Gewissen

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Ich wusste nicht, was ich mit meinen Gewissen vereinbaren sollte. Klar, ich hatte etwas gesagt. Ich hatte gesagt, dass ich Angst habe und dass ich Angst habe, meine Freunde zu verletzen, wenn ich mein Geheimnis erwähne, aber das war nichteinmal ein Drittel des Gesamten.

Aber auch Bastis Geheimnis konnte ich nicht verarbeiten und nicht mit ihm umgehen.

Und ob es nun den Jungs nun noch schwerer fällt, heute zu spielen? Sie verlieren schließlich ihren Kapitän und eine solche Nachricht erhält man nicht alle Tage, oder hilft es den Profis dabei, sich besser zu konzentrieren und für Basti das Ding mit nach Hause zu bringen?

Wie dem auch Sei, auf jeden Fall mussten wir uns jetzt zu hundertzehn Prozent auf das Spiel gegen Italien konzentrieren, denn Italien spielte mehr als eine gute Europameisterschaft und war ein schwerer Gegner.

Also setzte ich mich so wie immer auf mein geliebten Stuhl und hoffte still schweigend darauf, dass die Jungs endlich aufliefen. Die zwanzig Minuten, die ich diesmal zu früh auf dem Stuhl saß und auf den Monitor starrte, fühlten sich an die Millionen Minuten und die Rede, die der Bundestrainer wahrscheinlich gerade hielt, war zu hundert Prozent nicht angenehm.

"Wenn du jede Sekunde auf die Uhr guckst, geht die Zeit auch nicht schneller um."

"Was?" Ich schüttelte mich verträumt und drehte mich auf meinem Drehstuhl so um, dass ich Finn, der wie immer mit mir mitgereist war, ansehen konnte.

"Wieso bist du denn so nervös?" Der Blonde lachte leise auf und lächelte mich schief an.

"Das ist das Viertelfinale." Ich zuckte mit den Schultern und starrte wieder gespannt auf den Bildschirm.

Tatsächlich war ich aufgeregt. Aufgeregter als sonst sogar, denn wenn wir heute rausfliegen würden, wäre es das gewesen und wenn ich daran erinnern darf; ich war immer noch nicht bereit, das heute alles enden zu lassen.

Nicht mit diesem Gewissen und nicht mit diesem Geheimnis.

Auf jeden Fall hätte ich liebend gern ein Pulsmesser gehabt, denn sobald die Profis aufliefen, pochte mein Herz so schnell, als würde es hier um Leben und Tod gehen, was nicht der Fall war, trotzdem berührte mich diese Geschichte mehr, als alles andere.

Es war schließlich meine Geschichte.

Meine Geschichte, die hier und jetzt ein Ende finden konnte und die ich mit einem Gewissen beenden müsste, womit ich nicht klar kommen würde.

Also zog ich, wie immer, meine Schuhe aus, was mir irgendwie jedes Mal half, mit meiner Nervosität umzugehen und starrte gespannt auf den Monitor.

Ich erklärte mit zitternder Stimme die beiden Aufstellungen und dass Jogi Löw dieses Mal nicht auf Julian Draxler im Mittelfeld setzte, aber seine Abwehrkette mit Höwedes stärkte.

"Bereit für neunzig Minuten pure Emotionen?" So startete ich vor Aufregung dieses Mal meine Kommentation.

Zu dem Zeitpunkt ahnte ich auch nicht im Ansatz, wie wichtig ich einem Profi werden würde und dass ich auch dieses Mal wieder viel zu naiv war.

Aber was soll's, das konnte ich wenigstens mit meinen Gewissen vereinbaren.

"Der Ball fliegt und die erste Minute beginnt!" Aufgeregt starrte ich auf den Monitor.

Nun war es soweit. In den nächsten neunzig Minuten konnte sich alles entscheiden und ich war definitiv noch nicht bereit, um etwas enden zu lassen, worin ich mein ganzes Herz und meine Seele und meine Kraft gesteckt hatte.

Wie gefesselt starrte ich auf den Bildschirm. "Unsere Jungs schalten direkt den Vorwärtsgang ein. Özil - Flanke. Bonucci köpft die Flanke aus dem Strafraum."

Keiner hatte gesagt, dass das Spiel gegen die Italiener leicht werden würde, aber es hatte auch keiner gesagt, dass das Spiel schwer werden würde und nach der ersten Flanke in der zweiten Minute hatte ich tatsächlich etwas Mut gefasst.

Doch in der zwölften Minute stockte uns vorerst der Atem. "Freunde. Khedira muss raus." Schwer atmete ich, so, als wäre ich den ganzen Weg hier her gesprintet, dabei saß ich nur und sah perplex auf den Bildschirm.

"Sechzehnte Minute und unser geliebter Capitano bekommt seinen Einsatz!" Ein großes Grinsen bildete sich auf meinen Lippen.

Jetzt hatte er auch die Chance, seine Mannschaft diesen Sieg zu bringen und seine letzten Spiele für uns zu spielen.

Obwohl mir dieser Gedanke Angst machte.

Unsere Mannschaft wäre ohne Basti nicht mehr die selbe.

Sie wäre anders.

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