Part 150 ~ Dicke Luft

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Vladislav

"Warum so unsensibel Bra?", fragte ich Samra wütend, der mich unbeeindruckt anschaute als die Tür zu flog.
"Ich bin nicht unsensibel, sondern ehrlich.", sagte er locker und ging zur Couch, um sich dort hinzusetzen.
"Tamam aber das war mies. Es ist sowieso schon nicht leicht für sie, versuch einen Gang zurück zu schalten.", redete ich auf ihn ein und hängte Josys Jacke an den Haken neben der Tür.
"Capi du kennst mich. Ich bin kein Schauspieler. Ich kann doch nichts dafür, wenn sie die Wahrheit nicht hören will.", verteidigte er sich mit ruhiger Stimme, während er mich rechthaberisch anschaute.
"Ich will keinen Streit Bruderherz. Bitte sein einfach netter.", bat ich ihn erneut und setzte mich ebenfalls auf die Couch."
"Was für nett. So wie du? Wo ist der Capi, den ich eigentlich kenne? Der Capi, der sich von niemandem was vorschreiben lässt und macht, was er will? Hol dir deine Eier zurück Bruder, sonst nimmt dich irgendwann keiner mehr ernst."
"Was für Eier nahui? Der Bratan bleibt der gleiche, das weißt du."
"Achja? Und wann hast du dir zum letzten mal einfach genommen was du wolltest, anstatt um Erlaubnis zu fragen?", konfrontierte er mich, was mich im ersten Moment verstummen ließ. In meinem Kopf schwirrte einfach dermaßen viel herum, dass ich kaum klar denken konnte.
"Kannst du bitte Essen holen? Ich versuche, das hier in den Griff zu kriegen.", sagte ich müde und fuhr mir ein paar mal durch die Haare.
"Mach ich.", antwortete Samra und machte sich dann auf den Weg. Währenddessen saß ich auf dem Sofa und überlegte, wie ich Josy aus dem Zimmer heraus bekommen könnte. Wobei es glaube ich das beste wäre, wenn wir sie erstmal in Ruhe lassen würden. Vielleicht hat sie sich ja nachher wieder etwas beruhigt. Während ich so auf der Couch saß und nachdachte, war es totenstill um mich herum. Nach einer Weile fiel mir jedoch das leise Wimmern auf, welches aus dem Gästezimmer kam. Das brach mir fast das Herz. Ich wollte nicht, dass sie wegen mir weinen musste. Also stand ich auf und ging zur Tür, wo ich mich dann mit einer Schulter dagegen lehnte und leise klopfte.
"Komm schon Baby, lass uns das einfach vergessen.", rief ich mit ruhiger Stimme, und dann hörte das Wimmern pötzlich auf.
"Ich will nicht mit dir streiten, Prinzessa. Samra holt was zu essen, ich kann dir auch was reinbringen nachher.", versuchte ich es erneut, doch es kam keine Antwort. Nachdem ich mehrere Minuten an der Tür lauschte und alles ruhig war, hörte ich sie wieder schniefen. Seufzend wandte ich mich ab und holte mir aus der Küche was zu trinken.
"Ich hab Futter!", rief Samra, der mit drei Pizzakartons in der Hand zur Tür reinkam.
"Endlich, ich sterbe wenn ich nicht gleich was esse.", sagte ich und stürtze mich auf die Kartons, während Samra seine Jacke auszog.
"Und?", fragte er und wies mit seinem Blick auf die Tür, hinter der Josy sich verkrochen hatte.
"Sie will nicht reden.", sagte ich betrübt und schob Samra einen Karton zu.
"Soll ich sie raus holen?", fragte er, bevor er sich setzte.
"Nein, lass sie."
"Und was ist mit essen? Du hast selber gesagt, dass sie essen muss. Dann sorg halt auch dafür.", sagte er mahnend und setzte sich neben mich.
"Wie soll ich das machen? Soll ich ihr eine scheiß Nadel in den Arm hauen und sie zwangssweise ernähren nahui?", entgegnete ich genervt.
"Bruder chill mal. Lass mich das machen.", sagte mein bester Freund, holte sich einen Teller aus der Küche und legte zwei Stückchen Pizza darauf. Dann ging er zur Tür und wollte sie öffnen - doch er zögerte. Anscheinend war die Tür gar nicht zu gewesen. Er öffnete sie und schaute dann vorsichtig herein. Dann schnaufte er verächtlich, zog die Tür komplett auf und schaute mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Stirnruzelnd erhob ich mich und warf einen Blick in das Zimmer. Es war leer. Auf der Couch lag eine zerknüllte Wolldecke, und das Fenster stand komplett weit offen.
"Fuck, sie ist abgehauen!", stellte ich wütend und schockiert zugleich fest.
"Wie denn? Über dem Fenster ist doch so eine Gitterplatte. Da kommt man nicht raus.", sagte Samra mit aller Ruhe.
"Hast du abgeschlossen, als du gekommen bist?", fragte ich direkt und ging zur Tür.
"Jap.", antwortete er und tatsächlich - die Tür war abgeschlossen. Aber wie ist sie dann raus gekommen? Gerade als ich mich wieder zu Samra umdrehte, hörten wir den Wasserhahn im Badezimmer. Und dann trat Josy heraus. Ihr Augen waren ganz klein und zusammengekniffen, und sie wischte sich schniefend über ihr feuchtes Gesicht. Ohne uns auch nur einen Blick zu schenken schlurfte sie mit gesenktem Kopf zurück in das Zimmer, während ich sie sprachlos beobachtete. Als sie im Zimmer war und die Tür schließen wollte, lenkte Samra ein und hielt die Tür fest. Obwohl er sie anstarrte, schaute sie nicht einmal nach oben. Sie stand einfach da und wartete, bis er das ausgesprochen hatte, was er aussprechen wollte. Doch er sagte nichts, sondern stellte den kleinen Teller einfach nur auf das Sofa. Während er drin war kam ich an die Türschwelle und wartete, bis er wieder draußen war.
"Baby, komm mit raus. Bitte.", sagte ich so sanft wie möglich und wartete gespannt auf eine Reaktion. Doch sie ignorierte mich komplett und zog die Tür dann einfach wieder zu.
"Entweder isst sie, oder halt nicht. Wir werden es ja dann sehen.", sagte Samra, der bereits wieder auf dem Sofa saß und sich über die Pizza hermachte. "Tamam.", sagte ich niedergeschlagen und nahm wieder neben ihm Platz.
"Aber jetzt mal im ernst - hol dir deine Eier zurück, Bruder. Das kann sich ja keiner mit angucken.", sagte Samra kauend und und schüttelte leicht mit dem Kopf.
"Bin ich so krass weich geworden?", fragte ich verwundert, da mir das bis jetzt nicht aufgefallen war.
"Also ich hätte mir nicht die Tür vor der Nase zuschlagen lassen.", antwortete er nur. Und da ich ihn gut genug kannte wusste ich, dass er das zu einhundert Prozent ernst meinte. Mir wurde in dem Moment aber auch klar, dass er Recht hatte. Früher hätte ich mir das auch nicht gefallen lassen. Und jetzt? Nehme ich es einfach so hin, nur um Streit aus dem Weg zu gehen? Fuck, er hatte mehr als nur Recht.

Die Zeit verging plötzlich rasend schnell, während ich mit Samra über Gott und die Welt redete, und wir hier und da ein paar Zeilen aufnahmen. Er redete viel über sein Album und das, was er in Zukuft geplant hatte. Am geilsten war die Idee mit dem brennenden Auto. Obwohl ich es schade fand, dass das schöne Auto einfach so hochffliegen sollte.
"Wollen wir nach hause? Morgen wird anstrengend.", fragte mich Samra, nachdem wir beide unser Bier ausgetrunken hatten.
"Jap.", stimmte ich ihm zu und räumte die Flaschen weg. Von Josy kam während der ganzen Zeit nichts. Obwohl ich zwischendurch ein paar mal abschalten konnte, beschäftigte es mich die ganze Zeit.
"Baby?", rief ich vorsichtig und klopfte gegen die Holztür. Als ich keine Antwort bekam, öffnete ich sie vorsichtig und schaute ganz langsam hinein. Sie war eingeschlafen. Leise öffnete ich die Tür komplett und betrachtete meine Freundin, die sich anscheinend in den Schlaf geweint hatte.
"Kommt ihr?", fragte Samra, der schon seine Jacke angezogen hatte und hinter mir stand.
"Baby, wach auf. Wir wollen nach Hause.", sagte ich und rüttelte leicht an ihr, aber sie schlief tief und fest.
"Halt mir die Tür auf Bra, ich trag sie.", warf ich Samra zu und hob Josy dann mitsamt der Wolldecke in meine Arme. So achtsam wie möglich transportierte ich sie aus dem Studio, während Samra hinter mir abschloss.
"Krass, wie leicht sie ist.", sagte ich und ging zum Auto.
"Normal, wenn man nichts isst.", entgegnete Samra und wedelte mit den zwei in Alufolie eingepackten Pizzastückchen, die sie liegen gelassen hatte.
"Kofferraum?", fragte er mich grinsend und öffnete ihn.
"Rückbank.", sagte ich gespielt genervt und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Vorsichtig platzierte ich sie auf den Sitzen und legte dann die Decke über sie, bevor ich die Tür zu machte.
"Bis gleich Bra.", rief ich Samra zu, der in sein Auto einstieg und dann vorne weg fuhr.
Die ganze Fahrt über kam von Josy nicht ein Geräusch oder eine Bewegung. Anscheinend war sie so fertig, dass sie einfach durchpennte. Erst als ich sie wieder in meinen Armen hatte und Samra mir die Haustür aufhielt, bewegte sie sich.
"Baby?", fragte ich leise. Mit geschlossenen Augen kuschelte sie sich an meine Brust und schlief dann wieder ein.
"Junge, hat die einen tiefen Schlaf.", sagte Samra und ging in sein Zimmer. Als ich auf das Schlafzimmer zu steuerte, wurde sie plötzlich wach. Mit zusammengekniffenen, müden Augen drückte sie sich plötzlich am Türrahmen ab, sodass ich nicht weiter kam.
"Lass mich runter.", murmelte sie leicht panisch, woraufhin ich sie absetzte.
"Komm ins Bett.", sagte ich und wollte sie an der Hand mitziehen, doch sie wies mich ab.
"Ich schlafe auf der Couch.", beschloss sie heiser und schnappte sich ihr Kissen und ihren Schlafanzug.
"Komm schon Baby, mach nicht so. Lass uns da weitermachen, wo wir aufgehört haben.", grinste ich sie an.
"Frag doch Samra. Vielleicht schläft der mit dir.", antwortete sie gitfig und wollte mich stehen lassen, doch ich packte ihr Handgelenk und hinderte sie daran.
"Du schläfst bei mir.", befahl ich streng, obwohl ich eigentlich gar nicht so hart klingen wollte. Sie schaute mich mit ihren kleinen, geröteten Augen an und ballte ihre zarte Hand zu einer zitternden Faust.
"Du kannst mich nicht zwingen.", zischte sie und riss sich dann von mir los. Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich erneut um und wollte nach unten gehen.
"Komm zurück!", rief ich, als Samra gerade aus seinem Zimmer kam und uns beide beobachtete. Ohne großartig nachzudenken stellte er sich ihr in den Weg und drängte sie dazu, wieder ein paar Schritte zurück zu gehen.
"Hast du nicht gehört, was Capi gesagt hat?", fragte er bedrohlich, und trieb sie somit wieder zurück zu mir. Sie klammerte sich an ihrem Kopfkissen fest, und schaute dann zu mir.
"Bitte.", sagte ich sanft. Boah, wenn Blicke töten könnten wäre ich in dieser Sekunde tausend mal gestorben.
"Geh schon.", sagte Samra und wollte sie weiter zu mir schieben, doch sie zuckte zurück.
"Warum könnt ihr mich nicht einfach in Ruhe lassen?", schrie sie uns plötzlich beide an und brach wieder in Tränen aus. Dieses mal war sogar Samra leicht erschrocken darüber, wie sich die Situation gerade entwickelt hatte. Wir schauten beide dabei zu, wie sie die Treppen herunter eilte und dann verschwunden war.
"Ups.", sagte er, als wir sie bis hier oben weinen hören konnten.
"Sorry.", entschuldigte sich der Libanese, doch ich winkte nur ab.
"Alles gut, mach dir keinen Kopf.", sagte ich und schlug kurz mit ihm ein, bevor wir in unsere Zimmer gingen. Mehr als warten konnte ich jetzt eh nicht, sonst würde ich alles nur noch schlimmer machen. Obwohl es mir im Herz weh tat, wenn sie so komplett fertig war dass sie ununterbrochen weinte. Wir hatten es echt verkackt. Ich hatte es verkackt.

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