62.Kapitel

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Ich war so langsam wirklich angepisst von Finja's Verhalten. Ich verstand wirklich, dass sie sich um ihren Papa sorgte. Das würde ich genauso tun. Es tut mir leid, aber es war wirklich dämlich länger hierbleiben zu wollen, jetzt wo die Geburt immer näher rückte. Ich wollte auf keinen Fall so lange von ihr getrennt sein und noch weniger wollte ich Finn's Geburt verpassen. Das ging absolut gar nicht. Und dann kam ja auch noch dazu, dass sie es hier alleine gar nicht so lange durchhalten würde. Das war gar nicht böse gemeint, aber sie war hier einen Tag lang alleine und hatte sich selbst verletzt...Und anscheinend war ihr Lisa dabei keine Hilfe, was ich jetzt eigentlich gedacht hätte. Schließlich machte sie sich ja genauso Sorgen wie Finja, es war ja auch ihr Vater, dem es so schlecht ging. „Ich diskutiere da nicht mehr Samu." „Achso okay, dann treffen wir Entscheidung neuerdings also alleine. Dann hätte ich ja auch gleich zuhause bleiben können." sagte ich sauer und ging aus dem Bad. Ich hörte wie Finja anfing zu weinen, wodurch ich mich direkt schlecht fühlte, aber eigentlich konnte ich mir nichts vorwerfen. Und trotzdem bekam ich ein schlechtes Gewissen. Ich legte mich zurück ins Bett und seufzte genervt. Eine Weile später kam meine Frau dann auch rein und setzte sich zu mir.
Sie legte ihren Kopf auf meine Brust und ihren Arm um meinen Bauch. Eigentlich war mir gerade nicht nach kuscheln, aber ich ließ es trotzdem zu. Sie hatte geweint, da wollte ich sie nicht von mir stoßen. Ich war kein Unmensch, auch wenn ich sauer war. Aber ich musste zugeben, dass mir so'n kleiner Schnaps jetzt schon gut tun würde. Ich würde keinen Alkohol trinken. Ich wusste, dass es eigentlich nicht gut war und das auch nur wieder scheiße enden würde. Trotzdem kam mir dieser Gedanken in den Kopf, was mich auch selbst nervte. Ich merkte auch wie ich unruhiger wurde. Aber ich hatte mich im Griff.
„Bist du böse?" fragte mich Finja dann. „Schon, ja. Du hast mir gerade indirekt gesagt, dass es dir egal ist, ob ich bei der Geburt dabei bin oder nicht. Und du möchtest hier alleine bleiben, obwohl es dir so schlecht geht und du dich selbst verletzt. Sorry, aber das verstehe ich einfach nicht." „Aber das stimmt doch nicht. Natürlich möchte ich, dass du dabei bist und ich möchte auch nicht ohne dich hier bleiben, aber es geht ja anscheinend nicht anders..."
„Aber Maus, verstehst du nicht, dass du nicht einfach hierbleiben kannst? Verstehst du meine Ansicht gar nicht?" „Doch..." „Ich will mich echt nicht streiten, bitte schlaf nochmal eine Nacht drüber." „Ja..." Normalerweise hätten wir deutlich länger diskutiert, aber ich wollte ihr wirklich nicht noch mehr Stress zumuten. Man musste ja nun wirklich nicht noch eine Frühgeburt oder sonstige Komplikationen provozieren.

Daraufhin redeten wir dann auch erstmal eine Weile nicht. Wir schlossen unsere Augen und hingen einfach mal unseren Gedanken nach. Das wurde jedoch irgendwann durch Geräusche aus dem Nebenraum unterbrochen.
„Ist das gerade ihr Ernst?" kam es gereizt von Finja. „Vögelt die jetzt ernsthaft?" „Engel..."
„Ne, ganz ehrlich, was ist denn falsch mit ihr in so einer Situation?! „Freu dich doch einfach für deine Schwester. Sie hat anscheinend endlich jemanden gefunden, der sie glücklich macht. Und gerade jetzt in dieser schwierigen Phase wird es ihr gut tun." „Aber man ist doch mit dem Kopf ganz woanders. Wie kann sie jetzt an Sex denken? Ist ihr Papa so egal?" „Das denke ich nicht Engel...Fahr runter..." „Ich muss hier raus..." Ich ging ihr natürlich sofort nach als sie rauslief. „Lass mich gerade bitte Samu..."
„Erst muss ich unbedingt kommen und jetzt willst du mich nicht sehen?" „Ich hab mir das echt anders vorgestellt..." „Wie denn? Dass ich zu allem Ja und Amen sag? Du weißt, dass ich so nicht bin." „Nein, aber zumindest, dass du nicht gegen alles an gehst, was ich sage."
„Ich wollte dich doch nur beruhigen...Deine Schwester kann auch nichts dafür. Freu dich doch für sie, dass sie jetzt ein bisschen Ablenkung hat. Und du weißt genau, dass ihr das mit eurem Papa nicht egal ist. Das finde ich auch ein bisschen unfair sowas zu sagen."
„Ist ja gut..." „Komm mal her Süße..." sagte ich ruhig und hielt meine Arme für sie auf. Sie kam ein wenig zögerlich, schloss ihre Arme dann aber auch um mich. „Danke, dass du hier bist und Entschuldigung, dass ich so blöd bin."
„Alles gut, das ist eine Ausnahmesituation."
Sie nickte und schmiegte sich nochmal an mich. „Können wir ein Stück spazieren gehen?"
„Ja, na klar."

Da ihre Schwester in Mitte wohnte, war es recht unentspannt. Viele Leute, viele Blicke...
Ich mochte Berlin, aber gerade in solchen Situationen, wenn's eben mal nicht so einfach war alles, war es einfach sehr anstrengend, wenn einen ständig Leute erkannten. Da wünschte man sich schon mal nicht bekannt zu sein und seine Ruhe haben zu können. Außerdem war meine Frau immer noch total verheult, das musste nicht unbedingt in die Medien kommen. Es waren ja auch alle nett, aber Fotos lehnte ich heute auch ab, einfach weil mir nicht danach war und auch ich  ziemlich fertig aussah. Das musste nicht sein. 
Ich wäre ja am liebsten einfach umgedreht, aber Finja wollte unbedingt spazieren und ein wenig frische Luft schnappen. „Wollen wir so langsam wieder zurück?" „Ja...Eigentlich möchte ich auch nochmal kurz zu Papa. Er freut sich bestimmt, dass du da bist." „Willst du das heute noch oder doch lieber morgen?"
„Heute..." „Na gut, dann machen wir das."
Ein bisschen nervös war ich ja schon. Ich wusste ja nicht wie sein Zustand jetzt wirklich war.

Etwas später waren wir dann also im Krankenhaus. Als wir das Zimmer betraten und ich Thomas dann da liegen sah, merkte ich direkt wie sehr mich das mitnahm. „Hallo ihr zwei. Du bist ja auch da Samu." kam es direkt von Michaela. „Ja für eine Woche." „Wir wollten nur kurz Hallo sagen. Ich dachte mir, dass du dich bestimmt darüber freust." sagte Finja dann zu ihrem Vater, der mich lächelnd anguckte. „Hallo..." Ich wusste echt nicht was ich sagen sollte, irgendwie war ich total überfordert. Ich sah, dass er versuchte ein Wort zu formen und seine Lippen bewegten sich auch, aber es kam kein Ton raus. Er hatte Tränen in den Augen, genauso wie meine Frau.
„Und ich wollte dich etwas fragen Papa..."
Was kam denn jetzt? „Ich darf ja bald nicht mehr fliegen...Und wir haben uns vorhin schon in die Haare bekommen...Wäre es sehr schlimm, wenn ich nächste Woche auch wieder zurückfliege? Ich möchte dich wirklich nicht im Stich lassen...Aber momentan ist das einfach total schwierig so lange weg zu bleiben...Und Mama und Lisa sind ja auch noch hier...Ich würde auch jeden Tag anrufen..." sagte sie, wobei man ihr schlechtes Gewissen deutlich raushörte. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie sich jetzt doch dafür entschieden hatte. Ihr Vater nickte lächelnd und griff ganz langsam nach ihrer Hand.
„Wirklich okay?" Er nickte erneut, woraufhin Finja ihm einen Kuss auf die Hand gab. „Ich hab dich so lieb Papa."

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