"Ich sag den anderen Bescheid, und dann hauen wir ab.", sagte Granit. Ich wollte mich langsam von ihm lösen, aber ich kam nicht los.
"Deine Kette. Ich häng fest.", sagte ich, als ich fest stellte dass sich meine Haare in dem Verschluss verfangen hatten. Ich versuchte mit hektischen Bewegungen frei zu kommen, aber je mehr ich zog desto schlimmer verhakte es sich.
"Warte, lass mich machen.", sprach Granit und schaffte es dann in aller Seelenruhe, uns voneinander zu trennen.
"Danke.", murmelte ich, während er sich lächend umdrehte um die Jungs zu holen."Los, alle raus.", rief Granit, als er das Auto wieder hinter dem Hotel parkte. Die Jungs verließen mit uns das Auto und gingen dann über den Hintereingang in das Gebäude.
"Grano, der Chef sagt wir können in der Lobby feiern.", rief Yacine, als Granit und ich als letztes den riesigen Eingangsbereich betraten.
"Willst du schon hoch?", fragte mich der Albaner.
"Wenn ich darf.", antwortete ich und nahm die Karte, die er mir in die Hand drückte.
"Ich mach nicht so lange, okay?", sagte er, gab mir einen Kuss auf den Kopf und schickte mich dann zum Fahrstuhl. Ich umklammerte die Zimmerkarte in meiner Hand, lehnte mich mit dem Rücken gegen das kühle Metall des Aufzugs und schloss für einen Moment die Augen. Ich war mir immernoch nicht so richtig klar darüber, wie das hier alles weitergehen sollte. Wenn ich daran dachte, dass ich morgen mit ihm reden müsste, wurde mir komisch. Es war nicht so, dass ich Angst davor hatte. Ich wusste nur nicht, was ich noch dazu sagen sollte. War es richtig, einfach alles zu vergessen und da weiter zu machen, wo wir aufgehört hatten? Oder sollte ich versuchen stark zu bleiben, und ihm klar machen dass es so nicht weitergehen kann? Wollte ich überhaupt, dass sich etwas änderte? Oder war alles gut, so wie es ist? Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr brummte mir der Kopf. Vielleicht war es auch unsinnig, darüber nachzudenken. Vielleicht sollte ich einfach schlafen gehen. Ich meine, was brachte es mir jetzt die ganze Nacht über alles zu grübeln? Nichts. Es brachte mir rein gar nichts. Und trotzdem konnte ich nicht aufhören mich zu fragen, was er wohl gerade machte. Dachte er genau so viel nach, wie ich? Oder war es ihm egal, weil er wusste dass sich sowieso wieder alles einrenken würde?
Die Schiebetür öffnete sich, und somit schlug ich auch meine Augen wieder auf. Ich schlenderte Gedankenversunken zu Granits Zimmer, ohne zu schauen welche Nummer es war. Es war die fünfte Tür von links, somit musste ich nicht auf die Nummer schauen. Allerdings blinkte ein rotes Licht, als ich die Karte benutzte - sie funktionierte nicht. Auch nach dem dritten Versuch tat sich nichts. Fluchend betrachtete ich das kleine Stück Plastik in meiner Hand, bevor mir auffiel dass es nicht die richtige Nummer war. Es war nicht mal die richtige Etage. So ein Mist. Ich rollte genervt die Augen und schaute mich auf dem Gang um, als ich etwas hörte das mich vor Schreck starr werden ließ. Es war seine Stimme, die ich unter tausenden wiedererkennen würde. Fuck, was suchte er hier? Ich hatte keine Zeit darüber nachzudenken was er hier verloren hatte, denn hinter der Tür neben mir hörte ich, wie jemand von innen den Schlüssel abzog. Ohne nachzudenken rannte ich den Gang bis ganz nach hinten. Auf der rechten Seite befand sich die letzte Tür des Ganges hinter einer Ecke, die ich als perfekte Gelegenheit sah um mich dahinter zu verstecken. Genau in dem Moment als ich dort angekommen war und mit dem Rücken an der Wand lehnte, öffnete sich die Tür und Vladislav kam heraus. Ich schaute vorsichtig um die Ecke und sah, wie er mit dem Telefon am Ohr den Gang entlang lief. Für eine kurzen Moment hatte ich echt überlegt, zu ihm zu gehen. Doch dann erinnerte ich mich daran, dass ich stark bleiben wollte. Dieses mal würde ich ihm nicht direkt wieder in die Arme rennen. Er war derjenige, der mich zu unrecht verurteilt hatte. Und er müsste auch derjenige sein, der zu mir kommt. Nicht andersrum. Er telefonierte mit irgendjemandem auf russisch, während er sich den Joint hinter sein Ohr klemmte. Es dauerte einen Moment bis der Fahrstuhl aufging, und dann war er verschwunden. Ich hörte noch wie er sich am Telefon aufregte, bevor die Tür zu ging und es wieder ruhig im Flur war. Ich pustete erleichtert die angehaltene Luft aus, während ich aus meinem Versteck hervor trat. Das war so verdammt knapp gerade, dass ich mich erst mal wieder runterfahren musste. Als ich sicher war dass sich niemand mehr in diesem Flur befand, strich ich mein Kleid gerade und wollte wieder zum Fahrstuhl zurück. Nachdem ich um die Ecke gebogen war und mich fragte warum zum Teufel er das Hotel heute nachmittag nicht verlassen hatte, sah ich im Augenwinkel plötzlich eine dunkle Gestalt, die in meine Richtung kam. Während mein Herz raste, drehte ich langsam meinen Kopf nach links und stellte dann fest, dass ich mich geirrt hatte - ich war hier definitiv nicht alleine. Und Vladislav anscheinend auch nicht.
Es war Samra, der in meine Richtung gelaufen kam. Er war allerdings so vertieft in sein Handy, dass er gar nicht bemerkte wie ich ihn anstarrte, als wäre er ein Geist. Plötzlich fuhr sein Kopf nach oben und unsere Blicke trafen sich. Sofort raubte es mir die Luft zum Atmen und in mir stieg Panik auf. Seine weit aufgerissenen, dunklen Augen brachten mich dazu, schlagartig die Flucht zu ergreifen. Scheißegal wohin, hauptsache weg hier. So schnell ich konnte rannte ich in den Fahrtstuhl, der sich glücklicherweise gerade wieder auf meiner Ebene befand. Ich hämmerte auf den Knopf der die Tür schließen sollte, als würde mein Leben davon abhängen. Noch bevor Samra was dagegen machen konnte ging die Tür zu, und ich war für einen Moment in Sicherheit. Ich stützte meine Hände auf den Knien ab und schnappte nach Luft, so als wäre ich gerade einen Marathon gelaufen. Doch ich hatte keine Zeit zum verschnaufen - ich musste schnell überlegen, in welche Etage ich fahren sollte. Granit befand sich im Erdgeschoss. Wenn ich bei den Jungs wäre, bevor Samra mich einholen konnte, wäre ich sicher. Ich drückte den den grauen Knopf mit dem schwarzen E und betete dann, dass ich es schaffen würde. Doch mein Plan ging nicht auf, denn als die Anzeige auf der 1 stand, hielt der Fahrstuhl an und die Tür öffnete sich. Panisch drückte ich wieder den Knopf um die Tür zu schließen, aber das half nicht.
"Schluss jetzt.", sagte der wütende Libanese, der zur Hälfte in der Tür stand und mich anvisierte. Ich trat einen Schritt zurück und versuchte damit, ihn aus der Tür heraus zu locken. So wie ich es mir bereits dachte fiel er darauf herein und kam auf mich zu. Ich riss mich ein letztes mal zusammen, versuchte konzentriert zu bleiben und nahm Anlauf. So schnell wie möglich flitzte ich an ihm vorbei und drückte dabei auf irgendeinen Knopf, damit der Fahrstuhl zu ging und ich ihn los wäre. Er hingegen schaute nur auf das leuchtende Kästchen und dann zu mir, bevor er anfing zu lachen.
"So schnell geht die Tür nicht zu, Habibi.", grinste er amüsiert und trat aus dem Fahrstuhl heraus. Wieder handelte ich aus der Panik heraus und sprintete zur Treppe. Ich hüpfte die Stufen herunter und hörte bereits die Musik und die Jungs, die sich in der Lobby lautstark unterhielten. Nur noch wenige Meter, dann hätte ich es geschafft. Ich musste die Jungs erreichen, bevor er mich einholte. doch ehe ich um die Ecke biegen konnte, packte mich jemand und drückte mich unsanft gegen die Wand. Durch die Hand auf meinem Mund wurde ich daran gehindert, irgendjemanden auf mich aufmerksam zu machen.
"Hör auf, wegzurennen.", schnaufte Samra, der mich eingeholt hatte und sich gegen mich lehnte. Ich legte meine Hand auf seine und versuchte, sie von meinem Mund wegzuschieben.
"Geh weg von mir!", wehrte ich mich panisch, doche jeglicher Versuch ihn von mir wegzuschieben scheiterte.
"Ich denk nicht mal dran.", knurrte er nur, nahm meine Hand und zog mich den Flur entlang. Unfreiwillig folgte ich ihm die Treppen nach oben, bis wir wieder in der ersten Etage angekommen waren. Dort zog er mich um die Ecke und schubste mich dann vor sich. Wir befanden uns in einer Art Sackgasse, wo ich ihm nicht mehr ausweichen konnte. So wie mein Versteck in der zweiten Etage, nur das hier statt einer Tür einfach nur eine Wand war.
"Was willst du?", fragte ich aufgebracht, als ich feststellte wie aussichtslos es war von ihm weg zu kommen.
"Wir gehen in unser Zimmer. Und dann fahren wir mit Capi wieder nach Hause, da wo du hin gehörst.", sagte er streng und wollte meinen Arm greifen, aber ich wich zurück.
"Vergiss es! Ich werde nirgendwo hingehen!", zischte ich wütend, woraufhin er die Stirn runzelte.
"Du hast kein Mitsprachrerecht. Was hast du da überhaupt an?", fragte er und musterte mein Kleid, welches er an den Spitzen leicht nach oben hob.
"Das ist von Granit. Er hat es mir geschenkt.", sagte ich und patschte seine Hand weg.
"Das ist viel zu viel Ausschnitt. Du läufst rum wie eine Nutte.", warf er mir an den Kopf, ohne sich darüber bewusst zu sein wie sehr er mich damit verletzte.
"Ich scheiß auf deine Meinung. Jetzt lass mich gehen!", schniefte ich und stürmte an ihm vorbei. Schneller als ich gucken konnte schlang er seine Arme um meinen Bauch und hob mich wieder in die Ecke zurück, in die er mich vorher schon gedrängt hatte.
"Wir sind noch nicht fertig. Oder denkst du, ich hab vergessen was du gemacht hast?", fragte er zornig und hob seinen Brustkorb.
"Was meinst du?" wimmerte ich und ließ zu, dass er mir wieder näher kam.
"Ich rede von deiner Hand in meinem Gesicht.", knurrte er gegen meinen Kopf, als er sich erneut gegen mich drückte.
"Du hattest es verdient. Wenn du Vladislav nicht irgendwelche Lügen erzählt hättest, wäre das alles nicht passiert!" Ich schubste ihn so kräftig wie möglich ein Stück nach vorne. Allerdings hatte das zur Folge, dass er den Abstand schnell wieder aufholte und sich mein Handgelenk packte.
"Was für Lügen? Gib doch zu, dass du Capi bescheißen würdest wenn du die Möglichkeit dazu hättest. Gib zu, dass du eine kleine Kahba bist." Ich spürte seine Fingerspitzen, die langsam an meinem Bein nach oben wanderte.
"Nicht!", hechelte ich verzweifelt.
"Was nicht? Ist es nicht das, was Kahbas wollen? Ist es nicht das, was du willst?", knurrte er und war bereits so weit oben, dass seine Hand auf meiner Hüfte lag.
"Nein. Es ist das, was du willst.", japste ich und blickte ihm wieder in die Augen. Er überlegte einen Moment, während sich sein Daumen leicht in meine Seite drückte. Mir entfuhr ein unbeabsichtiges Stöhnen, als er seine Hand unter meinem Kleid hervorzog und dabei seine Fingerspitzen über meine Haut streichen ließ. Er trat einen Schritt zurück, betrachtete mich von oben bis unten und schob dann die Hand in seine hintere Hosentasche. Wortlos hielt er mir etwas kleines schwarzes hin, das ich bei unserer letzten Begegnung bei den Jungs gelassen hatte.
"Warum hast du das?", fragte ich ihn und entsperrte mein Handy.
"Ist unwichtig. Sei einfach dankbar, dass du es wieder hast.", antwortete er arrogant.
"Warte, warum ist der Chat weg?", fragte ich, als ich in Whatsapp feststellte dass das letzte Gespräch mit Haider nicht mehr zu sehen war. Daraufhin schaute ich meine Kontaktliste durch und sah, dass er auch dort verschwunden war. Genauso wie Granit, Nima und noch ein paar andere Kontakte.
"Wo sind die ganzen Nummern hin, Samra?", fragte ich entsetzt, während er mich einfach nur mit verschränkten Armen beobachtete.
"Ich hab aufgeräumt. Glaub mir, ist besser so.", antwortete er gelassen, während sich Tränen in meinen Augen sammelten.
"Und wie zum Teufel bist du da rein gekommen, Ich hab doch Pin Code drin?!", fragte ich aufgebracht und guckte nach, ob noch irgendwas verstellt wurde oder fehlte.
"War nicht schwer, den rauszufinden.", brummte er grinsend.
"Ich hasse dich so sehr.", murmelte ich, und konnte die Tränen nun nicht mehr zurück halten.
"Von mir aus kannst du mich hassen. Aber hass nicht Capi. Er hat nichts gemacht."
"Nichts gemacht? Er hat mich genauso beschuldigt wie du! Normalerweise hätte er hinter mir stehen müssen, aber er ist mir wieder in den Rücken gefallen! Wie kannst du dann noch sagen, dass er unschuldig ist?", platzte es aus mir heraus.
"Bitte, komm einfach mit. Ihr müsst euch wieder vertragen.", bat er sanft.
"Seit wann bittest du mich um irgendetwas? Normalerweise zwingst du mich doch, das zu machen was du willst.", sagte ich mit zitternder Stimme, die zum Ende etwas heiser wurde.
"Ich mach das nur, weil es so das beste ist. Für uns beide."
"Wie soll das bitte das beste sein? Wie zum Teufel ist es gut für uns, wenn du mich behandelst als wäre ich das letzte bisschen Dreck auf dieser verdammten scheiß Welt?", brüllte ich hysterisch, während mir die Tränen wie Wasser übers Gesicht liefen.
"Weil ich der Meinung bin, dass es das richtige ist. Also hör auf es zu hinterfragen und komm endlich mit.", sagte er eiskalt, nahm meinen Arm und wollte mich wieder mit sich ziehen.
"Nein! Ich will nicht auf euer Zimmer, mit dir mitkommen, oder nach Hause. Und schon gar nicht will ich jetzt mit Vladislav reden! Ich will einfach zu Granit, beziehungsweise endlich schlafen - ohne einen von euch beiden neben mir zu haben. Im Gegensatz zu euch behandelt er mich wenigstens nicht wie eine Gefangene!", protestierte ich so leise es ging , riss mich los und ging auf Abstand. Wieder überlegte er einen Moment, ehe er etwas darauf argumentierte.
„Hör zu, ich..."
"Samra? Bist du das?", ertönte Vladislavs Stimme, die ihn unterbrach bevor er richtig zum reden ansetzen konnte.
"Bitte, lass mich gehen. Wenigstens diese eine Nacht.", flehte ich ihn wimmernd an und griff nach seiner Hand, die ich dann fest drückte.
"Dafür schuldest du mir was, Prinzessin." flüsterte er mit erhobenem Zeigefinger und trat dann auf den Flur, sodass Vladislav ihn sehen konnte.
"Ja, sorry Bruder. Ich hab telefoniert.", antwortete der Libanese und ging auf ihn zu, damit er nicht noch näher kam und mich sah.
"Hast du sie gesehen?", fragte er seinen besten Freund, der ihn dann Gott sei Dank anlog.
"Nein, keine Ahnung. Granit ist unten, vielleicht pennt sie einfach.", sagte er, und dann hörte ich wie sich die Fahrstuhltür schloss und die Stimmen verstummten.

DU LIEST GERADE
Mademoiselle
FanfictionJosy begegnet zwei Menschen, die ihr Leben komplett auf den Kopf stellen - und das nicht gerade auf die gute Weise. Zum einen Capi, der sie wegen seiner kriminellen Geschäfte immer wieder alleine lässt, und zum anderen Samra, der sie wie Dreck beha...