Lloyd

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Ich erwachte langsam und war im ersten Moment desorientiert. Dann sah ich Daith neben mir. Er schlief. Ich lächelte und wollte mich bewegen, als ein apokalyptischer Schmerz durch mein Bein zuckte und sich als Schrei seinen Weg durch meine Kehle hinaus bahnte.

Sofort war Daith hellwach und ich konnte froh sein, wenn nicht auch Pya und Zane wach waren. Ich ging davon aus, dass sie in dem anderen Zelt waren.

„Lloyd, Lloyd. Nicht bewegen", sagte Daith und drückte mich sanft zurück in meine Kissen. Der Schmerz ließ langsam nach und hinterließ nur ein leichtes, aber unangenehmes pochen in meinem Bein.

Ein stöhnen kam aus meinem Mund ehe ich zu sprechen ansetzten konnte.

„Was ist mit meinem Bein?", fragte ich.

„Pya vermutet, dass es gebrochen ist, aber sie muss sich das heute bei Tageslicht noch einmal genauer ansehen. Geht's?", fragte Daith und sah mich besorgt an.

„Nein", sagte ich und dachte wie süß seine Sorge um mich doch war. „Nicht wirklich."

„Du solltest noch ein bisschen schlafen", sagte Daith und ich nickte.

„Aber nur wenn du dich auch noch hinlegst, nichts für ungut, aber du siehst selbst im Dunkeln ziemlich müde aus", sagte ich.

„Na gut", räumte Daith ein und ich konnte sehen, wie er sich hinlegte. Gefühlte Kilometer von mir weg, ganz ans andere Ende des Zeltes.

Aus irgendeinem Grund machte mich das etwas traurig.

Das Schweigen breitete sich aus und es war keine angenehme Ruhe.

„Schläfst du schon Lloyd?", fragte Daith irgendwann leise vom anderen Ende des Zeltes.

„Nein", sagte ich leise.

„Gut", sagte Daith. „Ich würde gerne noch etwas mit dir reden."

Mir wurde etwas kälter, denn ich konnte mir schon vorstellen, worüber.

„Geht es um meinen Vater?"

„Nein, dein Vater ist mir egal, ich mag schließlich seinen Sohn und nicht ihn", sagte Daith ins Dunkel hinein.

Ich war erstaunt, das hatte ich noch nie von Menschen gehört, die erfahren hatten, wer mein Vater war.

„Meinst du das ernst?", fragte ich.

„Ja", sagte Daith. „Ich finde, dass du deinem Vater gar nicht ähnlich bist. Dein Vater ist verdorben und von innenheraus böse. Aber du, du bist das genaue Gegenteil von ihm. Und wenn jemand sich nur wegen deines Vaters von dir abgewandt hat, dann ist dieser jemand es nicht wert zu deinen Freunden zu gehören."

Da konnte ich nichts mehr sagen, da ich Angst hatte, dass ich gleich vor Rührung weinen musste.

Seine Worte berührten etwas tief in mir und gaben mir das Bedürfnis ihn in die Arme zu nehmen. Die Distanz zwischen uns, diese Leere zwischen seinem Schlafplatz und meinem schien mir auf einmal unerträglich.

„Willst du wirklich dahinten schlafen?", fragte ich schließlich.

„Wo soll ich denn sonst schlafen?", fragte Daith.

„Komm doch etwas mehr zu mir", sagte ich.

Ein zögern, dann hörte ich wie er mit seinem Schlafsack herkam. Allerdings für meinen Geschmack immer noch zu weit weg.

„Komm noch etwas näher", sagte ich.

Daith kam noch näher, er war jetzt fast direkt neben mir. Ich konnte fast den Duft seiner Haare riechen und das machte mich ganz verrückt, aber es war besser, als diese schreckliche Distanz.

„Du wolltest mich noch etwas fragen, wenn ich mich recht erinnere", sagte ich, gespannt was er mir sagen wollte.

„Ach", sagte Daith. „Das ist nicht sooo wichtig. Wahrscheinlich ist es auch besser, wenn ich dich das nicht jetzt Frage."

„Okay"; sagte ich und schwieg kurz. Daith auch. Schon lustig, wenn man bedenkt, dass er Jays Cousin war.

„Wie ist eigentlich so das Verhältnis zwischen dir, Daemon und Jay?", fragte ich.

„Jay und ich haben früher ganz gerne mal gespielt oder an Erfindungen gebastelt. Daemon hasst Jay. Mehr gibt's dazu nicht zu sagen. Warum weiß ich auch nicht. Vielleicht wegen der Sache oder sonst was. Keine Ahnung, aber ich finde Jay, abgesehen davon, dass er immer mit allem, was er sagt Maßlos übertreibt und einfach nicht die Klappe halten kann, ganz okay."

„Ich finde man merkt überhaupt nicht, dass ihr miteinander verwandt seid", sagte ich, obwohl mir etwas ganz anderes auf der Zunge brannte. Nämlich die Frage nach der Sache.

Welche Sache? Und was hatte damit Jay zu tun?

„Was ist diese Sache von der du geredet hast?", fragte ich.

Daith schwieg.

Gerade als ich dachte, ich bekäme keine Antwort mehr begann er doch mit leiser Stimme zu erzählen.

„Als wir noch klein waren, so etwa sieben oder acht, da haben Jay und ich etwas gebaut. Eine Maschine. Sie war unser Meisterstück und unser ganzer Stolz. Dann zogen Daemon und ich mit unseren Eltern fort und ich sah Jay lange Zeit nicht mehr. Die Maschine geriet in Vergessenheit, so dachte ich. Aber Jay baute weiter daran und als wir uns wieder trafen, Jahre später präsentierte er mir sein Wunderwerk. Ich muss wirklich sagen, dass es Mechanik vom feinsten war. In der Nacht, als Jay schlief tat ich kein Auge zu. Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich schlecht, weil ich unser Projekt vergessen hatte und Jay nicht. Ich wollte es wieder gut machen, also stieg ich noch in derselben Nacht in Jays Schuppen, der auch gleichzeitig seine Werkstatt war ein. Dort war die Maschine.

Ich wollte ihr noch den letzten Schliff in Sachen Designe geben, also begann ich daran herumzuwerkeln." Daith seufzte leise. „Es war der größte Fehler von allen. Aber das wusste ich in diesem Augenblick noch nicht. Aber während ich einige optische Verbesserungen vornahm verstellte ich wichtige Dinge. Dann am nächsten Tag wollten wir sie ausprobieren, unsere Maschine. Leider musste ich dazu die Verkleidung wieder abnehmen, weil sie sonst nicht funktionierte, aber Jay freute sich, dass seine Erfindung nun auch, wenn sie nur herumstand gut aussah." Wieder stockte er.

„Was war das für eine Maschine?", fragte ich.

„Eine Flugmaschine. Wir hatten sie bisher noch nicht wirklich getestet, aber das wollten wir nun ändern. Ich bot mich freiwillig als erster an und Jay gewährte mir meinen Wunsch. So stand ich also auf dem höchsten Berg auf dem Schrottplatz von Jays Eltern und wartete auf das Zeichen zum Start."

Daith atmete hörbar aus, als erlebe er das Vergangene noch einmal. „Jay gab mir das Zeichen und ich flog los. So weit, so gut, würde man jetzt sagen, aber dadurch, dass ich einige Einstellungen verändert hatte konnte Jay den ganzen Apparat nicht mehr aus der Ferne steuern und ich auch nicht. Der Wind trug mich davon und ich stürzte irgendwann ab."

Ich sah vor meinem inneren Augen, wie Daith vom Himmel fiel. Wie ein Vogel mit gebrochenen Flügeln.

„Ich erwachte im Krankenhaus. Die Ärzte meinten ich hätte gerade so überlebt, weil mein Cousin da gewesen war und mich so lange versorgt hatte bis die Sanitäter da gewesen sind. Ich verdanke Jay also mein Leben."

„Und weshalb genau hasst Daemon Jay? Ich meine er war es doch, der dir das Leben gerettet hat."

„Keine Ahnung. Wer weiß schon was im Kopf meines Bruders abgeht? Ehrlich gesagt will ich das auch gar nicht wissen", sagte Daith.

„Vielleicht wirst du es eines Tages noch erfahren", sagte ich.

Eine Stille trat ein. Daith hatte mir etwas aus seiner Vergangenheit erzählt und somit auch etwas preisgegeben, was er wahrscheinlich nicht jedem sagte. Ich fühlte mich seltsam gerührt.

„Wir sollten jetzt wohl besser schlafen", sagte Daith leise.

„Ja sollten wir", sagte ich und schloss die Augen, doch der Duft von Daith Haaren verfolgte mich bis in meine Träume.

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