Part 73 ~ Naivität

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„Heeey" rief Lea, als ich die Studiotür öffnete und wir uns gegenüber standen. Freudig schloss sie mich in eine feste Umarmung und trat dann ein.
„Wie geht's dir? Das ist also das Studio, nicht schlecht." Sagte sie begeistert und sah sich um. Samra, der in die Küche geflüchtet ist als ich zur Tür bin kam mit einem Bier in der Hand gerade wieder heraus. Als er Lea sah rollte er nur mit den Augen und setzte sich wieder an seinen Text.
„Grüßen hast du wohl als Kind nicht gelernt?" fragte sie direkt provokativ.
„Grüß den hier" antwortete er und zeigte ihr den Mittelfinger.
„Wie kannst du das nur mit dem aushalten?" fragte sie genervt und schaute sich weiter um.
„So jetzt erklär mir das nochmal. Capi ist in Florenz und du musst jetzt mit...Josy!" Unterbrach sie sich selbst in einem so lauten Tonfall, dass ich mich erschrak.
„Was bitte ist das?" brüllte sie entsetzt und hob meinen Arm an, um ihn genauer anschauen zu können. Mist, das hatte ich schon wieder vergessen. Ich hätte eine Jacke drüber ziehen sollen.
„Keine Ahnung...hab mich irgendwo gestoßen" versuchte ich so gut wie möglich zu lügen. Dass Samra neben uns hellhörig geworden war und das ganze gespannt verfolgte war mir nicht entgangen.
„Gestoßen also. Willst du mich verarschen? Wie oft hast du dich denn bitte gestoßen, um so einen blauen Arm zu kriegen?" fragte sie rhetorisch und ließ mich wieder los.
„Warte mal..." murmelte sie und sah mich an.
„War das Capi? Ich wusste dass das ein falscher Umgang ist! Gib mir seine Nummer, dem erzähl ich was!" plusterte sie sich auf und zog ihr Handy aus der Tasche.
„Das war nicht Capi. Der würde sowas niemals machen. Ich hab mich einfach nur gestoßen, okay?" Die letzten Worte klangen eher flehend, weil ich hoffte dass sie einfach aufhörte nachzufragen.
„Lüg doch nicht. Sag mir jetzt wo das herkommt!"
Plötzlich holte sie scharf Luft und überlegte kurz. Dann drehte sie sich zu Samra um und steuerte auf ihn zu.
„Du warst das!" fauche sie und hob den Finger.
„Und wenn schon?" gab er gelangweilt zurück und stellte sich ihr gegenüber.
„Was bist du eigentlich für ein ekelhafter Mensch? Dass du schwächere verletzt? Macht dir das Spaß, wurdest du früher in der Schule von allen gemobbt oder warum erhebst du deine Hand gegen ein Mädchen?" schrie sie ihn an und ich konnte sehen, wie er sich anspannte.
„Verpiss dich" zischte er und baute sich bedrohlich vor ihr auf. Und dann passierte es. Schneller als er gucken oder reagieren konnte landete ihre flache Hand mit einem lauten klatschen in seinem Gesicht. Sein Gesicht, dass durch den knall zur Seite flog drehte er nun ganz langsam wieder in ihre Richtung, sodass man den feuerroten Abdruck auf seiner Wange sehen konnte. Er sagte kein Wort, sondern fing an zu knurren und drückte seine Fäuste so fest zusammen, dass man die Fingerknöchel hell durchschimmern sehen konnte. Aus Angst, dass die ganze Sache eskalieren könnte zwängte ich mich zwischen die beiden und versuchte Samra mit meinem Rücken nach hinten zu schieben, indem ich mich vor ihn quetschte.
„Lea, es ist anders gewesen als du denkst" verteidigte ich ihn schnell und schob ihn mit aller Kraft ein Stück nach hinten, während mein Rücken an seinen Oberkörper gepresst war.
„Wie?" fragte sie zynisch und brodelte nur so vor Wut.
„Ich...also er...ich hab ihn hintergangen. Er hatte jedes Recht, sauer zu sein" stotterte ich aufgeregt und hoffte, dass sich beide beruhigen würden.
„Ob jemand einfach nur sauer ist oder handgreiflich wird ist aber ein gewaltiger Unterschied! Warum gehst du nicht zur Polizei? Das ist doch unnormal!" regte sie sich auf, wodurch Samra wieder einen Schritt nach vorne wollte. Ich lehnte mein gesamtes Gewicht gegen seinen Oberkörper und schaffte es so, ihn daran zu hindern was dummes zu machen.
„Lea bitte, wir haben das geklärt. Er hat sich entschuldigt"
„Ach, und dann ist die Welt wieder in Ordnung? Bist du wirklich so naiv? Du lässt dich rumschubsen, du lässt dich einsperren und du lässt dich verletzen, und dann nimmst du ihn noch in Schutz?! Sorry, muss ich nicht verstehen." sagte sie beleidigt und steuerte auf die Tür zu.
„Warte, was? Nein, bitte geh nicht!" rief ich entsetzt und lief ihr hinterher.
„Und ob ich gehe. Ich hab dich wirklich lieb Josy, aber darauf hab ich keinen Bock. Meld dich wenn du wieder klar im Kopf bist und nicht mehr mit diesen Möchtegern – Gangstern rumhängst"
Mit einem lauten knall flog die Tür des Studios zu und wirbelte meine Haare nach hinten. Ich stand einfach da und verstand die Welt nicht mehr. So schlimm hatte ich mich noch nie mit ihr gestritten. Eigentlich stritten wir nie. Ihre Worte haben gesessen. Mein Brustkorb brannte und in meinen Augen sammelten sich Tränen, während ich immer noch die Tür anstarrte. Ich wusste nicht, was ich dazu sagen oder denken sollte. Ich drehte mich um und sah Samra ins Gesicht, der genauso angewurzelt da stand wie ich.
„Bist du jetzt zufrieden?" schrie ich ihn unter Tränen an.
„Was kann ich dafür?" fragte er mit erhobenen Händen.
„Nichts. Du bist unschuldig, wie immer." sagte ich leise und rannte dann an ihm vorbei ins Gästezimmer.
„Josy" rief er, als ich die Tür zu schlug und mich auf das Sofa purzeln ließ. Ich schluchzte vor mich hin und kuschelte mich krampfhaft an die Kissen, die neben mir lagen.
„Komm wieder raus" rief er besänftigend und klopfte gegen die Tür.
„Geh einfach weg" schluchzte ich und vergrub meinen Kopf in dem großen blauen Kissen, dass ein wenig den Geruch von Vladislav an sich hatte. Ich war so mit heulen beschäftigt, dass ich gar nicht bemerkt hatte wie ruhig es plötzlich geworden war. Ich spürte nur, wie sich jemand zu mir setzte und immer wieder ganz vorsichtig über meinen Rücken strich, während ich mich langsam wieder beruhigte.
„Ich weiß, dass das gerade unpassend ist. Aber hör lieber gut zu, denn ich werde das nur einmal sagen." hörte ich Samras Stimme und kullerte mich noch weiter zusammen.
„Danke, Habibi."

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