125|alleine sein

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Bestimmt vergingen zehn Minuten damit, dass er lachte und vor mir flüchtete und ich kurz vorm Weinen hinter ihm her war und ihn schlug.
Dieser Tag war einfach schrecklich.

~

Die Haustür knallte zu und sofort rannte ich hoch in mein Zimmer bevor ich Baran begegnen konnte. Ich schloss meine Tür ab und schon ging die Türklinke runter. Daraufhin folgte ein Klopfen und das weitere Ziehen am Türgriff. Sofort zog ich meine Jacke aus und atmete erstmal tief aus bevor ich meine Ärmel hochkrempelte.

„Seren mach diese verdammte Tür auf!", rief Baran und drückte sie immer schneller runter,„Na los!" Ich griff nach der größten Tasche die ich in meinen Schrank finden konnte und schmiss sie auf mein Bett. Jegliche Versuche von Baran, mit mir zu sprechen, ignorierte ich und schmiss alle Sachen, die mir zwischen die Finger gerieten in die Tasche.

Als ob ich jetzt mit ihm unter einem Dach blieb. Ich zog die Tasche zu und nahm mir eine dicke Kapuzenjacke, zog sie an und griff nach meiner Tasche, die ich zuvor neben meinen Schreibtisch schmiss. Aus der Tasche nahm ich mein Portmonee, meine Schlüssel und alles andere wichtige.
Keine Sekunde länger neben ihm.

„Seren ich habe gesagt du sollst diese verdammte Tür aufmachen!", brüllte Baran mit den Nerven am Ende und trat dagegen. Ich nahm die Tasche und schloss auf. Er sah mich an und dann die Tasche, doch ich würdigte ihm keinen Blick.

„Was tust du?", fragte er gereizt, doch ich ging mit schnellen Schritten die Treppen runter. Unsere Eltern kamen aus dem Wohnzimmer.

„Was ist hier los?", fragte unsere Mutter und sah mich an,„Seren? Wohin gehst du?" Ich zog die Tür auf und ging ohne ein Wort raus.

„Komm sofort hierher!", brüllte Baran aus dem Haus und eilte hinaus. Er zog mich am Arm, doch ich riss mich sofort los.
Angst.
Das konnte ich aus seinen Augen lesen, doch dabei befand sich auch Wut und Verzweiflung. Er hatte es vermasselt. Alles zerstört.

„Hey! Was ist los?", rief unser Vater und unsere Eltern kamen beide hinaus, meine Mutter mit einem Schal um sich, den sie noch eben nahm. Es fing an zu rieseln und die einzige Lichtquelle war aus dem Haus und von den Nachbarhäusern. Es war schon dunkel draußen. Sehr dunkel sogar.

Ich sah ihn schweigend, mit einem leblosen Anblick an. Wie konnte er sich in sie verlieben? Wie konnte ich es nicht merken? Ein spöttischer Seufzer entglitt mir und ich schüttelte den Kopf.

„Ich bin für paar Tage weg.", sagte ich und drehte um. Das Rieseln wurde mehr und ein leichter Regen fing an. Ich zog das Tor auf und knallte es hinter mir zu.

„Wohin?", rief meine Mutter, doch ich ging die Straße weiter hoch. Meine Kapuze zog ich über und ging und ging.
Der Bus fuhr in fünf Minuten also beeilte ich mich die Straße hoch. An der Bushaltestelle entknotete ich meine Kopfhörer und machte ganz laut meine Musik auf.
Meinen Kopf lehnte ich gegen die Scheibe im Bus und beobachtete die Regentropfen an der Scheibe.

Ich würde bei Lara bleiben. Nur für zwei Nächte. Sie wusste auch Bescheid, nur wusste sie nicht weshalb. Ich wollte ihr auch nicht zur Last fallen bloß brauchte ich einen Ort an dem ich erstmal untertauchen konnte.
Dieser Ort war früher immer bei Alina, doch jetzt nicht. Sie war die letzte Person, die ich nun sehen wollte. Wie konnte sie nur?
Ich fühlte mich so unglaublich verraten. Dieses Gefühl war nicht zu beschreiben. Es war Verzweiflung, Enttäuschung, Angst und Wut. Alles möglich.

Als ich in die Bahn stieg schrieb ich meiner Mutter noch schnell eine Nachricht wo ich blieb, dass sie sich keine Sorgen machen, doch auch Baran nichts sagen sollte, denn sonst würde er sofort zu ihr fahren und mich holen wollen. Ich wollte ihn nicht sehen. Ich wollte alles nochmal sammeln und sortieren. Mein Kopf war durcheinander als hätten alle grauen Zellen aufgehört zu arbeiten.

Bei Lara nahmen sie mich ganz lieb auf ohne nur einmal zu fragen was los war. Sie hatte eine so unglaublich süße Familie. Lia schlief schon und ihr Vater machte sich auf den Weg um für uns eine riesige Pizza zu kaufen während ihre Mutter unten im Wohnzimmer saß.
Wir beide saßen in Pyjamas auf ihrem Bett und griffen immer wieder in die Tüte, die schon fast keine Chips mehr hatte.

„Musst du morgen zur Uni?", fragte sie. Ich hörte auf in die Tüte zu greifen.

„Ja du?", fragte ich. Sie nickte. Ich stand auf und verließ ihr Zimmer um meine Hände zu waschen. Ich sah in den Spiegel und ein Monster erblickte mich. Tiefe Augenringe und Haare, die in alle Richtungen abstanden.
Heute war wirklich nicht mein Tag. Ich ging zurück ins Zimmer und ein riesiger Pizzakarton lag auf dem Bettende. Sie sah von ihrem Laptop auf und grinste breit.

„Eine Serie zum Ablenken?", fragte sie. Ich setzte mich neben sie und wir fingen an zu essen. Ich hatte ihr immer noch nichts erzählt. Fürs erste behielt ich es auch für mich. Bloß mit Kenan konnte ich darüber reden, denn er war bei mir als ich das sah.
Mein einziger Ansprechpartner.
Es war komisch, ihn nun als normal anzusehen, als einen Freund. Aber ich könnte mich daran gewöhnen. Er konnte auch ganz okay sein, ganz erträglich, wenn man sich bemühte ihn nicht zu hassen.

„Wieso magst du Kenan?", fragte ich sie. Sie sah von ihrer Pizza auf und schluckte ihren Bissen hinunter. Während ich sie wartend ansah biss ich nochmal ab.

„Keine Ahnung. Ich denke das macht einfach die Zeit. Wir waren gemeinsam auf dem Gymnasium und ich konnte Kenan echt nicht leiden, doch trotzdem verbrachte ich immer Zeit mit ihm wegen Emin. Nach einiger Zeit wurden wir auch irgendwie Freunde, necken uns zwar ab und zu noch, aber.. Ich zähle ihn auch schon mit zur Familie.", schmatzte sie und schluckte wieder,„Kenan kann ein wirklich toller Mensch sein, wenn er es will. Er beschützt die Menschen die er liebt und würde niemals, egal wen, diese Menschen verletzen lassen. Merk dir das Seren. Du kannst so lange auf ihn eintreten wie du willst, selbst wenn er blutend auf dem Boden liegt wird er ruhig bleiben, doch sobald du nach den Personen greifst, die ihm wichtig sind, hat er keine Gnade mehr."

Ich kaute langsamer. War Kenan so ein riesiger Beschützer.

„Du weißt ja bestimmt, dass er Probleme mit seiner Familie hat.", erzählte sie weiter und ich nickte,„Deswegen passt er unglaublich sehr auf die Menschen auf, die ihm ans Herz wachsen. Er hat Angst auch diese zu verlieren, denn wenn er es tut ist er wieder ganz alleine." Sie nahm sich ein weiteres Stück Pizza und sah sich den Film an.

Das war traurig. Wirklich einfach traurig, dass ich Mitleid bekam. Kenan wollte nicht alleine sein, dass war er auch nicht! Er hatte doch so viele Menschen um sich, die ihn liebten. Koray, Emin, Lara, Serdar, Alissa. So viele Freunde, die für ihn da waren, doch er blieb trotzdem so kühl.
Wenn wir es auch zuließen, dann könnte ich ebenfalls eine dieser Personen werden.

Seren bleibt fürs erste bei Lara. Das erleichtert uns eine wundervolle Sache. Man ich freue mich schon! Übernächstes Kapitel eventuell schon!! Wow!
4/6

ALL I HATEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt