Part 64 ~ Schlägerei

1.2K 57 1
                                    

Nachdenklich stand ich vor dem Spiegel der Damentoilette. Immer wieder strich ich mir mit den Fingern durch meine langen Haare und versuchte damit die Funktion eines Kammes zu ersetzen. Ich war mir unschlüssig. Sollte ich mich morgen wirklich mit Cataleya treffen und riskieren, dass Samra es irgendwie herausfinden könnte? Oder sollte ich es lieber lassen, und ihn in einer ruhigen Minute noch einmal darauf ansprechen? Andererseits würde er es mir ja sowieso nicht erzählen. Er rastet ja schon aus wenn ich nur ihren Namen erwähne. Aber wenn ich mich mit ihr treffen sollte, dann würde ich beide hintergehen. Samra und Vladislav. Ich bezweifle, dass Vladislav begeistert wäre wenn er das mitbekommt. Immerhin müsste ich ihn ja auch anlügen, denn er würde mich niemals alleine in die Stadt gehen lassen. Also entweder musste ich das Lügennetz noch größer spinnen und auch ihm irgendeine ausgedachte Geschichte erzählen, oder ich würde ihn einweihen. Ich wollte um keinen Preis der Welt sein Vertrauen missbrauchen. Also musste ich mich für die zweite Möglichkeit entscheiden, auch wenn ich damit rechnen musste dass er mir einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Ich musste es ihm sagen.
Ich atmete tief durch, legte ein letztes mal meine Haare in die richtige Position und drückte dann den silbernen Türgriff nach unten, um wieder in den Flur zu gelangen. Den Kopf voll mit Möglichkeiten, wie ich es Vladislav am besten beibringen sollte begab ich mich auf den Weg zu unserem Tisch. Als ich um die Ecke bog weiteten sich meine Augen und mir blieb für einen kurzen Moment das Herz stehen. Unser Tisch war leer. Weit und breit konnte ich keinen der Jungs sehen. Panik stieg in mir auf und ich drehte mich hektisch zur Bar um, wo Amar gerade dabei war die Spülmaschiene auszuräumen.
„Amar!" rief ich unbändig und er drehte sich ruckartig zu mir um, wobei er fast das Glas fallen ließ, welches es gerade polierte.
„Oh tut mir leid, ich dachte du wärst noch auf der Toilette." Entschuldigte er sich sanftmütig und stellte das saubere Glas in den Schrank.
„Wo sind die Jungs?" fragte ich ängstlich und sah mich erneut in der Bar um, aber von ihnen fehlte jede Spur.
„Die sind hinten rausgegangen. Es gab wohl irgendwie Stress. Aber Samra hat mir gesagt ich soll dafür sorgen dass du hier wartest bis sie wieder kommen."
„Was meinst du mit Stress? Was ist passiert?" Ich wurde von Sekunde zu Sekunde panischer. Mein Herz raste wie verrückt und in meinem Kopf drehte sich alles.
„Das weiß ich leider auch nicht. Ich weiß nur, dass du hier warten sollst." sagte er in ruhigem Ton und verwies auf die leere Couch, auf der wir bis vor 10 Minuten noch alle zusammen gesessen haben.
„Tut mir leid Amar, aber ich werde bestimmt nicht hier rumsitzen und warten." stieß ich stur hervor und eilte zum Hinterausgang. Dass mich alle Gäste in der Bar dumm anschauten, weil ich wie eine verrückte durch den Gang hechtete war mir scheißegal. Auch dass Amar mir hinterherrief und schrie dass ich das nicht tun sollte war mir egal. Ich hatte einfach zu viel Angst, dass Vladislav etwas passieren könnte. Nur noch wenige Schritte von der hinteren, schweren Stahltür entfernt konnte ich durch das angekippte Fenster bereits die wütenden Stimmen von Vladislav und Samra hören. Schwungvoll riss ich die Tür auf und trat hinaus in die dunkle, sternenklare Nacht.

„Verdammt du solltest drinnen warten!" War das erste, was Samra mir an den Kopf knallte.
„Was ist hier los?" fragte ich erschrocken und schaute mich um. Vladislav war bereits in Angriffsposition, während Cem, Nima und Granit hinter ihm standen und ebenfalls bereit waren jede Sekunde einzugreifen.
„Das geht dich nichts an, und jetzt mach dass du wieder rein kommst!" fauchte er zornig und wollte mich am Arm packen, doch ich wich ihm aus.
„Samra Bruder alles gut. Komm kleine wir gehen wieder rein" Nima stellte sich zwischen uns und löste somit die Spannung zwischen ihm und mir. Einerseits war ich ihm dankbar, aber andererseits wusste ich immernoch nicht was los war.
„Nima, schaff sie hier weg. Aber lass sie keinesfalls alleine, wir kommen dann nach wenn wir die Sache hier geregelt haben." sagte Samra an Nima gewandt und klopfte ihm auf die Schulter. Nima nickte verständlich und schnappte sich dann meine Hand, an der er mich zurück in die Bar zog.
„Was soll das alles, kannst du mir vielleicht mal verraten was hier los ist?" stieß ich wütend hevor und riss meine Hand los. Nima ignorierte mich und lief einfach weiter zurück zur Theke, wo Amar uns mit großen Augen anschaute.
„Sorry Bruder, ich habs versucht" sagte er reuevoll und Nima drückte ihm das Geld für die Shishas und die Getränke in die Hand.
„Alles gut mach dir kein Kopf. Die Jungs sind noch hinten, ich bring die kleine hier weg." erklärte Nima und schnappte sich erneute meine Hand. Ich ließ mich von ihm nach draußen ziehen und wir liefen ein Stück, bis wir seinen Wagen erreichten. Ohne ein Wort ließ er mich wieder los und entriegelte die Türen.
„Steig ein Canim, wir müssen hier weg." sagte er hastig und ließ sich auf den Fahrersitz nieder. Stillschweigend öffnete ich die Tür und setzte mich neben ihn, während er den Wagen startete.
„Was war das eben?" fragte ich erneut. Er lenkte seinen konzentrierten Blick auf die Straße und überlegte, wie er den nächsten Satz am besten formulieren sollte.
„Es gibt einfach manchmal Idioten, die denken sie wären King wenn sie ein bisschen zu viel Stoff geballert haben." presste er hervor. Er überlegte kurz und sprach dann weiter.
„Und manchmal muss man solchen Idioten zeigen dass sie einfach nur kleine Hunde sind...kleine Hunde die denken sie kriegen Respekt, wenn sie nur laut genug bellen." Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Also schwieg ich einfach. Eine ganze Weile lang war es ruhig, und alles was die Stille brach war die Musik, die Nima leise mitlaufen ließ.
„Wo wohnst du denn?" fragte er konzentriert und ich nannte ihm die Adresse.
„Ich würde dich ja mit zu mir nehmen, aber dann würde mir Capi eine reinhauen." scherzte er und lockerte die Stimmung somit ein wenig auf.
„Ja, das würde er definitiv" stieg ich mit darauf ein und plötzlich mussten wir beide anfangen zu lachen. Es dauerte nicht lange, dann standen wir auch schon vor dem mir nur allzu bekannten Wohnblock. Nima parkte das Auto auf dem Parkplatz direkt an der Straße und gemeinsam gingen wir zur Eingangstür.
„Hör zu, es ist okay wenn du nach Hause gehst oder so. Ich komm prima alleine klar, ehrlich. Die Jungs machen sich nur manchmal zu viele Sorgen, das ist alles. Du musst wirklich nicht mit nach oben kommen." äußerte ich freundlich, als er mir die schwere Haustür aufhielt.
„Das weiß ich Canim. Aber Samra hat ausdrücklich gesagt dass ich dich nicht alleine lassen soll. Und er wird gute Gründe dafür haben. Außerdem brauchst du keine Angst vor mir zu haben, ich tu dir nichts." Er grinste verstohlen und schlenderte dann die Treppen nach oben. Ich schmunzelte augenrollend und folgte ihm dann ohne Widerworte.
„Stop!" rief ich, als er bereits eine Etage weiter nach oben wollte.
„Hier wohnst du? Genau gegenüber von Samra? Ist ja heftig" staunte er und klebte mit seinen Augen an Samras Klingelschild fest.
„Tja, Nachbarn kann man sich eben nicht aussuchen." seufzte ich müde und schloss meine Wohnung auf.
„Ach komm, ist doch voll geil. Wenn du mal die Schnauze voll von Capi hast kannst du kurz rüber zu Samra, ihr schiebt ne Nummer und dann ist die Welt wieder in Ordnung." Lachte er und schlüpfte aus seinen Schuhen.
„Ganz bestimmt" sagte ich sarkastisch und hing meine Tasche an den Haken.
„Also wenn ich eine Frau wäre, dann würde ich mich von Samra flachlegen lassen. Der Junge ist richtiger Playboy." plapperte er fröhlich, während er sich auf meine Couch fallen ließ.
„Dann frag ihn doch mal, vielleicht macht er es ja mit dir, auch wenn du keine Frau bist" rief ich vom Bad aus zu ihm rüber und hörte ihn lachen.
„Vielleicht mache ich das! Ich bin sicher er liebt mich genauso sehr wie ich ihn."
„Oh Gott." Ich schlug mir die flache Hand vor den Kopf und konnte mich dann dann endlich aus dem Kleid heraus schälen.
„Nima ich geh kurz duschen" brüllte ich durch den Spalt der leicht geöffneten Badtür und hörte nur ein >jaja<, welches ich als Antwort hinnahm.

MademoiselleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt