Part 90 ~ Unter vier Augen

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Als ich die Augen aufschlug, hatte ich das Gefühl, dass mein Kopf explodieren würde. Die ganze Aufregung, die Wut und die vielen Tränen hatten mich so fertig gemacht, dass ich den ganzen Tag verschlafen hatte. Mein Handy zeigte 18:00Uhr. Und keine neue Nachricht. Nix von Lea. Das kam ja noch dazu. Sie hatte sich seit dem Vorfall im Studio nicht mehr gemeldet. Sollte ich mich bei ihr melden? Keine Ahnung. Sie wollte ja, dass ich Abstand von den Jungs nehme. Aber das ging einfach nicht. Wobei, im Moment wäre ich nicht abgeneigt von ein bisschen Abstand. Vladislav behandelte mich noch schlimmer als Samra. Und ich dachte schon, dass Samra der unausstehlichste Mensch auf der Welt wäre. Aber Graf Koks setzte noch einen drauf.
Mit brummendem Schädel setzte ich mich auf und erhob mich dann mit schweren Knochen aus dem Bett. Am liebsten wäre ich liegen geblieben, aber dann hätte ich wieder die ganze Nacht wach gelegen. Mit müden Beinen schleppte ich mich in Richtung Badezimmer. Und auf wen traf ich?
„Man, siehst du scheiße aus." Sagte Samra und musste grinsen.
„Guck mal in den Spiegel. Du hast das Kissen noch im Gesicht und Sabber am Mundwinkel." Entgegnete ich und ging vor ihm ins Bad, während er verdutzt stehen blieb und sich mit dem Arm über den Mund wischte. Idiot.
„Hast du Kopfschmerztabletten?" fragte er mit rauer Stimme und betrachtete sich neben mir im Spiegel.
„Das zweite Schubfach, rechts von dir. Ich nehme auch eine." Wortlos holte er die Schachtel aus der Schublade und drückte zwei Tabletten aus der Verpackung. Fast synchron steckten wir sie uns in den Mund und spülten mit Wasser nach.
„Wir müssen reden." Sagte er plötzlich ernst und kämmte sich die Haare.
„Worüber?" fragte ich mit einem komischen Bauchgefühl und kämmte mir ebenfalls die Haare, bevor ich sie zu einem Dutt zusammenband.
„Nicht hier. Ich will mit dir allein reden." Brummte er und schaute mich an. Das komische Gefühl wurde immer größer. Hatte er das mit Vladislav mitbekommen, und würde mich jetzt rausschmeißen? Oder würde er sich dafür rächen, dass ich ihm eine gescheuert hatte? Was konnte so wichtig sein, dass wir dafür allein sein mussten?
„Komm." Sagte er und lief in sein Zimmer. Stumm folgte ich ihm, wobei ich dreimal überlegen musste ob ich nicht doch einfach runter rennen sollte. Manchmal konnte ich ihn einfach schlecht einschätzen. Aber egal was jetzt kommen würde. Schlimmer als gestern konnte es eh nicht mehr werden, oder?
„Setz dich." Befahl er und rieb sich die Augen. Müde ließ ich mich auf sein Bett sinken und winkelte die Beine an, sodass ich im Schneidersitz auf der Matratze saß.
„Ist es wegen gestern?" fragte ich und schnappte mir vor lauter Nervosität sein Kopfkissen, damit ich daran herum zuppeln konnte. Er raufte sich immer wieder die Haare und fuhr sich durch sein Gesicht, während er im Zimmer auf und ab ging. Sein Zimmer war immer noch komplett abgedunkelt. Alles war so, wie ich es heute Morgen verlassen hatte. Die Jalousien waren zu und das ganze Zimmer roch nach ihm.
„Hör zu, ich weiß nicht warum Vladislav mich gerade so hasst. Ich habe nichts gemacht, ganz im Gegenteil. Aber wenn du mich jetzt wirklich rausschmeißen willst, dann mach es bitte einfach. Ich ertrage das alles so langsam nicht mehr..."Setzte ich an, doch er unterbrach mich.
„Was? Nein, keine Ahnung was ihr da gerade miteinander habt, darum geht es nicht." Sagte er und winkte ab. Er atmete tief ein und aus, und setzte sich dann direkt zu mir. Seine Nähe machte mich mehr als nur nervös. Ich hatte schon Angst, dass ich das Kissen kaputt machen würde vor lauter Aufregung.
„Josy." Fing er an und beobachtete meine Finger, die am Zipfel des Kissens herumspielten.
„Kannst du bitte..." sagte er leise und legte seine Hand auf meine, sodass ich mit dem zuppeln aufhören musste. Seine Hand war unglaublich warm und weich. Immer wieder schaute ich auf die Stelle, an der wir uns berührten, und dann wieder zu ihm. Es war komisch. Sonst waren wir uns nie so nahe, ohne aneinander zu geraten.
„Es geht um die Sache von gestern Abend. In der Küche als ich...du weißt schon. Ich war betrunken, ich dachte du bist Valentina. Ich habe verschwommen gesehen und dich verwechselt."
„Du musst nicht lügen, Samra." Sagte ich und war einfach erleichtert, als er endlich mit der Sprache heraus rückte. Ich drückte seine Hand und er sah mich mit funkelnden Augen an.
„Warum lügen? Das war so." stritt er ab und entzog sich meiner Hand wieder.
„Du hast mich vorher angeschnauzt, weil ich die Shisha neu machen sollte. Ich habe nein gesagt und du hast mich in die Enge getrieben, und dann hast du...du weißt schon. Valentina war gar nicht da, zu dem Zeitpunkt. Du kannst mich gar nicht verwechselt haben." Erklärte ich ruhig und wartete auf seine Reaktion.
„Erzähl keinen Scheiß, ich habe niemanden angeschnauzt. Ich habe dich verwechselt, mehr nicht." Stritt er weiter ab und stand auf.
„Samra, es ist okay. Ich weiß, dass du mehr fühlst, als du zugeben willst. Aber das ist nicht schlimm, wirklich." Sagte ich und stand ebenfalls auf.
„Du weißt nicht, was du redest. Die Tablette lässt dich nicht klar denken." Brummte er und stand weiterhin mit dem Rücken zu mir.
„Samra." Setzte ich erneut an und nahm seine Hand, sodass er sich zu mir drehen musste. In seinen Augen lag tiefer Schmerz. Noch nie hatte ich ihn so verletzlich gesehen, wie in diesem Augenblick.
„Wenn du wirklich der Meinung bist, dass ich mich irre. Dann sag mir das jetzt ins Gesicht und schau mir dabei in die Augen." Verlangte ich und nahm nun auch noch seine andere Hand. Ich konnte sehen, wie er mit sich selbst kämpfte.
„Geh einfach." Zischte er und schob mich plötzlich Richtung Tür.
„Nein! Ich werde erst raus gehen, wenn du es endlich gesagt hast!" protestierte ich und hielt die Tür zu, sodass er mich nicht herauswerfen konnte. Blitzschnell drehte er mich, sodass ich mit dem Rücken gegen die Tür gepresst stand und legte seine Hand auf meinen Hals. Schweratmend schaute ich ihn an, doch er konnte mir nicht in die Augen sehen.
„Es ist nicht schlimm. Gib es einfach zu. Es bleibt unter uns. Du kannst nichts für deine Gefühle."
„Halt die Klappe!" brüllte er und schlug gegen die Tür, was mich aufzucken ließ.
„Du hast keine Ahnung. Und wirst auch niemals Ahnung haben." Murmelte er zerrissen und verstärkte den Druck auf meinem Hals.
„Beantworte mir nur eine Frage." Knurrte er und schaute mir nun endlich in die Augen.
„Warum zu Teufel hilfst du mir immer wieder?"
„Das habe ich dir gestern schon gesagt. Weil du dasselbe für mich tun würdest."
„Was macht dich da so sicher? Ich bin ein Arschloch, das hast du selbst gesagt."
„Du hast mein Leben gerettet, als Khalil mich entführt hatte. Du hast mich gerettet, als Leyla mich vergiftet hat. Du hast mich mit in deinem Bett schlafen lassen, als ich mich ausgesperrt hatte. Du wast immer da, wenn ich Hilfe gebraucht habe. Und so werde ich auch immer da sein, wenn du Hilfe brauchst." Sagte ich entschlossen. Was er als nächstes tat, überraschte mich mehr als alles andere. Anstatt zu antworten packte er mich an den Schultern, um mich von der Tür weg zu zerren, und drückte mich an sich. Erst war ich überfordert, aber dann ließ ich mich auf ihn ein und klammerte mich fest an ihn.

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