Kapitel 103

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Nell's Sicht:

"Nell?" hörte ich Schiebler meinen Namen sagen. Ich sah mich um, aber konnte ihn nirgends entdecken. Plötzlich werde ich am Handgelenk berührt. "Nein, lass mich!" rufe ich und schlage um mich. Die Finger legen sich fester um mein Handgelenk, nun auch an der anderen Hand. "Nell, beruhige dich!" raunte mir Schiebler zu. Ich begann zu weinen. Schiebler's Atem streift mein Gesicht. Ich schluchzte auf. Eine Hand ließ meine los und legte sich auf meine Wange. Sein Atem kam mir näher. Völlig wehrlos gab ich mich ihm hin und musste die Lippen auf meinem Mund ertragen. Er löste sich von mir, während bei mir nur stumm heiße Tränen unter meinen Augenlidern hervorquollen. "Nell, bitte. Du träumst." sagte die Stimme wieder. Nur klang sie diesmal besorgt, beinahe panisch. Ich schlug die Augen auf. Das war nicht Schiebler. Mario lockerte den Griff um mein Handgelenk und strich mit dem Daumen der anderen Hand leicht über meine Wange. Ich blickte zu ihm hoch, als hätte er sich gerade tatsächlich von Schiebler in Mario verwandelt. Mario hatte einen kleinen blutigen Kratzer am Kinn. Er bemerkte, wie ich darauf starrte. "Für deine Fingernägel braucht man echt einen Waffenschein." murmelte er noch etwas perplex. Ich hob die Hand und drehte sein Gesicht vorsichtig zur Seite. "Oh gott, das tut mir so leid!" sagte ich mit zitternder Stimme. Er lächelte leicht und legte seine Hand auf meine, die auf seiner Wange lag. "Ist okay. Hat nicht wehgetan." beruhigte er mich. Er rückte von mir ab und wartete, bis ich mich aufgesetzt hatte. Ich schälte mich aus der Decke. Alles war komplett durchgeschwitzt. Ich krabbelte zu Mario, der mich auf seinen Schoß zog. "Wovon hast du geträumt?" wollte er wissen. "Rate mal." nuschelte ich nur und sog tief seinen Duft ein. "Schiebler?" fragte er vorsichtig. Ich nickte nur leicht. Er atmete hörbar aus. Dann hob er mit den Fingern mein Kinn an. Seine braunen Augen verrieten mir, dass gleich eine Standpauke folgen würde. Ganz so schlimm war es nicht. "Verstehst du jetzt, warum du krankgeschrieben wurdest? Du brauchst Ruhe. Dringend." meinte er. Ich lenkte ihn ab, indem ich ihn küsste. Allerdings durschaute er mich. "Ist gut, ich halte meine Klappe." flüsterte er an meine Lippen. Ich löste mich von ihm und wollte aufstehen, wurde aber zurückgehalten. "Aber nur, wenn ich mehr bekomme." bettelte Mario und zog mich zurück. Ich musste lächeln. Als er mich aber ein weiteres Mal küssen wollte, drehte ich meinen Kopf weg. "Wir müssen doch noch packen." erinnerte ich ihn. "Mhmm, ist mir egal." murrte er und begann an meinem Ohrläppchen zu knabbern. Er drängte so lange, bis ich meinen Kopf zur Seite lehnte und er in Ruhe meinen Hals liebkosen konnte. "Da soll mir noch einer sagen, Männer würden nicht nur an das Eine denken." lachte ich und schob ihn weg. Er schob schmollend die Unterlippe vor. "Da kann ich doch nichts dafür. Du bist einfach zu heiß, Süße." grinste er und spielte an meinem BH-Träger herum. Natürlich hatten wir seit längerem nicht miteinander geschlafen, aber das war in letzter Zeit einfach das letzte, woran ich denken konnte. "Ich will dich nicht anlügen, Mario." begann ich, während ich nun wirklich aufstand. "Ich kann das noch nicht wieder. Und so gerne ich dir das geben würde, was du willst, möchte ich dir nichts vormachen." sagte ich unsicher und wartete auf seine Reaktion. Diese folgte sofort. Er atmete tief durch. "Okay." meinte er knapp. War er jetzt sauer? Ich sah ihn verwirrt an. Er laß meine Gedanken und griff nach meinen Händen. "Ey, das ist in Ordnung. Ich bin froh, dass du es gesagt hast. Ich will nichts tun, womit du nicht einverstanden bist. Ich kann warten. Aber versprich mir eins, ja?" forderte er. Ich nickte. "Hör auf, dich für deine Verletzungen zu schämen. Du weißt doch, dass du mir vertrauen kannst." fuhr er fort. Ich nickte nur erneut und schlang die Arme um seinen Nacken. Er hob mich hoch, sodass ich mich mit den Beinen an seiner Hüfte festklammern musste. Er trug mich ins Badezimmer. Dort stellte er mich vor der Dusche ab. Seine Finger griffen nach dem Saum meines Tops. "Ich rühre dich nicht an, okay?" versicherte er mir, bevor er mir mein Top über den Kopf zog. Ich sah ihm an, dass er sich zwingen musste, meine blauen Flecken nicht anzustarren. Er zog nun sein eigenes Shirt aus. "Willst du jetzt mit mir duschen?" wollte ich wissen. "Du hast mir gerade etwas versprochen. Also, hast du ein Problem damit?" gab er zurück. Ich musste grinsen. "Idiot." warf ich ihm an den Kopf. Er lächelte nur in sich hinein und drehte mich mit dem Rücken zu ihm. Ohne Umschweife öffnete er den Verschluss meines BHs. Dann löste er das Haarband aus meinen Haaren, weil diese zu einem lockeren Zopf geflochten waren. Er rührte sich einen Moment nicht mehr und blieb auch stumm. Stattdessen zeichnete er mit den Fingern von meinem Hals bis zur Schulter eine imaginäre Linie nach. "Ich liebe deine Haare." meinte er plötzlich. Allein von seiner Berührung hatte ich Gänsehaut bekommen, aber die Art, wie er das gesagt hatte, raubte mir regelrecht den Verstand. Ich gab ein nervöses Lachen von mir. "Ich dachte du liebst nur deine eigenen Haare." entgegnete ich. Er legte vorsichtig die Arme um meinen Bauch. "Ich liebe alles an dir." wisperte er. "Du bist verrückt." sagte ich. "Ich weiß." lachte er, streifte mir blitzschnell auch noch meine restlichen Klamotten ab und packte mich, um mich unter die Dusche zu stellen. Dann zog auch er seine Boxershorts aus und gesellte sich zu mir. Das heiße Wasser prasselte auf uns nieder. Mario legte die Hände um mein Gesicht und musterte mich. Dann beugte er sich vor, um mich zu küssen. Ich drückte ihn von mir und wandte mich ab. "Du wolltest mich doch nicht anrühren." erinnerte ich ihn. "Neeell!" jammerte er. "Du bist so kindisch." lachte ich verächtlich. Er grummelte nur vor sich hin. Hinter mir hörte ich, wie er den Deckel vom Duschgel aufmachte. Ich wunderte mich, was er damit vorhatte, blieb aber stur von ihm abgewandt. Im nächsten Moment landeten seine Hände mit einem schallenden Klatschen auf meinem Hintern. "Mario! Du bist so bescheuert!" fuhr ich ihn an. Er lachte nur und seifte mich jetzt komplett ein. Letztendlich endete alles in einer Schaumschlacht, wobei wir völlig die Zeit vergaßen. Für eine Weile konnte ich endlich alle Gedanken loslassen. Das Klingeln eines Handys holte uns aus unserer Spielerei. "Das ist meins." stöhnte Mario genervt auf. Ich stellte das Wasser ab. "Dann geh ran." forderte ich ihn auf und wollte aus der Dusche steigen. Mario hielt mich an der Taille zurück und küsste mich leidenschaftlich. Ich konnte nicht widerstehen und erwiderte den Kuss. Das Handy-Klingeln setzte erneut ein. "Vielleicht ist es wichtig." nuschelte ich an Mario's Lippen. "Ich geh ja schon." grummelte Mario zurück, küsste mich dann aber nochmal. Ich drückte ihn von mir, aber er wollte seine Lippen einfach nicht von meinen lösen. Das brachte mich in dem Kuss hinein schon zum grinsen. "Maaario!" mahnte ich. Er drückte mir einen weiteren kurzen Kuss auf, bevor er endgültig verschwand. Ich schüttelte dämlich vor mich hin grinsend den Kopf. Dann nahm ich mir ein Handtuch. Ich wickelte es mir schnell um, weil ich den Anblick der Verletzungen selbst nicht ertragen konnte. Ohne Mario wäre ich vollkommen aufgeschmissen. Ich hatte ständig das Gefühl, Schiebler würde dirwkt hinter mir stehen. Ich schüttelte den Gedanken schnell ab und lief zügig zum Kleiderschrank. "Ich kann hier nicht weg, Mum." sprach Mario gerade ins Telefon. "Nein, das geht auch nicht. Du weißt doch, was in den Zeitungen stand." fuhr er fort. Sie sprachen über mich. Ich suchte mir schnell Klamotten aus und warf sie auf das Bett. Mario warf mir einen kurzen Blick zu. "MUM! Ich kann dir nicht sagen, was mit ihr los ist! Das ist privat!" steigerte er sich mehr und mehr in das Gespräch rein. Er schlug sich verzweifelt die Hand vor das Gesicht. Ich ging jetzt entschlossen zu ihm und riss ihm das Handy aus der Hand. "Astrid?" meldete ich mich. "Nell, bist du das?" antwortete sie. Mario fuchtelte wild mit den Händen in der Luft herum. Er wollte nicht, dass seine Mutter wusste, was passiert war, aber wie er ihr bereits gesagt hatte. Es war privat. Meine Sache. "Hör zu Astrid. Mario will mich schützen. Er möchte mich nicht allein lassen, weil der Mann, der mich damals beinahe vergewaltigt hat, mir auflauert und mir was antuen will." erzählte ich die Kurzform. Mario gab sich geschlagen und ließ sich auf das Bett fallen. "Ach du meine Güte! Okay, das verstehe ich natürlich. Und Mario hat Recht! Pass auf dich auf, Kind." riet sie mir. "Das tue ich. Wie wäre es wenn ihr einfach bei uns vorbeikommt?" schlug ich vor. "Ach, nein. Es ging nur um ein Spiel von Felix, das ihm wichtig war. Aber er wird das verstehen." sprach sie. Ich zögerte. Nein, das wäre nicht fair. "Und wenn ich einfach mitkomme?" bot ich an. "Das habe ich auch vorgeschlagen! Aber Mario war nicht begeistert." meinte sie. "Nein, das geht schon, keine Sorge." versicherte ich ihr. "Das ist wirklich sehr selbstlos von dir. Felix freut sich bestimmt." sagte Astrid glücklich. Als ich auflegte und Mario sein Handy zurückgab, sah er mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. "Ich hab keine Chance, dich davon abzubringen, oder?" sicherte er ab. "Deine Familie ist wichtiger." gab ich stattdessen zurück. "Also nein." erkannte er und erhob sich. "Mir passiert nichts, versprochen." warf ich ein. "Das sagst du so leicht." murmelte er. Ich küsste ihn kurz. Er sah mich verunsichert an. "Jetzt komm, München wartet nicht. Außerdem haben wir heute abend was vor." verkündete ich und zog Mario mit zum Kleiderschrank. Wir packten also unsere Sachen. Ich würde wieder zu Mario ziehen, schließlich hatte ich keine andere Wahl. Was mit unseren Haus war, wusste ich nicht. Das ganze war in letzter Zeit so untergegangen. Nicht mal auf den Beinahe-Antrag konnte ich Mario bisher ansprechen. Aber jetzt konnte ich das auch nicht, das wäre unpassend. Wir verabschiedeten uns von den anderen und fuhren wie geplant nach München. Bei Mario angekommen packten wir nicht einmal unsere Sachen aus, sondern zogen uns direkt um, um zum Spiel von Felix zu fahren. Mich beschlich ein ungutes Gefühl. Schiebler würde jetzt nicht auftauchen. Oder doch? Wir saßen schon im Auto, als Mario seine Hand plötzlich auf meinen Oberschenkel legte. Ich sah ihn an. "Noch können wir umdrehen." laß er meine Gedanken. "Ach quatsch, alles gut." winkte ich ab. Mario atmete tief durch und konzentrierte sich wieder auf die Straße. Ich schob meine Hände in die Hosentaschen, um das Zittern zu verstecken. Wenn das jetzt schon so losging, konnte das nichts Gutes verheißen. In meiner Tasche konnte ich etwas ertasten. Mein USB-Stick, den ich so gut wie immer mit mir herum trug, denn auf dem war die Doktorarbeit gespeichert. Ehe ich mich versah, waren wir da. Wie schon einmal hatte es sich von irgendwo ausgebreitet, dass Mario seinem Bruder zuschauen würde. Glücklicherweise nur Fotographen und keine Reporter. Mario beförderte uns mit dem Arm um meine Taille ins Innere des Stadions. Wir suchten Mario's Eltern auf und setzten uns zu ihnen auf die Tribüne. Das Spiel lief nicht so gut. Auch wenn die gegnerische Mannschaft kein Tor schoss, spielten sie sehr aggressiv. Astrid und Jürgen, aber vor Allem Mario, der sich ziemlich hineinsteigerte, sahen das gar nicht gern. Als schlussendlich auch noch Felix schwer gefoult wurde, sprang Mario auf. Astrid und ich griffen je nach einer seiner Hände, da bemerkten wir erst, dass es wirklich sehr schlimm war. Felix stand nicht mehr auf. "Mario?" wollte ich ihn aus seiner Trance holen. Erst beim zweiten Mal reagierte er. "Ich geh nach ihm sehen, wenn es dich beruhigt." bot ich an. Mario schluckte und nickte dann knapp. Ich lief also zügig hinunter. Währenddessen musste Felix mit einer Trage weggebracht werden. Ich lief durch den Spielertunnel und irrte durch die Katakomben. Als ich glaubte, den Trainer von Felix gefunden zu haben, fragte ich diesen, wo Felix war. Er sagte, er würde gerade von ihrem eigenen Arzt behandelt, ich könne in der Kabine warten. Er wusste anscheinend, wer ich war und nahm meine Hilfe liebend gern an. Ich tat also wie geheißen und setzte mich in der Kabine auf die Bank. Es war totenstill. Ich fühlte mich unwohl. Irgendwann wurde mir langweilig und ich zog meinen USB-Stick aus der Tasche und drehte ihn zwischen den Fingern hin und her. Ich hörte Schritte auf dem Gang. Als ich genauer lauschte, wurde mir klar, dass das nicht Felix sein konnte. Genau in dem Moment, als mir einleuchtete, wem diese Schritte gehörten, schwang die Tür auf und er trat ein. Mein Gefühl hatte mich nicht getäuscht. Als er mich erblickte, schlug er die Tür zu und stellte einen Rollwagen für Handtücher davor, damit man sie nicht mehr öffnen konnte. "So Schätzchen, sieht man sich auch mal wieder." begann er direkt. Mir hatte es die Sprache verschlagen. Er kam auf mich zu. Mein Körper zitterte nicht, er zuckte. "Du hast Schiss, was? Dabei will ich dir doch gar nichts tun. Zumindest heute nicht." verkündete er fröhlich. Ich starrte ihn nur weiter ängstlich an. Er nahm mir mit einer schnellen Bewegung den USB-Stick aus der Hand. "Was ist das?" wollte er grob wissen. Meine Stimmbänder schienen eingerostet. Schiebler schupste mich heftig. "WAS IST DAS?" wiederholte er lauter. "M-meine Doktorarbeit." brachte ich leise hervor. Er lachte schallend. "Deine Doktorarbeit? Das ist echt das lustigste, was ich je gehört habe." meinte er. Bevor ich reagieren konnte, setzte er einen eisigen Blick auf und zerbrach den Stick mit Leichtigkeit in zwei Teile. Ich konnte nur zusehen, wie er ihn anschließend fallen ließ und drauf trat. "Merk dir eins, Schätzchen: Mit mir legt man sich nicht an. Und solltest du versuchen, deinem Mario zu erzählen, was hier passiert ist, dann kannst du was erleben. Aber was sage ich dir das, du hast den Fehler ja schon einmal gemacht, nicht?" lachte er spöttisch. Mit diesen Worten drehte er sich um und ließ mich zurück. Als ich langsam in die Realität zurückfand, wurde mir klar, was gerade passiert war. Meine Doktorarbeit. Weg. Alles futsch. Ich hob mit zitternden Fingern die Überreste des USB-Sticks auf, als diesmal wirklich Felix die Kabine betrat...

Liebe stirbt nicht {Mario Götze u.A.}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt