Kapitel 114

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Mario's Sicht:

Meine Mutter sah ziemlich überrascht aus, als sie in unsere mitgenommenen Gesichter blicken musste. Ihr Blick wanderte weiter zu der hektisch gepackten Reisetasche. Sie öffnete den Mund und wollte etwas sagen, aber brach dann ab, weil sie einfach zu verdutzt war. "Hallo Mum, wie geht's? Du fragst dich bestimmt, was wir hier wollen." ratterte ich herunter und schob Nell währenddessen vor mir her in ins Innere meines Elternhauses. "Eh..." stotterte sie nur und schloss die Tür. Ich nahm jetzt Nell's Hand und zog sie weiter ins Wohzimmer, wo mein Vater sich nun aufrichtete. "Mario?" fragte er verwirrt. Er stand auf und nahm mich kurz in den Arm. Dann strich er Nell väterlich über den Oberarm und musterte sie dabei kritisch. "Alles in Ordnung?" erkundigte er sich schließlich. Nell und ich sahen ums kurz an. "Es ist alles meine Schuld. Ich wollte nicht hier angekrochen kommen, aber Mario..." begann Nell, doch ich unterbrach sie mit einem Wink. "Wir müssen hier eine Weile unterkommen." verkündete ich. "Was ist denn überhaupt passiert?" fragte nun meine Mutter. "Ist Felix da?" fragte ich völlig zusammenhangslos. Dafür erntete ich die verwirrten Blicke dreier Augenpaare. "Äh ja, er ist in seinem Zimmer." meinte meine Mutter dann und deutete hinter sich zur Treppe. Ich zog Nell kurz zu mir heran. "Gehst du derweil zu ihm?" schlug ich dann vor. "Mario, ich bin kein Kimd mehr und eigentlich ist es meine Pflicht, das zu erklären." wiedersprach sie leise. "Bitte. Felix freut sich." flehte ich und würdigte sie mit dem dementsprechenden Blick. Sie atmete hörbar aus, warf meinen Eltern ein wages Lächeln zu und lief die Treppe hinauf. Ich wartete extra, bis ich das Türknallen hörte. Dann ließ ich mich niedergeschlagen auf das Sofa fallen. Mein Vater setzte sich neben mich und meine Mutter ließ sich auf die Armlehne nieder. "Was hast du denn, mein Sohn?" erkundigte sich mein Vater, während meine Mutter mir über den Rücken strich. "Es hört nicht auf. Schiebler, der Typ, der Nell bedroht hat, scheut jetzt vor gar nichts mehr zurück. Er mutiert zum Stalker, bewacht stundenlang meine Wohnung und immer, wenn man es am wenigsten erwartet taucht er wieder auf und..." Ich brach ab. "Was macht er dann?" hakte meine Mutter nach. "Nichts. Er will uns einfach nur verrückt machen. Ich hab es langsam satt, dass so ein widerlicher Typ dauernd meine Freundin anfasst. Letztes mal sogar vor meinen Augen." murrte ich. "Versteh mich nicht falsch, aber so wie wir dich kennen, hättest du sofort etwas übernommen." warf mein Vater ein. "Er hatte 'ne Knarre." Da meine Eltern beide erstarrten, erzählte ich nun noch die Geschichte mit der Polizei. "Länger als zwei Wochen werden wir auch hier nicht bleiben können, der findet uns überall." sagte ich zum Schluss. Mittlerweile war ich es leid, mich aufzuregen, es kostete mich so viel Kraft. "Mario!" brüllte auf einmal Felix von oben. "Ja, ich komme gleich." wimmelte ich ihn ab. "Also können wir für ein paar Tag-..." setzte ich an, doch oben am Treppengeländer erschien jetzt Felix, der den Arm um Nell's Taille schlang und verzweifelt versuchte, sie zu stützen. Meine Erschöpfung war vergessen und ich sprintete die Treppenstufen hoch. Nell hob abwehrend eine Hand, während sie den Kopf auf ihre andere Hand legte, welche auf Felix' Schulter lag. "Mir geht's gut." murmelte sie. "Tut es nicht!" mischte mein Bruder sich ein. Ich löste meine Freundin aus seinen Armen und zog sie zu mir. Sie reagierte überhaupt nicht, sondern vergrub nur völlig fertig das Gesicht an meiner Halsbeuge. "Sie hat erzählt, was passiert ist und warum ihr hier seid und hat sich total reingesteigert. Ich wollte sie beruhigen, aber sie ist total durch den Wind und meinte auf einmal, sie hätte schreckliche Kopfschmerzen." erklärte Felix schnell. "Ich wusste, dass es falsch war. Sie hätte im Krankenhaus bleiben sollen. Sie hat eine Gehirnerschütterung!" sprach ich zu ihm. Er schielte auf Nell's Gesicht und strich ihr vorsichtig das Haar aus dem Gesicht. Sie war blass und hatte die Augen geschlossen. "Diese Information hat sie komischerweise ausgelassen." meinte er anklagend. Nell wandte den Kopf ab, als müsste sie vor meinem Bruder Angst haben. Ich ließ den einen Arm auf ihrem Rücken ruhen und platzierte den anderen unter ihren Kniebeugen, um sie hochzuheben. Meine Eltern kamen nun ebenfalls die Treppe hoch. "Bring sie ins Gästezimmer." forderte meine Mutter mich auf. Ich nickte und tat dies. Dort setzte ich sie auf der Schlafcouch ab. Meine Eltern und Felix standen im Türrahmen und beobachteten uns besorgt. Nell hob kurz den Kopf. "Mir geht's gut, wirklich." wiederholte sie noch einmal schwach. Mir fiel auf, dass sie durch den Mund atmete. "Bist du erkältet?" wollte ich wissen und legte zusätzlich die Hand auf ihre Stirn, um nach erhöhter Temperatur zu fühlen. Sie stöhnte genervt auf und wollte meine Hand wegziehen, doch plötzlich begann ihre eigene total zu zittern. Sie starrte geschockt darauf hinab. Als sie nun auch die zweite Hand dazu nahm, zitterte auf diese sichtlich. "Mario, was ist das?" fragte sie verzweifelt. "Ich weiß es doch nicht! Du bist die Ärztin." erwiderte ich und warf einen hilfesuchenden Blick zu meiner Familie. "Denkst du... es wäre vielleicht möglich, dass... dass das Angstzustände sind? Du hast viel durchgemacht mit diesem Dreckskerl." zog mein Vater in Erwägung. Wir alle starrten ihn auf diese Vermutung hin an. "Komm, leg dich hin und ruh dich aus." forderte ich Nell auf. Ohne viel Widerspruch ließ sie sich zurücksinken und schloss die Augen. Ich warf nochmal einen Blick auf ihre Hände, die mittlerweile nicht mehr zitterten. Dann erhob ich mich und verließ mit meiner Familie den Raum. "Ich habe keine Ahnung, was sie hat, aber das mit Schiebler muss aufhören." murrte ich leise, damit Nell es nicht mitbekam. Wir gingen schließlich runter. "Oh, es ist ja schon nach 1 Uhr, ich muss noch zur Uni." fiel meinem Vater schließlich ein. "Nach 1 Uhr?! Scheiße, ich müsste jetzt eigentlich noch zur Doping-Kontrolle beim FCB." musste ich auch noch feststellen und raufte mir überfordert in die Haare. "Wir kümmern uns schon um sie, mach dir keine Sorgen." sagte meine Mutter sofort, worauf Felix bestärkend nickte. Ich seufzte. "Danke Mum." warf ich ihr noch zu, bevor ich dann wieder ins Auto stieg und zum zweiten mal an diesem Tag zum FCB fuhr. Als dann endlich alle Pflichten für mich erledigt waren, kam ich nachmittags um 16 Uhr erst bei meinen Eltern an. Fast sofort kam Felix zur Treppe heruntergestürzt. "Hey, na alles kla-..." wollte ich ihn begrüßen, doch er ließ mich erst gar nicht ausreden. "Ihr geht's schlechter." Ich war gerade dabei, meine Jacke auszuziehen, doch jetzt hielt ich Inne und starrte ihn entgeistert an. "Wa-warum? Was ist los?" erkundigte ich mich. Er zuckte hilflos mit den Schultern. "Sie isst und trinkt auf einmal nichts mehr, seit sie wieder da ist und-..." setzte er zur Erklärung an, doch diesmal unterbrach ich. "Wie 'wieder da'? Bitte sag nicht, dass ihr sie allein habt gehen lassen." "Sie wollte sich unbedingt mit ihrem Vater in einem Café treffen. Der hat sie hier abgeholt, also konnte nichts passieren." meinte er. "Mit ihrem Vater? Vielleicht hat sie dort was falsches gegessen oder so. Wann war das?" wollte ich wissen. "Vor 10 Minuten kam sie mit dem Bus hier an." erzählte Felix. Ich legte meine Hand auf seine Schulter. "Wenn es schlimmer wird, rufst du den Krankenwagen. Ich fahr jetzt dahin, vielleicht kann ich ihren Dad nach ihrer Bestellung fragen" verkündete und war so schnell verschwunden, wie ich auch hier stand. Ich raste zum Café. Völlig in Gedanken stieg ich aus. Ich war schon fast an der Eingangstür, als mir etwas auffiel. Langsam wandte ich mich um. Ein silberner Mercedes parkte direkt vor meiner Nase. Nein, das muss ein Zufall sein. Ich schüttelte den Kopf über meine beinahe paranoide Fantasie und öffnete die Tür. Ich musste zweimal hinschauen und mich in den Arm kneifen, bevor ich glaubte, was ich da sah. Das war wirklich der silberne Mercedes. Schiebler saß da an einem Tisch. Mit Nell's Vater. Jetzt stalkt der sogar den schon. Womöglich bedroht er ihn auch. Mich konnte nichts mehr halten. Entschlossen ging ich auf den Tisch zu. "Es ist doch immer wieder traumhaft mitanzusehen, wie diese Idioten daran verrecken." lachte Schiebler, was mich nun doch aufhielt. Die Bedienung hinter dem Tresen blickte mich schon etwas verwirrt an. "Kann man Ihnen irgendwie weiterhelfen?" fragte sie freundlich. Ich überlegte kurz und setzte mich schließlich am Tresen auf einen Hocker. "Einen Espresso, bitte." bat ich. Sie nickte nun und drehte sich um, woraufhin ich meine Kapuze über den Kopf zog und so tat, als würde ich auf meinem Handy schreiben. Doch ich konzentrierte mich voll und ganz auf das Gespräch zwischen Herrn Neuer und Schiebler. "Nicht mehr lange und wir haben sie so weit. Alle beide." sagte Herr Neuer. Schiebler lachte ungläubig auf. "Naja, wenn das weiter so schleppend läuft, kann das ewig dauern und dein Sohn steht uns auch irgendwie im Wege." meinte er. "Wenn sie erstmal auf dem besten Wege zum Pflegefall ist, wird auch der weich." entgegnete Herr Neuer. "Hat sie das Zeug überhaupt getrunken?" fragte Schiebler und ich sah aus dem Augenwinkel, wie er eine gebrauchte Tasse hochhob. "Ja, jedes Mal. Und die Kleine merkt es einfach nicht." antwortete Nell's Vater. "Trotzdem dauert es mir zu lang. Entwickelst du doch Vatergefühle oder warum ziehst du nicht endlich diesen verdammten Plan durch?! Am Anfang war sie ja echt heiß, aber dieses ständige Gesäusel mit ihrem Lover geht mir auf den Sack. Jetzt, wo sie so Schiss hat, wäre es langweilig sie durchzunehmen." zischte Schiebler. "So, Herr Götze, Ihr Espresso." verkündete die Bedienung laut. Scheiße. So schnell es ging, kramte ich einen Geldschein heraus und eilte aus dem Café. Mit klopfendem Herzen stieg ich in mein Auto und fuhr los. Als ich wieder bei mir zu Hause ankam, musste ich erstmal durchatmen. Das konnte nicht wahr sein. Wenn es so war, wie ich vermutete, dann waren die Geschehnisse der letzten Zeit eine einzige Lüge...

Liebe stirbt nicht {Mario Götze u.A.}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt