114|Herzlichen Glückwunsch, obwohl nein

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„Geht ihr. Wir schauen noch bisschen herum ob wir ihn irgendwo finden können.", sagte Emin,„Vielleicht liegt er betrunken in einer Gasse." Lara lachte kurz und mein Mundwinkel zuckte hoch, doch das war kein Stück lustig. Sowas wäre traurig.

~

Heute hatte er Geburtstag.

Das war der erste Gedanke der mir in den Sinn kam als ich aufwachte. Das nächste was ich tat war mir auf den Kopf schlagen für diesen Gedanken und aufzustehen.

Heute hatte ich keine Vorlesungen, genau wie Baran. Unsere Eltern arbeiteten auch nicht.
Somit frühstückten wir in aller Ruhe zusammen.
Jeder von uns saß noch im Pyjama am Esstisch und schien zufrieden. Meine Mutter summte vor sich hin und ich sah zu Baran.

„Kenan hat wohl heute Geburtstag.", sagte ich. Sofort schoss der Kopf meines Vaters hoch und er sah mich an.

„Bize ne?", fragte er genervt. Ich sah zu ihm und stach durch die Gurke auf meinem Teller.
(Was geht uns das an?)

„Nichts.. Ich.. Ich wollte es nur sagen.", murmelte ich und sah zu Baran, der mich angespannt ansah.

„Ja hat er. Trotzdem ist er noch weg.", sagte er kühl und aß weiter. Das war fürs erste auch das einzige was wir sprachen, denn jeder aß schweigend weiter. Mein Vater half meiner Mutter beim Abwasch während Baran und ich uns anzogen.
Da wir alle seit längerem wieder einen freien Tag hatten beschlossen unsere Eltern mit uns den Tag zu verbringen. Wir hatten keine Einwände und somit fuhren wir vier in die Stadt.

Meine Mutter und ich gingen in fast jeden Laden und sahen uns die neuen Klamotten an, die auch wirklich sehr schön waren. Ich fand ein Oberteil welches reduziert war, passend auch noch in meiner Größe und probierte es an. Als die beiden Männer das hörten gab es einen sehr lauten Seufzer und sie griffen sich unter die Arme.
Wir verbrachten noch Stunden in der Stadt. Ab und zu mussten wir nach ihrer Wahl in komplett unnötige Läden, doch sobald wir in den Schuhläden waren war jeder zufrieden.

Am Ende des Tages gingen wir in das Restaurant von einem alten Freund unseres Vaters. Der Tisch war voll mit wundervollem Essen, doch ich hatte kein Hunger.
Dabei war meine letzte Mahlzeit unser Frühstück am Morgen gewesen. Ich bekam einfach nichts runter selbst wenn ich es versuchte. Es ging nicht.
Ich saß am Fenster und sah hinaus in die Innenstadt, die wunderschön leuchtete. Mittlerweile war es schon neunzehn Uhr und stockdunkel.
Verständlich im November.

„Seren iss auch was.", sagte meine Mutter und spülte alles mit ihrem Mineralwasser runter. Ich schüttelte nachdenklich den Kopf und sah wieder hinaus.
Ob sie Kenan gefunden hatten?
Schnell sah ich von draußen ab, auf meinen Teller.

„Iss.", befahl Baran mir plötzlich. Ich sah vor mich, zu ihm. Er hielt seine Gabel in der Luft und sah mich streng an.
Was wollte er bloß von mir? Ich sah wieder auf meinen vollen Teller. Ich sollte essen, aber ich konnte nicht. Es ging einfach nicht.

„Mir ist schlecht, ich kann nicht.", sagte ich und sah wieder zu ihm auf.

„Wieso so plötzlich?", fragte er mich aus. Ich zuckte mit den Schultern und sah wieder von ihm ab. Irgendwie verschlechterte sich unsere Lage wieder.

„Tamam Baran. Kızı rahat bırak.", nahm meine Mutter mich in Schutz und legte ihre Hand auf meine,„Geh mal kurz an die frische Luft." Ich nickte und stand auf.
Baran wollte etwas sagen, doch mein Vater sah ihn mahnend an und er beließ es dabei.
(Okay Baran. Lass das Mädchen in Ruhe.)

Ich verließ das Restaurant und atmete vor der Tür tief ein. So ein Druck lag auf meinen Schultern. Es fiel mir schwer zu atmen. Ich hatte keinen Appetit und auch keine Kraft. Alles fühlte sich so schwer an und nichts gelang in meinen Kopf außer der Gedanke ob Kenan wieder da war. Bestimmt dachte ich bloß daran, weil er Geburtstag hatte.
Das redete ich mir die ganze Zeit ein bis mir zu kalt wurde und ich mich wieder zum Tisch begab. Wir bezahlten und ich aß nichts.
Trank nicht einmal mein Glas leer.

Wir fuhren nachhause und ich ging sofort hoch in mein Zimmer. Nahm erstmal eine lange, warme Dusche, ging wieder in mein Zimmer und zog mir gemütliche Sachen an, griff nach der flauschigen Decke auf meinem Stuhl und setzte mich auf mein Balkon.
Mein Telefon nahm ich zur Hand und sah zum Bildschirm ohne jegliche Nachricht.
Auf welche Nachricht wartete ich überhaupt?

Ich entsperrte mein Telefon und ging auf Kenans Kontakt. Gratulieren sollte ich doch wenigstens. Ich nickte und ging auf unseren Nachrichtenverlauf.

»Alles gute|

Sofort tippte ich es wieder weg und schüttelte den Kopf. Ich sollte besser anrufen, sonst würde er sich noch aufspielen und niemals auf die Nachricht gehen.
Somit wählte ich auch seine Nummer und rief an. Besetzt.
Also doch schreiben.

»Herzlichen Glückwunsch Kenan. Obwohl nein. Nicht vom Herzen. Allgemein nicht. Wie ein ganz normaler Freund alles gute. Nicht, dass wir Freunde sind, aber aus Höflichkeit. Kennst du nicht. Du hast mir jetzt wirklich die schlimmsten drei Monate meines Lebens gegeben, aber ehrlich gesagt gab es auch lustigste Momente mit dir. Diese drei Monate waren auch die Spannendsten, denn soviel Scheiße hatte ich noch nie durchgemacht wie mit dir, wegen dir. Ich verstehe dich nicht. Ich denke auch nicht, dass ich es jemals schaffen werde. Soll jetzt nicht gemeint sein, dass ich dich für immer kennen will. Mit Glück verschwindest du mal aus meinem Leben. Aller spätestens, wenn ich mein Studium beendet habe. Du bist kompliziert. Schlimmer als sonst was. Du bist manchmal so unglaublich lustig und denkst du wärst was besseres und im nächsten Moment hasst du mich. Ich habe dir rein gar nichts angetan. Okay das stimmt nicht. Ich habe dir so einiges angetan, aber du auch! Denk jetzt ja nicht, dass ich meine Fehler einsehe. Ich habe nämlich auch keine. Du bist derjenige der mich, ohne mit der Wimper zu zucken, fast umgebracht hatte. Aber das ist Vergangenheit und wir haben das Begraben stimmt's? Ich|

Ich hörte auf zu tippen und sah in den dunklen Garten. Der Text wurde zu lang. Viel zu lang. Das alles sollte gar nicht rein. Aber wenn ich schon anfing, dann konnte ich es doch auch beenden oder nicht? Ja. Ich sollte alles schreiben. Somit schrieb ich auch weiter.

».. Ich denke seit Stunden nur an dich. Du gehst irgendwie nicht aus meinem Kopf. Was hast du mit mir gemacht? Ist das irgendwie eine Krankheit? Ab einer bestimmten Zeit, die man mit dir verbringt setzt du dich wie ein Tumor in meinen Kopf? Eigentlich denke ich nicht an dich. Fast nie! Aber die anderen haben mir gesagt, dass du weg bist. Und heute hast du Geburtstag. So sehr ich dich auch nicht mag, solltest du doch bei den Leuten sein, die dich lieben. Nicht ich. Natürlich nicht. Deine Freunde.. Deine Familie, wenn du dich mit ihnen ausgesprochen hast wie ich es dir gesagt habe! Hast du Kenan? Hast du mit ihnen geredet? Bestimmt nicht. Du bist selbst zu stolz um deiner Familie gegenüber lieb zu sein. Wieso bist du so? Ich habe noch nie eine so fürchterliche Person gesehen wie dich! Du bist so arrogant und egoistisch! Kannst du eigentlich jemand anderen lieben außer dich? Diese Nachricht wird dich jetzt bestimmt freuen oder? Du wirst dich wie der König fühlen, weil selbst ich dir gratuliere? Denk dir ja nichts dabei Aksoy! Ich gratuliere dir nur, weil ich so erzogen wurde und es höflich ist. Also.. Alles gute zum Geburtstag Kenan. Und ich bitte dich endlich aus meinem Kopf zu gehen, denn ich möchte jetzt schlafen. -Seren«

Ich sendete es ab. Mein Atem stockte. Es war raus. Er hatte nun die Nachricht. Verdammt! In der Nachricht stand, dass ich an ihn dachte! Scheiße nein! Nein! Ich war so dumm!

Plötzlich fiel etwas federleichtes auf mein Telefon. Ich kniff meine Augen zu Schlitzen und sah darauf. Es wurde zu Wasser und ehe es runterfloss wusch ich es mit meinem Ärmel weg. Immer mehr kam hinunter und ich sah hoch in den Himmel.
Es schneite.
Zum ersten Mal in diesem Jahr.

Der Text ist raus.
Der erste Schnee fällt. ❄️
Was Kenan wohl zurückschreibt? 🤪
6/10

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