Part 110 ~ Familienkrise

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"Ich weiß halt nicht, ich glaube ich mach doch wieder so wie früher.", überlegte Vladislav, während er mit seiner Gesichtsmaske auf dem Drehstuhl beim Frisör saß.
"Am Ende ist es deine Entscheidung. Ich kann dir sagen was ich gut finde, aber dir muss es gefallen.", sagte ich und schaute ihn im Spiegel an.
"Ich mach das jetzt.", sagte er entschlossen und ließ sich dann die Haare wieder kurz schneiden.
"Jetzt ist halt vorbei mit Zöpfchen.", sagte ich grinsend, als der Frisör fertig war.
"Den Joker gibt es aber trotzdem noch.", sagte er lachend und grinste sich dann im Spiegel selbst an.
"Lass die Maske wegmachen und dann mach ich Foto für Insta.", sagte Samra, der bereits fertig war.

Als die beiden mit ihren Storys beschäftigt waren, klebte ich am Handy. Ich überlegte wieder wegen Lea. Traurig las ich unseren letzten Chat noch einmal durch, und fasste dann den Entschluss, es noch einmal zu versuchen. Aber gerade als ich schreiben wollte, klingelte mein Handy. Meine Mutter rief mich an.
"Kann ich kurz vor der Tür telefonieren?", fragte ich Vladislav aufgeregt, der seine Frisur im Spiegel betrachtete.
"Ja, aber nicht alleine. Geh mit Samra.", antwortete Vladislav. Ich ging nach draußen und Samra folgte mir sofort. Ich stand einige Meter vom Eingang weg, während Samra sich eine Zigarette anzündete.
"Hallo?", nahm ich ab und war gespannt, was meine Mutter wollte.
"Josy! Warum hast du uns nichts erzählt?", fragte sie sofort hysterisch und halb am weinen, während ich nur Bahnhof verstand.
"Was meinst du? Was erzählt?", fragte ich verwirrt und bemerkte, wie Samra neugierig wurde.
"Lea war gerade bei uns. Sie hat uns alles erzählt! Was dein Freund für einer ist, und dass dieser Mann dich umbringen wollte! Wir wissen alles, Josy. Wo bist du da nur rein geraten?", rief sie aufgebracht in das Telefon. Ich fühlte mich wie versteinert. Mein Körper bekam eine ekelhafte Gänsehaut, und mir lief es eiskalt den Rücken herunter.
"Was ist?", fragte Samra  leise und musterte mich mit hochgezogener Augenbraue. Ich war unfähig zu antworten. Mein gesamter Körper war einfach wie gelähmt. Mir schossen tausend Gedanken durch den Kopf. Was sie genau erzählt hatte, was meine Eltern jetzt über Vladislav denken...und vor allem, was sie machen würden? Wenn sie sagt alles, dann beinhaltete das ja auch die ganze Sache mit den Waffen. Und mit den Drogen. Dann wäre Vladislav geliefert. Und Samra und die Jungs erst recht.
Entschlossen schnippste Samra seine Kippe weg und nahm mir dann das Telefon aus der Hand, weil von mir einfach keine Reaktion kam.
"Hallo? Ja, hier ist Hussein. Sie hat was? Okay wir kommen vorbei, wir erklären euch alles. Beruhig dich erst mal, wir sind gleich da.", sagte er und legte auf.
"Diese verdammte kleine Sharmuta!", brüllte er so laut, dass die Vögel vor Schreck wegflogen, die auf den Dächern saßen. Alle Menschen auf der Straße starrten uns an, während er sich mit der Hand über den Bart fuhr und dann in den Laden zurück marschierte. Ich stand immernoch da wie gelähmt.
"Verdammte Scheiße, hat sie nicht gemacht oder?", hörte ich Vladislav stinksauer fragen, als dieser den Laden zusammen mit Samra verließ.
"Ich wusste von Anfang an dass man dem Miststück nicht trauen kann Capi, ich hab es von Anfang an gesagt!", regte sich Samra auf.
"Tamam wir fahren jetzt sofort zu deinen Eltern und reden mit ihnen.", sagte Vladislav zu mir und nahm dann sofort meine Hand, um mich mit sich zu ziehen.
"Baby mach dir keinen Kopf, wir kriegen das hin okay?", redete Vladislav auf mich ein, bevor er den Motor aufheulen ließ. Während der gesamten Fahrt überlegten die beiden, welche Konsequenzen das ganze für uns haben würde. Wir steckten wirklich in der Scheiße.

"Okay ich geh zuerst rein und rede mit ihnen.", sagte Samra entschlossen und wollte klingeln, doch ich nahm seine Hand und hielt ihn somit davon ab.
"Lass mich das machen. Es sind immerhin meine Eltern." Er ließ mir den Vortritt und ich atmete tief durch, bevor ich die Klingel betätigte. Meine Hände zitterten unnormal heftig. Einfach alles um mich herum war wie verschwommen. Alles was in dem Moment zählte, war, dass ich das meinen Eltern irgendwie erklären musste, ohne dass sie komplett ausflippten. Ich hörte Schritte von drinnen, und dann ging die Tür auf. Meine Mutter schaute mich verheult an und zog mich ruckartig zu sich, um mich in ihre Arme zu schließen.
"Mein Gott, ich kann das alles nicht glauben. Ich hätte dich beinahe verloren.", schluchzte sie und klammerte sich so fest an mich, dass es mir die Luft zum atmen nahm.
"Können wir bitte rein gehen?", fragte ich leise und sie löste sich von mir. Sie nickte stumm und wir folgten ihr nach drinnen, wo wir uns alle an den Esszimmertisch setzten. Mein Vater wartete dort bereits, und sah genau so fertig aus wie meine Mom. Ich setzte mich zwischen die Jungs, und Vladislav griff nach meiner Hand, die ich dann fest umklammerte. Ich fühlte mich wie vor Gericht. Es war einfach nur schlimm.
"Was hat sie euch alles erzählt?", begann Samra, als keiner den Anfang machte.
"Alles.", murmelte mein Vater, "Einfach alles."
"Sie hat gesagt, dass Vladislav kriminell ist. Und jemand aus seinen kriminellen Kreisen es auf sie abgesehen hat, weil er sich rächen will. Sie sagte, dass sie Josy entführt hätten, und du sie mit bewaffneten Jungs befreien konntest. Und dann hat sie immer etwas von einem Samra erzählt. Das ist doch dein Künstlername, oder? Stimmt das, Hussein? Was sie uns erzählt hat? Dass du Josy schlägst? Und ihr gesamter Arm blau unterlaufen war, weil du handgreiflich geworden bist?", sprach meine weinende Mutter, an Samra gewandt.
"Okay also erst mal...ja, das ist mein Künstlername. Und ja, es gibt da jemanden der Capi schaden will und sich somit Josy geholt hatte. Ich habe sie mit mehreren Leuten dort weg geholt. Wie wir das gemacht haben ist doch egal. Hauptsache, es geht ihr gut, oder?", fing er an und appellierte an meine Mutter.
"Warum bist du handgreiflich geworden, Hussein?", hakte mein Vater nach.
"Das klingt alles schlimmer, als es eigentlich ist. Josy, willst du das erklären?", sagte er ruhig und schaute mich an.
"Also ich...", stotterte ich und schluckte. Alle starrten mich an. Erst als Vladislav sanft meine Hand drückte, und mir somit etwas Mut gab, fand ich meine Sprache wieder.
"Naja, Samra hat da so eine Stalkerin, die mal bei uns vor der Tür stand. Die Jungs waren mega sauer auf sie und wollten mir nicht sagen warum. Dann hatte ich sie durch Zufall getroffen, und wir haben uns heimlich verabredet. Sie hat gesagt sie wäre seine Ex Freundin, und dass er sie richtig schlimm behandelt hätte. Zu dem Zeitpunkt wusste ich aber nicht, dass das die Cousine von dem Typen war, der mich entführt hatte. Sie hatte das geplant und mir K.O. Tropfen in den Kaffee gemischt. Samra hat das rausgefunden und ist sofort zu uns, um mich da weg zu holen. Ich wusste nicht, dass er es nur gut meinte. Er war mega sauer und hat mich dann halt weggezogen, wobei er ein bisschen zu sehr zugepackt hatte. Aber eigentlich bin ich froh, dass er gekommen war. Wenn nicht, würde ich jetzt nicht hier sitzen.", erklärte ich und schaute zu Samra, der betroffen nach unten sah.
"Er wollte mir nicht weh tun. Er hat es nur gut gemeint.", fügte ich hinzu und er schaute mir direkt in die Augen. Er versuchte ein stolzes Lächeln zu unterdrücken, und schaute dann schnell wieder nach oben.
"Oh mein Gott.", sagte meine Mutter und wischte sich die Tränen weg.
"Also hat er dich zwei mal gerettet? Und wo warst du in der Zeit?", fragte sie nun, an Vladislav gerichtet.
"Ich war beruflich unterwegs. Ich konnte ja nicht wissen, dass das die Cousine von diesem Hund war.", verteidigte er sich wütend und verfestigte seinen Griff um meine Hand, was mich kurz aufstöhnen ließ. Als er bemerkte, dass er mir weh tat, ließ er meine Hand los und verschränkte seine Hände ineinander, um seine Wut zu kontrollieren.
"Ich will dir keine Vorwürfe machen, Vladislav. Aber warum hast du nicht verhindert, dass dieser Mann unsere Tochter entführt?", fragte mein Vater.
"Wie sollte ich das bitte verhindern? Ich konnte doch nicht wissen, dass er sowas abziehen würde?" sagte er gereizt.
"Das vielleicht nicht. Aber das ganze ist doch nur passiert, weil du kriminelle Geschäfte betreibst. Lea hat erzählt, dass die ganze Sache durch einen fehgeschlagenen Drogenhandel passiert ist.", stellte mein Vater klar, der nun auch etwas lauter wurde.
"Okay Stop!", rief ich, bevor Vladislav sich zur Wehr setzen konnte.
"Können wir bitte einfach das Thema abhaken? Mir ist nichts passiert, und mir wird auch nichts passieren. Die Jungs passen auf mich auf, okay? Ihr müsst euch keine Sorgen machen, es ist alles gut. Lea übertreibt einfach gerne mal.", stellte ich klar und rieb mir die Schläfen.
"Jungs, lasst ihr uns mal ganz kurz alleine, bitte?", fragte mein Vater und die Jungs gingen nach draußen. Kaum war die Tür zu, ergriff mein Vater wieder das Wort.
"Bei Hussein mache ich mir da keine Sorgen. Aber was, wenn wieder so ein Geschäft schief verläuft? Und beim nächsten mal nicht alles so glimpflich ausgeht, wie beim letzten mal? Josy versteh uns nicht falsch, wir wollen nur dein bestes. Aber vielleicht hat Lea recht, und es wäre das beste, wenn du und Vladislav eine Pause machen."
"Eine Pause? Ich liebe ihn, ich werde keine Pause machen! Er hat mir von Anfang an gesagt, dass ich die Finger von ihm lassen soll. Aber ich habe darüber hinweg gesehen. Egal was passiert, ich werde ihn nicht verlassen.", sagte ich schockiert.
"Wir reden auch nicht von verlassen, sondern von einer Pause. Wie wäre es, wenn du vielleicht für eine Weile zu Hussein ziehst?", fragte meine Mutter.
"Ach darum geht es. Euch wäre es am liebsten, wenn ich mit Samra zusammen wäre, und nicht mit Vladislav.", stellte ich weinend fest.
"Das stimmt nicht. Wir wollen einfach nicht, dass dir etwas passiert.", sagte mein Vater mitleidig.
"Tja, den Wunsch mit Samra kann ich euch leider nicht erfüllen, denn wir wohnen zu dritt in einem Haus, das Vladislav gekauft hat. Und entweder ihr akzeptiert die Beziehnung zwischen Vladislav und mir, oder ihr lasst es. Ihr seid meine Eltern und ich liebe euch, aber ich werde mir nicht vorschreiben lassen, mit wem ich zusammen bin.", schniefte ich wütend.
"Josy, wir wollen wir das nicht vorschreiben. Du musst deine eigenen Entscheidungen treffen. Wenn du der Meinung bist, dass Vladislav der richtige ist, dann akzeptieren wir das.", gab sich meine Mutter geschlagen.
"Dann tut mir bitte auch den Gefallen, und behaltet alles, was hier gesprochen wurde für euch. Wenn ihr das jemandem erzählt, ist nicht nur Vladislav weg vom Fenster, sondern auch Samra. Und ich will keinen von beiden verlieren.", apellierte ich an meine Eltern. Sie schauten sich kurz an, und nickten dann.
"Auch nicht Samras Mutter. Niemandem.", widerholte ich ernst.
"Dir zu liebe. Aber wenn irgendetwas ist, dann komm zu uns. Wir haben doch nur dich.", sagte meine Mutter traurig. Ich stand auf und wir umarmten uns zu dritt.
"Pass auf dich auf. Und melde dich!", schniefte meine Mutter und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
"Versprochen.", nuschelte ich und wischte mir die letzte Träne weg.

MademoiselleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt