108.Kapitel

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Man, ich war total nervös. Was würden denn jetzt für Fragen kommen? Ich brauchte meine Frau... „Spüren Sie häufig eine Art unbezwingbares Verlangen Alkohol zu trinken?" „Was heißt häufig...in Problemsituationen...Dann sehe ich keinen anderen Ausweg." Sie nickte nur und notierte sich etwas. Wenigstens fragte sie nicht warum...Das war wahrscheinlich eher Teil einer Therapie. „Und kommt es vor, dass Sie nicht mehr aufhören können zu trinken, wenn Sie einmal begonnen haben?" „Ja. Jedes Mal eigentlich, wenn ich trinke..." sagte ich beschämt. „Haben Sie das Gefühl den Alkohol brauchen zu müssen?" „Im Alltag nicht, nein.
Nur eben, wenn es mir schlecht geht...wenn irgendwas nicht so läuft, wie es soll. Dann schon." „Okay, im Alltag trinken Sie also nicht ohne Grund?" „Nein." „Das klingt schonmal gut. Trinken Sie, obwohl Sie wissen, dass der Konsum zu schädlichen, psychischen oder sozialen Konflikten führt?" „Ich weiß nicht, ich denke schon...Wenn ich einmal anfange, dann finde ich kein Ende und dann ist es mir auch egal, was das für Folgen hat. Dann ist der Drang weiterzutrinken größer..." „Verstehe. Würden Sie denn von sich selbst behaupten, dass sie abhängig sind?" „Ich weiß es nicht...
Schon ein bisschen." „Ein bisschen?" „Naja, wenn ich Probleme habe...dann wüsste ich, ehrlich gesagt nicht, was ich tun sollte ohne etwas zu trinken. Mir ist schon klar, dass man reden könnte oder Sport machen oder sonst was. Aber in dem Moment fühlt es sich einfach gut an sich mit Alkohol zu betäuben. Ich weiß nicht warum das so ist. Ich habe die tollste Frau der Welt, den besten Freund der Welt und die allerbeste Mutter...die mir alle helfen würden und immer für mich da sind, aber all das zählt in diesem Moment nicht. Dann ist es mir egal, ob ich sie mit meinem Verhalten verletze. Das ist..." Ich musste meinen Satz abbrechen, ich konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. „Es ist okay Herr Haber, lassen Sie es raus." „Ich fühl mich einfach wie ein Versager, ich enttäusche meine Familie...vor allem meine Frau." „Hat sie Ihnen das gesagt?" „Ja. Wir vertagen uns immer direkt wieder, sie ist sehr verständnisvoll...Aber ich weiß ja, wie schwer das für sie ist."

Wir sprachen die ganze Stunde, ununterbrochen. Und das tat mir besser als gedacht. Am Ende folgte dann die Diagnose und Vorschläge wie es weitergehen könnte.
„Bevor ich jetzt etwas sage, was denken Sie nach diesem Gespräch? Sind Sie abhängig?" „In gewisser Weise..." „Ja oder nein?" „Das kann ich nicht klar beantworten." „Genauso sehe ich das, ehrlich gesagt, auch. Sie sind kein Alkoholiker, aber wenn Sie so weitermachen, dann sind Sie auf einem guten Weg dorthin und das wollen Sie sicher nicht. Ein Entzug ist nicht angebracht in Ihrer Situation, ich würde Ihnen eher zu einer Selbsthilfegruppe raten. Den meisten Patienten, die in gleicher Situation wie Sie sind, hilft das sehr." „Ich weiß nicht...Ich würde lieber alleine unter 4 Augen mit jemanden sprechen..." „Sie müssen sich nicht schämen, die anderen sind in derselben oder ähnlichen Lage wie Sie." „Ja, klar, aber...naja ich bin ja jetzt auch nicht gerade unbekannt..."
„Ich verstehe Ihre Sorgen, aber Sie müssen Prioritäten setzten." „Ich weiß. Kann ich darüber nochmal nachdenken?" „Ja, natürlich. Sie sind hier nur bei einer Beratung. Wir zwingen Sie zu nichts, wir wollen nur helfen. Ich kann Ihnen gerne mal eine Broschüre mitgeben, in der Sie ganz viele verschiedene Selbsthilfeangebote finden und dann gucken Sie sich das mal zuhause in Ruhe an."
„Ja, das klingt gut." „Super, dann machen wir das so. Sie können auch jederzeit hier anrufen." sagte sie, woraufhin ich nickte. „Super, dann verbleiben wir so. Dann würde ich mich jetzt von Ihnen verabschieden."
„Ja, vielen Dank."

Ich ging mit einem gemischten Gefühl aus dem Raum. Eigentlich war ich froh, dass ich bestätigt bekommen hatte, dass es keine direkte Sucht war. Dass ich trotzdem Hilfe brauchte sah ich definitiv ein, aber eine Selbsthilfegruppe mit fremden Menschen, die aber mich möglicherweise kannten? Schwierig...Ich musste mich mit Finja besprechen. Aber vor allem musste ich jetzt wieder zurück zum Krankenhaus. Mal sehen wie es Leevi mittlerweile ging. Dort angekommen, war er zumindest schon wieder wach und lächelte als ich reinkam. „Papa."
„Na du. Wie geht's dir?" fragte ich ihn direkt, bevor ich Finja kurz mit einem Kuss begrüßte.
„Geht so." „Tut der Bauch weh?" „Ja, aber anders." „Ja, das ist, weil du operiert wurdest.
Hat er schon Schmerzmittel bekommen?"
„Ja, als Saft. Aber gerade eben erst. Das dauert ein bisschen bis die wirken Leevi." „Okay..."
„Papa, wo warst du?" „Ich hatte noch einen Termin. Aber jetzt bleibe ich hier bei dir."
„Kannst du ins Bett?" „Soll ich mich zu dir legen?" „Ja." Ich lächelte, zog meine Sneaker aus und tat das dann auch. Er lag mit seinem Rücken an meinem Bauch, während ich ihn liebevoll in die Arme nahm. „Schatz, wie war dein Termin?" fragte mich Finja dann ein bisschen später. Ich sah, dass sie sich Gedanken machte, aber so richtig drüber sprechen konnten wir hier ja jetzt nicht.
„Besser als gedacht. Alles gut." lächelte ich, woraufhin sie mir einen Kuss auf die Hand gab.

Irgendwann machte sie sich dann auch mit Finn auf den Heimweg. Ich war ja hier. „Tut dein Bauch noch weh?" „Nein." antwortete mir Leevi und drehte sich zu mir um, um sich an meine Brust zu kuscheln. „Hab dich lieb Papa."
„Ich hab dich auch lieb Großer. Ganz doll."
Ich wurde richtig nachdenklich nachdem er das gesagt hatte. Ich musste dieses Problem in den Griff bekommen, unbedingt. Ich wollte nicht, dass ich da noch tiefer reinrutschte, und ich wusste, dass ich anfällig dafür war. Ich musste für unsere Kinder da sein, ein guter Vater sein und keiner, der sich volllaufen lief, wenn mal etwas nicht so lief, wie ich es mir vorstellte. Das ging nicht. Sie sollten eine unbeschwerte Kindheit haben und die schwierige Phase zwischen Finja und mir mit der Trennung und der Zeit danach war schon schlimm genug für sie gewesen. Gerade Leevi hatte das total mitgenommen. Gerade unsere Streitereien. Manchmal war's echt schwierig sein eigenes Leben in den Griff zu bekommen und dabei trotzdem noch gute Eltern zu sein.
Aber wir machten einen guten Job, da hatte Finja schon Recht.

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