Cole

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Der Mond warf sein blasses Licht auf den Wald unter mir und die Kälte machte meine Gedanken seltsam klar. Was mir in den letzten Tagen klar geworden war, war, dass ich, so sehr ich auch in Kai verliebt war, niemals mit ihm zusammen kommen würde. Hier in diesem Wettkampf waren wir Freunde geworden und ich glaubte nicht daran, dass er mich liebte, wie ich ihn, denn sonst hätte er heute nicht mit einer solchen Aggressivität gekämpft. Nein, ich würde es ihn auch niemals sagen, dass ich in ihn verliebt war, ich wollte unsere Freundschaft nicht zerstören. Von nun an würde ich ihn nur noch aus der Perspektive eines stillen Verehrers betrachten.

„Ich dachte mir schon, dass du hier bist", sagte eben der, um den sich meine Gedanken eben noch gedreht hatten. „Du magst den Ort hier oder?"

Ich sagte nichts und sah nur durch die Stäbe des Geländers nach unten. Kai setzte sich neben mich und steckte ebenso wie ich seine Füße unter dem kleinen Metallzaun durch und ließ seine kurzen Beine baumeln.

„Redest du nicht mehr mit mir?", fragte er.

Abwartend sah er mich an.

„Du hast seit dem Kampf kein Wort mehr mit mir geredet", fuhr Kai fort, als er merkte, dass er keine Antwort von mir erhalten würde.

Stimmt das hatte ich nicht, generell war ich ihm aus dem Weg gegangen und hatte die letzten Duelle geschwänzt. Es waren eh keine, wo ich anwesend sein musste. Dereth gegen Evan und Zane gegen Ben.

Wie ich gehört hatte war Evan nicht einmal zu seinem Duell erschienen und Dereth hatte seinen dritten Punkt bekommen, neben den zwei Punkten aus dem Unentschieden mit Ben.

„Hör mal Cole", begann Kai wieder. „Es tut mir leid wie ich mich im Duell verhalten habe. Ich war so arrogant und überheblich. Das wollte ich nicht, ich hab nur die ganze Zeit gedacht, dass ich gewinnen muss, damit ich in Lloyds Team komme und nicht mehr... nicht mehr so unnütz bin. Ich will doch nur ein Ziel haben und einen Sinn."

Als ich meinen Kopf zu Kai drehte bemerkte ich, dass er weinte. Stumme Tränen, die im Mondlicht glitzernd seine Wange herab rannen.

Wie gerne hätte ich ihn in den Arm genommen, aber das würde meinem Beschluss von eben zuwider laufen.

„Mein ganzes Leben lang habe ich einfach nur gelebt ohne wirklich etwas bewegt zu haben, ohne einen Sinn gehabt zu haben. Das will ich nicht mehr, so will ich nicht mehr leben. Ich will anderen etwas bedeuten und ich will wichtig sein, sonst habe ich doch nichts", Kai schluchzte einmal auf, er sah so verletzlich aus, wie er zusammengekrümmt da saß und weinte.

Kurz überlegte ich, dann rutschte ich näher und legte einen Arm um Kai. Er lehnte sich an meine Brust und weinte. Zögerlich strich ich ihm durch die Haare.

„Du bist nicht unnütz Kai, immerhin hast du für deine Schwester gesorgt. Und es gibt Menschen, für die du wichtig bist und denen du etwas bedeutest. Deine Schwester zum Beispiel... und mir auch. Du bist mein Freund", ich verstummte kurz. „Mein bester Freund."

Allmählich beruhigte Kai sich wieder und setzte sich wieder gerade hin.

„Du bist auch mein bester Freund, Cole", sagte Kai und lächelte.

Ich lächelte zurück, obwohl mein Herz sich schmerzhaft zusammen zog.

Du bist noch so viel mehr für mich Kai, dachte ich. Aber das wirst du nie wissen.

„Danke, dass du mich getröstet hast, ich dachte schon du wärst unglaublich sauer auf mich", sagte Kai nach einer kurzen Pause des Schweigens.

„Nein, ich bin nicht sauer", sagte ich wahrheitsgemäß. „Ich brauchte nur Ruhe um nachzudenken."

Zum Beispiel darüber, dass ich hoffnungslos verliebt war und dass ich meine große Liebe Oberkörperfrei gesehen hatte und fast gesabbert hätte bei dem Anblick. Warum musste er sich zum Kämpfen auch so weit ausziehen?

„Es dauert nicht mehr lange, dann ist dieser Wettkampf zu Ende", sagte ich.

„Ja, stimmt", meinte Kai und boxte mich leicht gegen die Schulter. „Ich wette, dass zu erster wirst und ins Team kommst."

„Meinst du?", fragte ich. Ehrlich gesagt hatte ich meinen aktuellen Stand nicht verfolgt und wusste nicht wie die anderen waren.

„Doch klar, es ist zwar erst nach dem letzten Duell entschieden, aber ich bin mir sicher, dass du es schaffst. Außer gegen mich hast du doch bisher jedes Duell gewonnen."

Das stimmte, ich hatte alle gewonnen. Wenn das so weiter ging, dann bedeutete das wirklich, dass ich von meinem Vater und seinen Fesseln in Form von Ansprüchen und Erwartungen an mich, frei war!

„Wir werden es sehen", sagte ich

„Hast du dir eigentlich überlegt wie es in Lloyds Team sein wird?", fragte Kai.

Gute Frage, eher weniger. Meine Gedanken waren zu sehr im Hier und Jetzt um über die Zukunft nachzudenken.

„Nein", sagte ich. „Du?"

„Auch nicht wirklich, aber ich hoffe wir kommen beide in das Team, das würde sicher lustig", meinte Kai und legte sich auf den Rücken.

„Ja", sagte ich. Ich müsste dich jeden Tag sehen, in dem leisen Wissen, dass du unerreichbar bist. „Das würde bestimmt lustig."

„Warum bist du hier, Cole? Ich meine Warum hast du beschlossen einfach zu so einem Wettkampf zu kommen, von einem Typen, den du nur vom Namen her kennst, um in sein Team zu kommen, von dem du nicht weißt was es überhaupt tun soll?"

Ich legte mich neben Kai auf den Rücken und sah nach oben. Die Nacht war so klar, dass ich fast alle Sterne sehen konnte.

„Es ist mein Vater", sagte ich. „Er wollte immer, dass ich so bin wie er. So musikalisch, so künstlerisch und so hingebungsvoll. Aber das bin ich nicht. Ich liebe Sport und den Kampf, ich schreibe keine Opern oder entwerfe Choreografien, ich spiele in keiner Band und habe auch keine eigene Ausstellung in einer Galerie. Ich gehe heimlich ins Fitnessstudio und zum Kampftraining, ich spiele mi anderen Basketball oder gehe klettern. Im Umkreis meines Heimatdorfes bin ich schon gefühlt auf jeden Berg geklettert, mehrfach. Mein Vater wollte nichts davon wissen, immer wenn ich von einer Tour zurück bin, dann hat er nur vorwurfvoll geschaut und mir eine Woche Hausarrest verpasst. Unter seinen Augen durfte ich dann die ganzen nächsten Tage verschiedene Tänze üben. Ich hatte es einfach so satt."

„Und dann bist du hier her gekommen", sagte Kai.

„Ja", sagte ich.

„Weiß dein Vater wo du hin bist?"

„Nicht wirklich", sagte ich. „Ich sagte ihm, ich würde auf die Akademie für darstellende Künste gehen."

„Du hast ihn angelogen", stellte Kai fest.

„Es war der einzige Weg, sonst hätte er mich nicht gehen lassen", sagte ich. „Und glaub mir, es ist mir nicht gerade leicht gefallen."

Kai nickte leicht.

„Ich finde du solltest nicht so hart mit deinem Vater sein, auch wenn er dir jetzt auf die Nerven geht und du dir nichts mehr wünscht als möglichst weit weg zu sein. Aber wenn... wenn er dann wirklich weg ist, dann bereust du es."

Ich sah zu Kai, eine stumme Träne rollte über seine Wange.

Er sprach aus eigener Erfahrung, das wusste ich ohne, dass ich fragen musste. Man sah es. Und es tat mir im Herz weh ihn so zu sehen.

Wie gerne hätte ich ihn jetzt in den Arm genommen. Stattdessen lagen wir stumm nebeneinander auf dem Dach der Arena und blickten schweigend in den Himmel. Der eine lauschte dem Atem des anderen. In stiller Einigkeit.

ElementaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt