Still schweigen

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Nach einer langen, nicht erholsamen und anstrengenden Nacht wachte ich auf. Alle schliefen. Nur Jonas saß schon wach auf seinem Bett, las die neuste Kicker und schwieg.

Aber auch ich wollte nichts sagen. Kein Wort. Ich wusste nicht mehr, was ich sagen sollte. Es hatte sich ausgesprochen. Es war Schluss. Ein für alle Mal.

"Wo warst du gestern?" Bastian und Lukas waren in unser Zimmer gekommen, ohne zu klopfen und hatten, ohne sich vorher umzusehen, einfach angefangen zu reden.

"Gestern?" Argwöhnisch musterte ich die zwei Freunde. Ich begann laut zu seufzen und schlug mir mit der Hand gegen die Stirn. "Die Verabredung in der Mensa..." Ich hatte sie einfach vergessen. Ich war so damit beschäftigt, entrüstet und perplex zu sein, dass ich Basti und Lukas total vergessen hatte.

"Es tut mir so leid, Jungs..." entschuldigte ich mich, doch als Lukas nur eine Augenbraue nach oben zog und mich missmutig ansah, stöhnte ich leise auf. "Ich war gestern einfach nicht mehr gut drauf..." und das was nichtmal gelogen, oder eine billige Ausreden.

"Wir hatten doch ausdrücklich gesagt, dass keine Ausreden gelten..." und damit, mehr oder weniger enttäuscht, mehr oder eingeschnappt, gingen die Zwei aus dem Zimmer.

"Düm, dum, dom..." machte Jonas nur, stand auf und verließ ebenfalls das Zimmer.

Und das erste Mal auf dieser Reise fühlte ich mich vom Karma eingeholt. Das erste Mal fühlte ich mich allein gelassen und missverstanden. Das erste Mal hatte ich das Gefühl, alles kaputt gemacht zu haben.

"Läuft nicht so gut, was?" Marco hatte die Augen leicht geöffnet, starrte mich an und lächelte einmal süß.

" Halt einfach die Klappe, Borusse..." sagte ich leise, stand auf und verließ ebenfalls das Zimmer. Ich hatte nun endgültig nicht mehr genug Selbstbewusstsein, um vor die Jungs zu treten.

Ich setzte mich also in die Mensa, samt meines Buches, um ein wenig zu lesen, aß mein Müsli und musste nicht mehr länger, als eine Stunde warten, ehe wir sowieso zum Halbfinalsspiel gegen Frankreich aufbrechen würden.

"Alles gut bei dir?" Mats Hummels, charmant wie er war, setzte sich mit einem leicht besorgten Gesichtsausdruck zu mir.

Eigentlich wollte ich gar nichts sagen, aber zu ein wenig Smaltalk konnte ich mich tatsächlich überreden.

"Wo ist der Haken?" Grummelte ich. Mehr wollte ich nicht wissen. Nur, wieso er mit mir sprach, obwohl wir uns schon wieder in den Haaren hatten. Nur, ob er immer noch etwas für mich empfand, oder wieso er mich wissen lässt, dass ich niemals eine Chance hätte. Ja, das würde ich gern wissen.

"Es gibt keinen Haken." Argwöhnisch musterte der Verteidiger mich, aß genüsslich sein Brot und lächelte leicht.

"Wir hatten uns gestern noch in den Haaren..." murmelte ich aber leise, hörte auf zu essen und sah ihn an.

"Das? Das nennst du in den Haaren haben?" Leise lachte er auf. "Ich nenne es die weiße Fahne heben." Er zuckte mit den Schultern und grinste.

"Also... alles wieder gut?" Ich runzelte die Stirn. Irgendwie glaubte ich es ihm nicht. Irgendwie glaubte ich hier niemandem etwas. Irgendwie hatte ich in allem was wir hier machten den Sinn verloren. Irgendwie hatte ich Angst, jedes Mal enttäuscht zu werden.

"War denn schon irgendwann mal irgendetwas?" Wieder lächelte er leicht und wieder biss er genüsslich von seinem Brot ab.

"Ok Mats, das ist jetzt echt lächerlich... was ist los?" Fragte ich ihn ernst, schob meine Müslischüssel einige Centimeter von mir weg und beugte mich leicht vor.

"Ach Verdammt, ich weiß es doch auch nicht... Ich bin genau so unwissend wie du!" Erklärte er mir, versuchte die richtigen Worte zu finden, doch richtig überzeugt hatte er mich immer noch nicht.

"Was willst du wieder von mir, Mats?" Ich wurde leiser. Irgendwie hatte ich einen Kloß im Hals. Jedenfalls konnte ich meinen Satz nicht richtig vergessen.

"Ich will dich nicht mehr belügen, indem ich Schweige, Leo! Ich will mich selbst nicht mehr belügen..."

•••

Und damit herzlich Willkommen zur Lesenacht! Und herzlich Willkommen zum Trip to the Wonderland!

Habt Spaß und genießt es!

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