Durch den kalten Wind hatte ich das Gefühl, dass die Tränen auf meinen Wangen zu Eis gefroren waren. Ohne sich einmal umzudrehen wurde ich von Samra durch die halbe Stadt gezerrt. Alles was ich wollte, war endlich nach Hause zu fahren. Immernoch saß der Schock tief in mir, das Samra zu so etwas in der Lage war. Ich wusste ja, dass er schnell die Kontrolle verlor. Aber ich hätte nie gedacht, dass er so weit gehen würde. Hätte ich die Nummer von Jonas, hätte ich ihn angerufen - einfach um ihm zu sagen, wie leid mir das tut. Ich konnte ihm nicht helfen, oder es Rückgängig machen. Desto mehr zerbrach ich mir den Kopf über die ganze Sache. Nach einer gefühlten Ewigkeit blieben vor vor einem schmalen Hauseingang stehen. Links befanden sich riesige Fenster, doch man konnte nicht reingucken. Vor der Tür war ein kleiner Gang, in dem ein lilaner LED-Schlauch hing, und über dem Eingang war ein großes schwarzes Schild, auf dem >Zero< stand. Ich wusste nicht wo wir waren, aber es kam mir bekannt vor. Bei längerem überlegen hatte ich den Verdacht, dass es sowas wie eine Spielhalle war.
"Was wollen wir hier?", fragte ich mit kratziger Stimme, während er immernoch meine Hand hielt. Er drehte sich zu mir um, ließ mich los und beugte sich ein Stück zu mir herunter.
"Hör zu, es tut mir leid wegen dem Hurensohn eben okay? Aber niemand macht so mit mir. Jetzt hör auf zu weinen.", sagte er etwas sanfter als vorhind und wischte mit beiden Daumen die gefroren Tränen unter meinen Augen weg.
"Du hättest ihn fast umgebracht.", wimmerte ich und konnte nicht verhindern, dass ich erneut anfing zu weinen.
"Warum ist dir dieser Pic so wichtig? Außerdem lebt er doch noch, sonst hätte er nicht den Schwanz eingezogen und wäre abgehauen, als er die Gelegenheit hatte."
"Es geht ums Prinzip. Er hatte es nicht verdient. Er hat nichts gemacht.", diskutierte ich und drückte seine Hände aus meinem Gesicht weg, doch er ließ es nur begrenzt zu.
"Warum ist er dir so wichtig?", widerholte er mit strengem Blick und legte seine Hände auf meine Schultern.
"Ich...ist egal.", stotterte ich und wollte mich wegdrehten, aber er hielt meine Schultern umpackt.
"Nicht egal. Sag.", forderte er und zog eine Augenbraue nach oben. Das war genau dieser Blick, der mich bei Vladislav jedes mal schwach werden ließ. Als unsere Augen sich trafen, fühlte ich mich wieder so als könnte ich mich nicht bewegen. Nach wenigen Sekunden verlor ich mich in seinen dunklen Augen, und alles um mich herum verschwand.
"Sag.", widerholte er ruhig und schaffte es wieder, mich in seinen Bann zu ziehen. Bevor ich es schaffte zu antworten senke ich meinen Blick nach unten, um klar denken zu können.
"Samra, ich will nicht dass..." stotterte ich, doch er unterbrach mich indem er mein Kinn anhob, sodass ich den Kopf nicht senken und seinem Blick nicht mehr ausweichen konnte. Zum zweiten mal fesselte mich sein Blick, während die kalte Luft um uns herum plötzlich unfassbar heiß wurde. Erneut hob er eine Augenbraue nach oben und löste somit ein unbeschreibliches Kribbeln in meinem Bauch aus.
"Er...ist mein Cousin.", stammelte ich gebrochen, woraufhin er laut hörbar die Luft einzog.
"Dein Cousin?", fragte er misstrauisch. Ich nickte ihm stumm zu, während er überlegte. Er hatte mein Kinn losgelassen und fuhr sich mit der Hand über seinen Bart, während er mit dem Rücken zu mir stand. Nach einigen Sekunden drehte er sich wieder um und betrachtete mich streng.
"Wenn er dein Cousin ist, warum habe ich noch nie von ihm gehört? Deine Mutter hat nie was von einer Schwester erwähnt.", fragte er und ballte seine Hände zu Fäusten.
"Seine Mutter ist die Schwester meines Vaters. Ihr Kontakt ist nicht mehr so gut, seitdem meine Oma nicht mehr da ist.", sagte ich traurig, und dann lockerte er seine Fäuste wieder.
"Ist auch egal jetzt.", sagte er nach einigen Sekunden Stille und griff in seine Bauchtasche, bevor er sich umsah.
"Bleib einfach direkt hinter mir. Und verhalte dich so unauffällig wie möglich. Kapiert?", fragte er mit tiefer Stimme. Ich nickte ihm zu und folgte ihm dann durch den kleinen Eingang. Wir liefen unter dem lilanen LED Schlauch durch und betraten das, was ich vermutet hatte. Überall standen Spielautomaten, und in der Mitte des Ladens war eine große Bar. Wir liefen direkt dorthin, und Samra gab dem Barkeeper ein Zeichen. Dieser verschwand, und gleich danach kam ein anderer Typ hinter der Bar vor.
"Hussein, schön dich zu sehen.", sagte der kräftig gebaute Ausländer und gab ihm die Hand.
"Hast du deine Schulden dabei?", fragte er mit einem falschen grinsen und musterte ihn prüfend. Wortlos gab er ihm ein Bündel Geldscheine, das mit einem roten Gummi zusammen gerollt war. Der Mann hinter der Bar packte es aus und zählte es gründlich durch.
"Wir sind Quitt.", sagte Samra und wollte sich abwenden, aber sein Gegenüber hatte noch was zu sagen.
"Du hast was vergessen, Habibi.", sprach er etwas lauter, und Samra drehte sich wieder zu ihm um.
"Was?", fragte er als er hätte er es nicht verstanden und trat wieder näher an die Bar.
"Dafür dass ich so lange warten musste, will ich etwas mehr.", sagte er und steckte das Geld weg.
"Und wie viel?", fragte Samra, dessen Wut kaum zu übersehen war.
"Ein Drittel der Schulden."
"Lan was für Drittel? Du hast dein Geld, wir sind Quitt.", platzte es aus ihm heraus.
"Entweder du gibst mir ein Drittel, oder ich hol mir was anderes dafür.", sagte er lächend und schaute mich plötzlich an. Mir lief es eiskalt den Rücken herunter, als Samra mich im Augenwinkel anschaute.
"Ich hol dein scheiß Geld.", knurrte Samra dem Typ zu, welcher dann noch mehr grinste.
"Guter Junge. Während du das Geld besorgst, behalte ich deine Freundin als Pfand. Ich kann mir ja nicht sicher sein, ob du versuchst mich zu verarschen.", lachte er und plötzlich spürte ich, wie jemand hinter mir stand. Ich drehte mich um und blickte in die Augen von zwei schwarzhaarigen Männern, die nicht so aussahen als würden sie Spaß verstehen.
"Halt sie da raus, Kareem.", sagte Samra zu dem Typ, der ihn weiterhin anlächelte.
"Gerne. Wenn du mir das gibst, was mir zu steht. Beeil dich lieber, es wird langsam dunkel draußen.", lachte er und klopfte ihm auf die Schulter.
"Wenn sie auch nur einen Kratzer hat, dann..."
"Wird sie nicht. Solange du mir mein Geld bringst, wird ihr nichts passieren. Du hast mein Wort. Und du weißt, ich habe es noch nie gebrochen. Jetzt mach, dass du raus kommst.", unterbrach er ihn streng und baute sich auf, sodass Samra einen Schritt zurück ging.
"Ich hol das Geld und bin wieder hier. Alles wird gut.", sagte er zu mir und ging dann nach draußen. Als die schwarze Tür zu knallte, fühlte ich mich so unsicher. So nackt. Ich hoffte, dass er sich einfach beeilen würde.
"Bringt sie nach hinten.", sagte Kareem zu den zwei Männern hinter mir, die daraufhin meine Arme packten und mit mir hinter die Bar liefen. Wir kamen an zwei Türen vorbei, bis wir am Ende des Ganges angelangt waren. Dort öffnete einer der beide eine Tür, hinter der sich eine Art Aufenthaltsraum befand. An der Wand stand eine große Couch, und in der Mitte des Raumes war ein Tisch. Als wir rein gingen starrten uns vier Ausländer an, die wegen uns ihr Kartenspiel unterbrochen hatte.
"Für uns?", fragte einer der Männer grinsend und checkte mich ab, während ich näher an die zwei Typen neben mir rückte, um irgendwie Schutz zu suchen.
"Nein. Kareem will sie als Pfand. Also nehmt eure Pfoten weg, oder es gibt Ärger.", sagte der Mann rechts neben mir und führte mich zu der Couch.
"Hände.", befahl der Riese, und ich streckte sie ihm entgegen.
"Versuch gar nicht erst Hilfe zu holen oder abzuhauen - erstens wird dir keiner helfen, und zweitens wirst du hier nicht rauskommen. Bete lieber dass dein Freund innerhalb von 24 Stunden zurück ist, sonst gehörst du uns.", sagte der Mann und fesselte meine Handgelenke mit einem Seil. Gleich danach Band er auch meine Füße zusammen und nahm mir mein Handy weg.
"Fühl dich wie zu Hause.", sagte er grinsend und ließ mich dann mit den anderen Typen alleine in dem Raum sitzen.
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Mademoiselle
FanfictionJosy begegnet zwei Menschen, die ihr Leben komplett auf den Kopf stellen - und das nicht gerade auf die gute Weise. Zum einen Capi, der sie wegen seiner kriminellen Geschäfte immer wieder alleine lässt, und zum anderen Samra, der sie wie Dreck beha...