96|„Liebst du den?"

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Ich hasste sie! Das würde sich niemals mehr ändern. Seren war Seren. Und Seren war einfach beschissen. Sie war das Schlimmste was mir je passiert war!

~

Seren

Wütend schmiss ich die Klamotten in die Waschmaschine und schlug die Tür zu. Lewis rief mich an. Dieses Arschloch! Mit ihm wollte ich noch wegen der Musikaktion reden. Wir trafen uns in einer Stunde im Starbucks.
Serdar rief mich nicht nochmal an. Ich hatte mir vorgenommen ihn anzurufen, aber irgendwie schaffte ich das nicht.

Was sollte ich sagen?
Ich war angetrunken und wollte Kenan küssen, doch dann hast du angerufen, alles zerstört und er ging ran, weil mein Kopf weh tat?
Mir war im Nachhinein bewusst, was ich tun wollte. Wie dämlich war ich bloß? Zum Glück rief Serdar an. Das wäre mein Ende gewesen, wenn ich auch noch meinen ersten Kuss an Kenan verloren hätte. Scham pur! Meinen Stolz konnte ich dann wirklich komplett begraben.
Diese volle Macht wollte ich Kenan nicht gönnen.

Ich betätigte die Knöpfe und streute noch Waschmittel hinein. Wütend stieß ich es mit meiner Hüfte zu. Die Waschmaschine fing an zu starten. Seit zwei Stunden waren Alina und ich wieder da. Emin und Kenan waren noch in Barcelona. Von Emin hatten wir uns verabschiedet, aber von Kenan nicht. Brauchten wir auch nicht. Wenn ich es noch richtig in Erinnerung hatte, dann stritten wir zuletzt. Weil Serdar mich anrief, ging ich mal davon aus. Oder weshalb nochmal?

Meine Gedanken versuchte ich loszubekommen und ging in mein Zimmer um meine dicke Winterjacke zu nehmen. Es war ein komisches Gefühl jetzt wieder im Herbst zu leben, wobei es in Spanien noch so warm war. Ich ging die Treppen runter ins Wohnzimmer. Mein Vater mit einer Akte, hochkonzentriert am großen Esstisch. Wir hatten auch ein Arbeitszimmer, doch das nutzte hauptsächlich unsere Mutter. Unser Vater konnte sich am Besten hier konzentrieren, bei uns.

Baran hockte vor dem Fernseher, ein Buch aufgeschlagen mit einem menschlichen Körper und einer DNA Struktur daneben, doch er sah bloß zum Fernseher. Seinem Buch schenkte er keine Aufmerksamkeit.
Meine Mutter hatte ihr Telefon in der Hand und sah flüchtig immer wieder zum Fernseher hoch. Ich schloss den Reißverschluss meiner Jacke und zog meine Haare hinaus.

„Ich gehe raus.", gab ich Bescheid. Keiner sah zu mir auf. Vielen Dank für diese Aufmerksamkeit, da fühlte ich mich doch unglaublich geliebt.

„Ich gehe.", wiederholte ich mich. Meine Mutter sah flüchtig auf.

„Tamam Serencim. Sağır değiliz.", sagte meine Mutter und sah wieder auf ihr Telefon, lachte kurz und schrieb mit jemandem.
(Okay meine Seren. Wir sind nicht taub.)

Sofort läuteten die Alarmglocken bei meinem Vater und er sah von der Akte auf. Er zog seine Brille aus, die er nur fürs Arbeiten trug, und fixierte seinen Blick auf meine Mutter. Baran sah zu ihm. Mein Vater machte ihm Handzeichen. Baran sah heimlich auf ihr Telefon und sie grinste weiter vor sich hin.
Ich versuchte ebenfalls darauf zu sehen.
Alinas Mutter, Kayla.
Baran zeigte ihm einen ausgestreckten Daumen und sah ihn beruhigend an. Mein Vater sah zu mir.

„Sicher? Willst du dich nicht ausruhen? Du bist gerade erst vom Flughafen gekommen.", versuchte er es mir auszureden. Das wollte ich hören. Meine Familie, die versuchte mir etwas auszureden. So fühlte ich mich wenigstens ein bisschen wichtig in dieser Familie.

„Ne. Bleibe auch nur für paar Stunden.", blieb ich bei meiner Antwort,„Bis später." Sie hoben alle anwesend ihre Hand und ich verließ das Haus.
Erst der Bus, dann die Bahn. Mitten in der Stadt und noch ein Stück zu Fuß gehen und schon stand ich vor dem Caféshop.
Es war draußen unglaublich kalt. Ich liebte dieses Wetter. Es war die Jahreszeit, zu der man sich überall einkuscheln konnte ohne eine Schweißträne zu verlieren. Heiße Getränke und Feuer im Kamin. Erst jetzt wurde alles gemütlich.

Ich betrat den Laden und schon umhüllte mich der leckere Geruch von Plätzchen und Kuchen. Dazu noch Kaffeebohnen. Die versuchte ich aber gekonnt auszublenden. Mein Blick glitt durch die Menge und ich erkannte keinen Lewis. Mit einem Mal piepte mein Telefon auf.

»Bin oben. -Lewis.«

Ich steuerte auf die Treppen zu und ging durch die zweite Etage. Aus dem Augenwinkel sah ich jemanden wie einen Wilden winken. Sollte ich lieber so tun als würde ich nach jemandem suchen, ihn nicht finden und einfach gehen?
Die anderen bemerkten ihn auch.

„Schatz! Ich habe dich so vermisst wow! Du bist ja viel hübscher geworden als du vorher warst!", überhäufte Lewis mich, mit lauter Stimme, mit Komplimenten. Er kam auf mich zu und schloss mich in seine Arme. Dabei klopfte er hart gegen meine Rücken. Ich hustete.
Zu spät.
Ich konnte nicht mehr so tun.

„Halt die Klappe!", knurrte ich ihm in sein Ohr, doch behielt mein Lächeln auf den Lippen, da uns immer noch einige ansahen.

„Was? Du hast mich auch absolut vermisst? Das freut mich so sehr! Als du sagtest wir müssen reden dachte ich du willst mit mir Schluss machen, weil du dich ja mit diesem anderen vergnügt hast!", rief er. Mir fiel die Kinnlade auf uns die Mädchengruppe aus vier, neben uns fing sofort an zu flüstern.
Was war er für ein Mensch? Scheiße!

„Lewis halt die Klappe, bist du bescheuert?", knirschte ich hervor und sah ihn bedrohlich an. Er setzte eine ernste Miene auf und winkte ab.

„Okay okay. Sorry.", entschuldigte er sich und zog mich auf die zwei Sessel zum Fenster. Ich liebte es hier. Es war in einem Industriestil eingerichtet. Das liebte ich. Retro auch. Oldschool auch. Das war alles einfach schön.

„Und? Wie war es in Spanien?", fragte er und griff nach seinem Macchiato. Er nippte genüsslich dran während ich bloß seufzte und meine Jacke auszog. „Kenan war da." Sofort fing er an zu husten. Ich streckte mich zu ihm rüber und klopfte ihm auf den Rücken. Erschrocken sah er mich an und wollte etwas sagen, doch hustete immer mehr und mehr. Da ich noch lebte war doch nichts großes dabei.

„Wie? Hä? Wieso hast du mir das nicht gesagt?", beruhigte er sich und sah mich aufdringlich an,„Na los! Du erzählst jetzt alles was du mir diese Woche jeden Abend beim Schreiben verschwiegen hast!" Ich seufzte, doch fing an zu erzählen. Erst war ich am Überlegen ob ich wirklich alles erzählen sollte, doch tat es schließlich. Lewis war jedes Mal beinahe drauf und dran einen Herzinfarkt zu bekommen wie er sich immer wieder in den Sessel fallen ließ und mich erschrocken ansah.

„Joa. Dann war ich halt das erste Mal angetrunken. Am nächsten Morgen, also heute, sind wir zurück gekommen.", beendete ich meine Rede und griff nach meinem Zimttee, den ich im Laufe der Konversation bestellte. Er ließ seine Augenbrauen hoch zucken und sah aus dem Fenster.

„Wow."

„Wir hätten uns auch fast geküsst."

„Was?"

Ich sah sofort um uns. Alle sahen zu uns. Vor allem die Mädchengruppe von vorhin. Er schrie. Sofort griff er nach meinen Schultern und rüttelte mich.

„Geht es dir noch ganz gut? Du küsst ihn?", rief er. Die Mädchengruppe quiekte auf. Ich schlug seine Hände von mir.

„Hör doch mal auf so rum zu schreien!", zischte ich ihn leise an. Er schüttelte bloß den Kopf und sah mich erstaunt an. Ich seufzte.

„Wir haben uns nicht geküsst. Nur fast.", verbesserte ich seine Aussage. Er wedelte mit seinen Händen und sah mich mit einem Blick an der mir sagte: Das-ändert-ja-auch-so-einiges. Ich ließ mich nach hinten fallen.

„Liebst du den?", fragte er mich überrascht. Ich schüttelte sofort den Kopf. Kenan lieben? Nein. Das tat ich ganz sicherlich nicht! Ich war verwirrt an dem Abend. Angetrunken und eventuell auch etwas gekränkt, weil er sich dauernd über mich lustig machte.

Ich versuche Lewis mehr einzubauen.
Ich möchte ihn irgendwie mehr erwähnen, keine Ahnung wieso, aber ich finde ihn irgendwie immer wichtiger. 🤓
Es muss noch mit Serdar geredet werden. Und mit Kenan natürlich.😏

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