Mit den Händen in der Bauchtasche meines Pullovers vergraben lief ich Samra hinterher, während uns der kalte Herbstwind immer wieder ins Gesicht peitschte. Wir waren seit circa Zehn Minuten unterwegs, und bis jetzt hatte keiner von uns ein Wort gesagt. Er war genervt weil er sein Auto holen musste, und ich versuchte einfach auf Abstand zu ihm zu gehen. Abgesehen von den Kopfschmerzen war ich hundemüde. Hätte er mich nicht gezwungen mitzukommen, würde ich jetzt wahrscheinlich schon im Bett liegen und schlafen. Mit zitternden Händen schaute ich auf mein Handy, in der Hoffnung dass sich Vladislav endlich mal gemeldet hatte. Aber sein Handy war anscheinend immernoch ausgeschaltet. Jedes mal verschwand er einfach von jetzt auf gleich, und brauchte dann ewig bis er wieder zu Hause war. Ich hatte ja Verständnis dafür, dass er viel zu tun hatte durch die Musik. Und durch die andere Geldeinnahmequelle. Aber ich wollte nicht ständig von ihm alleine gelassen werden.
"Kannst du nicht aufpassen?", riss mich Samra aus meinen Gedanken, als ich versehentlich in ihn hinein lief als er stehen blieb.
"Sorry.", murmelte ich und ging wieder einen Schritt von ihm weg.
"Taxi müsste gleich kommen.", sagte er und schaute auf seine Rolex. Keine zwei Minuten später sahen wir auch schon zwei Scheinwerfer, die auf uns zu kamen. Wir stiegen auf der Rückbank ein und ließen uns von dem Fahrer zu einer Autowerkstatt bringen, die sich irgendwo mitten in Berlin befand. Samra drückte dem Fahrer fünfzig Euro in die Hand und hielt mir dann die Tür auf, als ich ausstieg.
"Danke.", sagte ich leise, während das Taxi schon wieder wegfuhr. Er hielt mir seine Hand hin und signalisierte mir mit seinen Augen, dass ich sie nehmen sollte. Obwohl ich lieber darauf verzichtet hätte, ließ ich mich darauf ein. Zusammen mit meiner Hand steckte er seine in die Tasche seiner Jacke, wodurch ich noch ein Stück näher bei ihm laufen musste.
"Setz Kaputze auf. Ist zwar dunkel, aber trotzdem darf uns keiner erkennen.", sagte er und ich zog mir die schwarze Kaputze über den Kopf, was er dann ebenfalls tat. Nach wenigen Minuten Fußweg kamen wir bei einer kleinen Werkstatt an, die schon etwas heruntergekommen aussah.
"Marhaba.", sagte Samra, als wir unter dem Rolltor durchliefen und ließ meine Hand wieder frei. Der relativ jung aussehende Araber begrüßte ihn und sie unterhielten sich angeregt über irgendetwas auf ihrer Sprache. Da ich kein Wort verstand, blieb ich einfach hinter Samra stehen und lächelte freundlich.
"Beeilt euch lieber. Wenn sie wissen dass dein Auto hier ist, werden sie bestimmt bald da sein.", sagte der Mann und Samra drückte ihm einige Scheine in die Hand. Wie viel er ihm gab, konnte ich nicht erkennen. Aber es war definitiv nicht wenig. Samra drehte sich zu mir um und signalisierte mir, ihm zu folgen. Als wir wieder draußen waren gingen wir hinter das Gebäude, und da stand Samras Auto.
"Wie haben die das hier herbekommen?", fragte ich erstaunt, da Samra ja den Schlüssel hatte.
"Abgeschleppt. Die Hurensöhne haben einen Peilsender dran geschraubt. Damit hätten sie uns am Arsch gehabt.", brummte er aggressiv und schloss das Auto auf.
"Sorry.", murmelte ich, als ich auf den Beifahrersitz geklettert war.
"Wofür?", fragte er verwirrt und starrte mich an, während ich mich anschnallte.
"Na wegen der ganzen Sache hier. Dass du wegen mir Stress mit Khalil hast. Ich zieh dich da voll mit rein.", sagte ich schuldbwewusst, während er mir gespannt zuhörte.
"Ich hab Stress wegen dir?", fragte er erschrocken und stellte den Wagen wieder ab, den er eben erst gestartet hatte.
"Habibi, wir stecken da alle mit drin. Keiner von uns ist Schuld daran, dass der Bastard uns abmurksen will. Oder dich halt. Capi kann nichts dafür, ich kann nichts dafür, und du schon gar nicht."
"Ich weiß doch auch nicht. Manchmal denke ich einfach, dass es vielleicht das beste wäre, wenn ich dem ganzen ein Ende machen würde."
"Was, willst du dich selbst ausliefern?"
"Ich seh doch, dass ich euch nur Ärger damit mache. Es ist doch nur die Wahrheit wenn ich sage, dass es für uns alle das beste wäre. Dann hättet ihr Ruhe.", sagte ich traurig und spielte mit dem Ärmel von meinem Pullover herum.
"Rede nicht so. Keiner von uns würde zulassen, dass er dich kriegt. Und es wäre nicht das beste. Wenn du nicht mehr bist, wird das Capi zerstören. Und wenn Capi abstürzt, macht mich das genauso kaputt. Der Bastard wird dich nicht in die Finger kriegen. Nicht, solange ich da bin. Also hör auf über sowas nachzudenken und kämpfe. Ich hab dir schonmal gesagt, starke Mädchen weinen nicht.", sagte er ruhig, als ich ungewollt eine Träne verlor.
"Und ich hab dir schonmal gesagt, dass ich nicht stark bin.", schniefte ich und wischte die Träne mit meinem Ärmel weg. Er schaute mich noch eine Weile traurig an, bevor er den Wagen startete. Er ließ das ganze unkommentiert und fuhr uns dann nach Hause. Von der Fahrt bekam ich nicht viel mit, da ich immer wieder einschlief. Erst als ich das klacken des Gurtes hörte bemerkte ich, dass wir zu Hause waren. Mit schweren Beinen stieg ich aus dem riesigen Fahrzeug aus und ging mit Samra wieder in unser Haus.
"Caaapiiii!", brüllte er durchs ganze Haus, doch niemand antwortete.
"Ich hab doch gesagt, keiner weiß ob er sein Versprechen hält.", sagte er Schulterzuckend und hing seine Jacke an den Haken, während ich am liebsten gleich wieder geheult hätte. Ich war wütend und enttäuscht zugleich. Als ich mein Handy herausnahm, hatte er die Nachricht immernoch nicht erhalten.
"Er wird sich schon melden. Du weißt, wie er ist.", sagte Samra ruhig, als ich mir wieder eine Träne weg gewischt hatte.
"Allerdings.", murmelte ich enttäuscht und steckte das Handy dann wieder weg. Während Samra noch duschen war, lag ich schon allein im Bett. Ich hatte mich auf Vladislavs Seite gelegt, wo immernoch sein Duft hing. Es machte mich wahnsinnig, wenn ich nicht wusste wo er war, oder wann er wiederkommen würde. Ich wusste ja dass er viel und gerne im Studio ist, aber 24h? Und warum war Samra dann nicht bei ihm? Sonst waren sie doch auch immer zusammen im Studio. Es dauerte ewig bis ich einschlafen konnte, weil ich mir die ganze Zeit den Kopf über ihn zerbrach. Aber irgendwann klappte es dann doch.
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Mademoiselle
FanfictionJosy begegnet zwei Menschen, die ihr Leben komplett auf den Kopf stellen - und das nicht gerade auf die gute Weise. Zum einen Capi, der sie wegen seiner kriminellen Geschäfte immer wieder alleine lässt, und zum anderen Samra, der sie wie Dreck beha...