Krieg und Frieden

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Und dann stand er da. Mario Götze. Der Wunderjunge des BVB und mein bester Freund, oder nicht mehr bester Freund. Was auch immer.

Ich atmete tief ein und Band meine Schulterlangen Haare zu einem Zopf, da sie mir durch den starken Wind im Gesicht hangen und das konnte ich ganz und gar nicht leiden, dann konnte man sich nicht konzentrieren und dann konnte man nicht auf seinen Gegenüber achten, weil man minutenlang damit beschäftigt war, die Haare aus dem Gesicht zu wischen, oder so.

Jedenfalls setzte ich nun einen Fuß vor den Anderen und war in kurzer Zeit vor dem Mittelfeldspieler angekommen.

Doch dieser Ignorierte mich gekonnt, ohne auch nur im Ansatz mit der Wimper zu zucken. Er schoss einfach nur Energiegeladen auf das Tor, ohne halt und ohne, dass er auf das Geschehen um ihn herum achtete. So, als wäre er in Trance.

Ich seufzte, nahm all meinen Mut zusammen und stellte mich an den Pfosten des Tores.

"Mario, es tut mir leid." Ich seufzte und schaute ihn bemitleidenswert an. So nach dem Motto, drück auf die Tränendrüse und alles wird dir verziehen, oder so.

Aber das brachte nichts, er blieb stur und schoss weiter und weiter auf das Tor. Ich seufzte. Ein Versuch war es wert.

Aber ich wollte für ihn da sein, also schwang ich mich kurzerhand auf das Tor und beobachtete seine Abschlüsse.

Im Training könnte mir das sogar zu Gunsten sein, schließlich konnte ich gerade aus der besten Perspektive seinen Schuss analysieren.

Doch mit jedem Schuss, den er mit seinem starken Bein machte, wurden seine vorher noch präzisen und souveränen Abschlüsse, schlechter und schlechter.

Ich seufzte, starrte auf die Uhr. "Mario, es ist um vier! Du musst schlafen! Morgen ist ein Spiel!" Befehligte ich ihn und auch darauf reagierte der störrische Idiot nicht.

Immernoch fokussiert sah er auf den Ball und beendete Schuss für Schuss. Holte den Ball und machte wieder einen Schuss, holte den Ball und wiederholte alles wieder und wieder.

"Es tut mir so unendlich leid, Sunny..." Ich schüttelte, von mir selbst enttäuscht, den Kopf und biss mir auf die Unterlippe.

Doch er blieb stur.

"Tais-Toi! Tais-Toi! Tais-Toi!" Und auf einmal begann er auf den Boden zu stampfen und wild gestikulierend im Kreis zu laufen.

Und immer wieder schrie er 'Tais-Toi!' was auch immer das heißen sollte, schließlich sprach ich kein französich. Misstrauisch sah ich den Dunkelblonden an und musterte ihn, während er wie verrückt im Kreis rannte.

"Je ne peux pas t'aider! Partez! Je ne peux plus..." und immernoch lief er wie wild geworden vor dem Tor rum und starrte dabei auf den Boden.

Ehrlich: ich glaube, er erleidete gerade einen Nervenzusammenbruch und er sprach französich und das fließend! Ich hatte ihn noch nie französich sprechen hören.

"Sunny, beruhig dich!" Ich zog die Augenbrauen zusammen und runzelte die Stirn. Irgendwie machte er mir Angst. Irgendwie hatte ich Angst um ihn, sollte ich eventuell jemanden rufen?

Einen Arzt?

Vielleicht hatte er seine Deutschkenntnisse verloren?

Verdammt.

"Je ne peux plus! Je ne peux plus!" Und immer noch lief er im Kreis und würdigte mich keines Blickes, lief stur weiter und gestikulierte dabei wild umher.

Ich biss mir auf die Unterlippe und dachte scharf nach. Schließlich entschied ich mich dazu, nachdem Mario immer noch stur im Kreis lief und wilde Sprüche auf französich quasselte, vom Tor zu springen und ihn zu beruhigen.

Gesagt, getan. Ich sprang vom Tor und ging entschlossen auf ihn zu. Schnellen Schrittes und schwer atmend. Mein Herz raste und mein Puls war bei hundertachzig plus, oder so.

"Ne vous approchez pas de moi!" Er sah mich an und blieb kurz schockiert stehen, machte dann aber kurz kehrt und lief störrisch weiter.

"Verdammt, Mario! Beruhig dich!" Nun wurde ich lauter, doch er machte immer weiter und immer weiter.

Er stoppte nicht, also stellte ich mich vor ihn, sodass er fast gegen mich rannte, packte ihm am Ärmel und schüttelte ihn einmal kräftig. "Verdammt, halt endlich deine Klappe!" Nun war ich es, die wild Schrie.

Mario schaute mich schockiert an. Seine Augen waren glasig und mit Tränen gefüllt.

Als er sich dann endlich beruhigt hatte, umarmte ich ihn einmal fest. Ich ließ ihn nicht los, war für ihn da und spendete ihm Nähe.

Als sich dann seine Muskeln entspannten, erwiderte er die Umarmung und umfasste mich fest, legte sein Kinn auf meine Schulter und nun wusste ich, der Spuk war endgültig vorbei.

"Ich schaffe das nicht mehr, Leo..."

"Ich weiß..."

•••

Hier einmal ein französich-lexikon, für die Leute unter uns, die kein Französisch sprechen...

Tais-Toi! : Sei ruhig!

Je ne peux pas t'aider! : Ich kann dir nicht helfen!

Partez! : Hau ab!

Je ne peux plus... : Ich kann nicht mehr ...

Ne vous approchez pas de moi! : Komm nicht näher!






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