzerhand schob er mich mit einer Hand auf meinem Rücken zum Auto. "Du kennst mich. Vorsicht ist mein zweiter Vorname." meinte er. "Ja, aber dein erster ist Marco und das heißt nie was gutes." entgegnete ich. Er warf mir noch ein ironisches Nicken zu, bevor er die Tür zuknallte. Dann stieg er selbst ein und fuhr auch schon los. Meine Befürchtung bestätigte sich. Er überfuhr sogar eine rote Ampel und soweit ich gesehen hatte wurden wir geblitzt. "Er muss es ja zahlen..." murmelte ich seufzend vor mich hin. Obwohl ich mir sicher war, dass Marco es gehört hatte, reagierte er nicht. Er starrte nur mehr oder weniger konzentriert auf die Straße. Wegen des ganzen Schnees bemerkte ich jetzt erst, was offenbar unser Ziel war. Wir fuhren gerade auf das Gelände des FC Bayern. Als Marco den Wagen geparkt und mir wieder ganz Gentleman-like die Autotür geöffnet hatte, witzelte ich "Willst du jetzt doch zu Bayern wechseln oder wie?" Er funkelte mich nur böse an. "Normalerweise würde ich dieses Gebäude nicht ohne Desinfektionsmittel betreten. Du kannst froh sein, dass ich dich so mag." meinte er dramatisierend. "Übertreib es nicht. Also, was machen wir hier? Mario wollte nicht, dass ich zum Training kommen." sagte ich. "Habe ich nicht vorhin gesagt: Meinungen ändern sich?" gab er zurück. Bevor ich weiter nachhaken konnte, schleppte er mich wieder mit. Wir betraten das Gebäude. Alles war still. Und auch der Trainingsplatz, den man durch die bodentiefen Fenster sehen konnte, war komplett leergefegt. Meine Füße setzten schon automatisch die Schritte fort, bis Marco plötzlich stehen blieb. "Umdrehen!" befahl er. "Umdrehen? Wie-..." begann ich, da drehte er mich grob um. "Nicht erschrecken." meinte er. Da legte sich auch schon ein BVB-Fanschal - Marco's Stolz musste bewahrt werden - über meine Augen. Vorsichtig band er ihn an meinem Hinterkopf zusammen. Dann legte er seine Hände auf meine Schultern, um mich durch die Gänge zu schieben. Nach nur wenigen Schritten hatte ich völlig die Orientierung verloren. Irgendwann ließ mich Marco kurz stehen, um dem Geräusch nach eine Tür zu öffnen, durch die er mich weiterführte. Marco blieb stehen und ließ mich los. Ich hörte das Klicken eines Lichtschalters. Und auf einmal wurde ich herzlich umarmt. Der Geruch, die Statur,... "Manu!" freute ich mich. Ich wollte den Fanschal endlich abnehmen, aber Manu hielt mich zurück. "Warte noch kurz, Schwesterchen." meinte er sanft. Es tat gut, endlich wieder seine Stimme zu hören. Dann ließ er mich aber wieder los. Ich hörte leise Schritte. "Wer ist das?" fragte Manu, nahm meine Hände und legte sie auf die Brust von irgendjemandem. "Wird das jetzt ein Ratespiel?" lachte ich. "Wenn du es so willst." gab Manu zurück und ich hörte an seiner Stimme, dass er grinste. Ich ließ meine Handflächen über die Brust des Typen vor mir gleiten. Über die Schultern. Er war größer als ich. Ich tastete nach einer Halskette oder Ähnlichem zur Identifikation, fand aber nichts. Irgendwie hatte ich das komische Gefühl, dass ich von allen Seiten angegrinst wurde. Ich tastete auch nach den Haaren. Sie waren verstrubelt, aber weich. Mein Hirn sortierte automatisch aus und ich hatte langsam einen Verdacht. Aus Spaß betatschte ich den Hintern des Typen, worauf Marco hinter mir lachte. "Javi?" riet ich. "Sí, es verdad." meinte dieser auch lachend. "Perfekt und was ist mit Javi im Spiel gegen Dortmund letztes Jahr passiert?" fragte Manu. "Ähm... Er hat sich verletzt?" stellte ich fragend fest. "Ganz genau. Und deshalb..." begann er und zog mir dann langsam den Schal von den Augen. Javi, der grinsend vor mir stand, trat zur Seite. Jetzt stand ich umringt von den Jungs des FCBs da. Allen voran Pep, der jetzt einen Schritt auf mich zumachte. Er hielt mir ein Fomular auf einem Klemmbrett entgegen. Dazu in der anderen Hand einen Kuli. "Eine Unterschrift und du kannst sofort wieder hier anfangen." verkündete er und hielt mir den Stift vor die Nase. "Ernsthaft jetzt?" bohrte ich nach und ließ meinen Blick über die strahlenden Gesichter gleiten. Ausnahmslos alle waren da, sogar die 'Neuen', die mittlerweile auch nicht mehr ganz so neu waren. Ich nahm Pep's Nicken aus dem Augenwinkel wahr. "Worauf genau wartest du?" drängte Manu. Langsam nahm ich den Kugelschreiber aus Pep's Hand. "Wollt ihr das denn auch?" fragte ich die Jungs. "Natürlich wollen wir das!" meinte Xherdan (Shaqiri) sofort, worauf die anderen zustimmend nickten. Ich warf noch einen Blick zu Mario, der mich mit einer Geste aufforderte, endlich zu unterschreiben. Einen Moment lang war nur das Kratzen der Mine auf dem Papier zu hören. Ich gab Pep den Stift zurück, worauf er mir die Hand reichte. "Herzlich willkommen beim FCB." lächelte er. Dann jubelten die Jungs. Manu umarmte mich als erstes nochmal. Dann meine besten Freunde hier, also Javi, Thomas und Basti. Alle anderen folgten gleichzeitig. "Marco, hilf mir doch!" rief ich. Dieser zeigte mir den Vogel. "Ich dränge mich doch nicht freiwillig zum FC-Bayern-Gruppenkuscheln dazu!" meinte er. Stattdessen wurde ich von Mario befreit. "Das ist mal wieder auf deinen Mist gewachsen, oder?" fragte ich ihn. "Hmm, vielleicht." grinste er, zog mich an sich und küsste mich dann. Die anderen lachten nur. Schließlich stellten sich mir noch Sebastian, Juan und Pepe vor. Alle drei waren sehr nett, aber ich mochte vor allem Juan, der mir sofort symphatisch war. Und auch Robert, den ich ja bereits ein paar mal getroffen hatte, wuchs mir irgendwie sofort ans Herz. "Achso und Mario?" brach Manu auf einmal alle Gespräche. Mario legte den Arm um meine Taille, als würde er schon ahnen, was jetzt kommen würde und sah Manu fragend an. "Diesmal passt du mir gut auf meine Schwester auf. Noch ne Chance gebe ich dir nämlich nicht." meinte er. "Ich verspreche es. Hoch und heilig." plichtete Mario bei und hob seine Hand zum Schwur. "Vergiss nicht Mario, es gibt Zeugen!" lachte Shaq. "Da braucht sich wirklich niemand Sorgen zu machen. Ich mache denselben Fehler nicht zweimal. Und natürlich auch keine anderen." grinste Mario und drückte mir einen Kuss auf. "Leute, kann ich jetzt bitte hier raus, sonst bekomm ich Pickel!" jammerte Marco. "Jaaaja, übertreib halt! Vielen Dank für deine Hilfe, Marco." meinte Mario und gab ihm mit einem Wink zu verstehen, dass er gehen konnte. "Also bitte, du kannst doch den armen Jungen nicht so abschieben." tadelte ich Mario und ging zu Marco, um ihn zu umarmen. Ich spürte sein triumphierendes Grinsen förmlich, als er die Umarmung erwiderte. "Aber nimm die Wohnung nicht auseinander!" rief Mario ihm hinterher, als er ging. "Ich tue mein Bestes!" gab Marco über die Schulter zurück. "So Jungs, ihr habt jetzt aber trotzdem Training." mischte Pep die Gruppe auf. Genervtes Stöhnen erfüllte den Raum, welchen jetzt nacheinander alle verließen. Ich wollte ihnen folgen, wurde aber am Arm zurückgehalten. Von Pep. "Kann ich dich noch kurz sprechen, Nell?" fragte er und schloss ohne meine Antwort abzuwarten die Tür. "Setz dich." forderte er mich auf und ließ sich selbst auf einem der Stühle an dem riesigen Tisch nieder, weil dies offenbar eine Art Konferrenzzimmer war. Ich setzte mich auf den Stuhl neben ihm, den er anbietend zurückschob und lehnte mich an die Tischkante. Pep zögerte ein Wenig, was mir überhaupt nicht gefiel. "Also es ist so: Du hast diesen Vertrag unterschrieben und bist als Mannschaftsärztin hier verpflichtet. Momentan wirst du diesem Standard auch gerecht, allerdings stellt der DFB neue Anforderungen." begann er. Ich sah ihn nur verwirrt an. "Das heißt?" hakte ich nach, weil er nicht fortfuhr. "Das heißt dass ich in einiger Zeit, wenn es offiziell Vorschrift ist, aufrüsten muss. Ich muss eine zweite Kraft in deiner Position einstellen." erklärte er schließlich. Mir klappte die Kinnlade nach unten. "Und das soll dann so enden wie mit diesem... Schiebler?! Der versucht hat, mich zu vergewaltigen?! Und das auch geschafft hätte, wären nicht zufällig meine Freunde da gewesen?!" fauchte ich und erhob mich wutentbrannt. Pep wollte mich beruhigen und zog mich wieder auf den Stuhl. "Keine Sorge. Du würdest natürlich mitentscheiden und sowas wird nicht nochmal passieren, solange ich hier Trainer bin." versicherte er mir. "Aber bisher konnte ich das auch allein! Während ich weg war, hattet ihr doch auch nur diverse Vertretungen!" warf ich ein. "Ich kann nichts gegen den Vorstand tun Nell. Allerdings..." begann er, sprach dann aber nicht weiter. "Allerdings was?" fragte ich nach. "Es gäbe da noch eine andere Möglichkeit. Meiner Meinung nach ist das menschlich bescheuert, aber..." murmelte er. "Sag schon!" drängte ich und vergaß einen Moment, dass ich gerade so mit meinem Vorgesetzten sprach. "Du bräuchtest einen höheren Stand." sagte er schließlich. Langsam verstand ich, was er meinte. "Aha. Verstehe. Sehr gut." sagte ich und erhob mich, um zur Tür zu gehen. "Was hast du denn jetzt vor?" rief er mir nach und folgte mir auf den Gang. "Ich werde den Anforderungen gerecht." entgegnete ich trocken. Als er mich von der Seite anblickte, war sein Gesicht ein einziges Fragezeichen. "Die wollen keine einfache Ärztin hier haben? Gut, dann bekommen sie eben eine Doktorin!" beschloss ich. Pep hielt mich jetzt fest. "Wie willst du das anstellen?" fragte er. "Wie wohl? Ich schreibe eine Doktorarbeit." verkündete ich und ließ ihn mit dieses Worten stehen. Am Ende des Flures schon nicht mehr ganz so sicher, ob ich das wirklich schaffen würde...

Liebe stirbt nicht {Mario Götze u.A.}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt