Part 198 ~ Joslyn

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"Guten Morgen, Bratan.", erschreckte ich meinen besten Freund, an den ich mich unbemerkt von hinten herangeschlichen hatte. Das >r< rollte ich dabei noch extremer als normal, weil ich es lustig fand.
"Woah Bruder, mach das nicht. Mein Herz.", sagte er und fasste sich dramatisch an die Brust.
"Hör mal Bruderherz, ich muss was mit dir bereden.", sagte ich nun auf ernst und nahm mir eine Kaffeetasse aus dem Schrank.
"Klar, worum gehts?", fragte er aufmerksam und setzte sich an den Küchentisch.
"Es geht um die Neuner. Sie weiß davon.", erklärte ich etwas leiser. Sie war zwar oben noch am schlafen, aber ich wollte nicht riskieren dass sie uns hörte.
So viel zum Thema neben ihr liegen wenn sie aufwacht.
Ich bin doch da? Sie sieht mich doch wenn sie wach wird, nur halt nicht sofort. Ist doch egal.
Ja, riesen Unterschied.
"Wie, sie weiß davon? Wie kann sie davon wissen, Capi?", unterbrach der aufgebrachte Libanese meinen inneren Monolog.
"Pass auf Bruderherz, ich dachte da wäre jemand im Gebüsch. Ich hab rascheln gehört und bin auf Verteidigungsmodus gegangen, so du weißt halt. Ich dachte da ist jemand, aber es war nur so eine fette hässliche Katze. Dann ging plötzlich das Licht an und sie hat mich angeguckt, was sollte ich machen?"
"Man Capi, wir hatten gesagt das bleibt unter uns. Wie hat sie reagiert?", frage er genervt und rieb sich über die Stirn.
"Na wie wohl, sie hatte voll Angst vor mir. Sie wollte abhauen, aber ich hab sie dann überredet mit oben zu pennen. Sie hatte die Waffe ja schon gesehen, ich konnte mich da nicht mehr rausreden."
Doch, indem du gelogen hättest.
"Na dann...hättest du dir eine Geschichte einfallen lassen. Irgendwas, das sie dann geschluckt hätte."
"Ich kann sie nicht einfach belügen nahui, sie ist meine Freundin. Das ist nicht so einfach tamam?"
"Ja und jetzt? Jetzt weiß sie, dass du eine scheiß Waffe hast. Ich hoffe, sie verpfeift dich nicht.", sagte er und fuhr sich durch seinen Bart.
"Eigentlich weiß sie, dass wir beide eine haben.", sagte ich vernuschelt.
"Boah, verarsch mich nicht. Meinst du das ernst?", fuhr er mich an und stand vom Tisch auf.
"Sie hat mich gefragt ob du auch eine hast, ich konnte nicht lügen. Wenn sie das irgendwann herausgefunden hätte, wäre das Vertrauen komplett tod gewesen."
"So tod wie wir beide, wenn das jemand herausfindet!"
"Beruhig dich Bruderherz, sie wird nichts sagen. Hat sie bis jetzt auch nicht.", versuchte ich ihn zu besänftigen.
"Dann sorg lieber dafür, dass das so bleibt. Ich liebe dich wie einen echten Bruder Capi, wallah das tu ich wirklich und du weißt das. Aber wenn sie auch nur ein Wort bei irgendjemandem darüber verliert, ist Khalil ihr kleinstes Problem. Du weißt was ich mit Leuten mache, die uns verraten.", sagte er drohend und senkte seine Stimme etwas, damit sie es oben nicht hörte.
Wenn sie auspackt kannst du dir eine neue Freundin suchen. Vielleicht ist ja neben Cataleyas Grabstein noch ein Stückchen Platz? Haha, dann hättest du mit Samra was gemeinsam. Schon irgendwie lustig, oder?
"Sie wird nichts sagen, Bra."
"Ich hoffe es. Erinner dich an das, was wir uns damals geschworen haben. Und erinner dich an das, was mit Cataleya passiert ist.", entgegnete er stumpf und senkte seine Stimme zum Schluss noch weiter herunter.
"Das war ein Unfall, Habibi. Und das wissen wir beide."
"Kann sein, aber es war meine Schuld."
"Nein, nicht so. Das war nicht deine Schuld. Sie hätte an dem Abend nicht fahren dürfen."
"Glaubst du dass das Zufall war? Ich glaube nicht an Zufälle.", wurde er nun lauter und fuchelte mit den Armen herum, während er hin und her lief.
"Wir werden nie herausfinden, ob das ein Unfall war. Genauso werden wir auch nie wissen, ob sie uns damals wirklich verraten hat."
"Aber wenn sie es war. Wenn sie uns wirklich verraten hat, Capi. Dann hätten wir handeln müssen. So wie wir handeln müssen, wenn Josy uns verrät. Das Risiko ist einfach zu hoch, so krass das auch ist."
"Wallah sie wird nichts sagen. Wem denn auch? Unsere Jungs wissen bescheid, und sonst gibt es niemanden. Ich rede mir ihr, Tamam? Jetzt fahr bisschen runter, ich will nicht dass sie was merkt.", sagte ich zu Samra, der in der Schublade neben der Spüle herumwühlte, in der er sich zu 80 Prozent eingenistet hatte.
"Lan wo sind meine Kippen schonwieder?", motzte er und knallte die Schublade genervt zu.
"Du hast alle weggeraucht.", antwortete ich grinsend, doch er fand das überhaupt nicht lustig.
"Was ist jetzt eigentlich, hat sie sich eingekriegt oder ist immernoch Stress zwischen euch?", fragte er um sich selbst von seiner schlechten Laune abzulenken.
"Ne, ist immernoch sauer. Ich sag dir ehrlich, auf Dauer kann ich das nicht. So der Abstand und so, das macht mich fertig. Ich hab sie diese Nacht auf dem Küchenboden gefunden, sie hat da gepennt. Weißt du wie scheiße ich mir vorkomme, wenn sie sowas wegen mir macht?"
Der Libanese nickte verständnisvoll und setzte sich dann wieder an den Küchentisch, wo er an seiner Tasse herumpiepelte.
"Redet sie mit dir?", fragte ich, nachdem ich ihn eine Weile beobachtet hatte.
"Nein Habibi, sie will nichts mit mir zu tun haben. Ich hab mich versucht zu entschuldigen, aber sie wollte es nicht hören. Ich hab ihr gesagt dass es meine Schuld war, und du nichts davon wusstest."
Ich wollte darauf etwas sagen, als ich Geräusche von oben hörte. Einen Moment später sah ich Josy, die mit schlurfenden Schritten auf uns zu gelaufen kam.
"Guten Morgen, Prinzessa.", sagte ich lächelnd und beobachtete sie, doch ich war mal wieder unsichtbar in ihren Augen. Auch Samra musterte jede ihrer Bewegungen. Wie sie sich ein Glas aus dem Schrank nahm, und dann das Wasser in sich hinein kippte - ohne uns eines Blickes zu würdigen.
"Baby, iss was. Du kannst nicht die ganze Zeit hungern, nur weil du sauer bist.", versuchte ich auf sie einzureden. Sie atmete laut durch die Nase aus, stellte ihr Glas weg und ging dann komplett ignorant zum Tisch. Sie griff an Samra vorbei und nahm sich einen Apfel aus der Schale, obwohl diese ziemlich weit weg stand. Dann betrachtete sie das Obst in ihrer Hand und zog an uns vorbei.
"Baby.", sagte ich, als es mir zu viel wurde. Ich griff nach ihrem Handgelenk, mit dem sie den Apfel hielt und brachte sie somit zum stehen. Sofort spürte ich, wie sich ihr Pulsschlag verschnellerte und ihre Atmung schwerer wurde. Der Apfel fiel mit einem Schlag zu boden und sie ballte ihre Hand zu einer Faust. Die Spannung zwischen uns beiden war enorm hoch. Sie wusste nicht was als nächstes kam, und ich wusste nicht was ich als nächstes tun sollte. Oder wie sie reagieren würde, wenn ich jetzt irgendwas tat.
"Das geht so nicht weiter.", sagte ich leise, aber bestimmend. Sie schluckte schwer und drehte dann ihren Kopf in meine Richtung. In ihrem Blick lag wieder diese Angst, die sie hatte als sie die Waffe gesehen hatte. Ich wollte nicht, dass sie Angst vor mir hatte. Das war das letzte was ich wollte. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie Samra uns mit offen stehendem Mund beobachtete. Selbst er stand unter Spannung, und wusste nicht ob er eingreifen oder weiter zuschauen sollte. Sie versuchte sich mit einem Ruck loszureißen, aber ich hielt dagegen. Beim zweiten mal schaffte sie es dann, nachdem ich meinen Griff etwas gelockert hatte. Sie zog sich ihr Handgelenk an die Brust und rieb traurig über die Stelle, wo ich sie festgehalten hatte.
Brech ihr doch gleich den Arm beim nächsten mal.
So doll war das nicht.
Der rote Abdruck an ihrer Hand sagt was anderes, haha.
Sie schniefte ganz leise, drehte ihren Kopf weg und ging dann zurück nach oben.
"Bruder.", seufzte Samra bemitleidend und rieb sich über die Stirn.
"Mir reicht's jetzt.", sagte ich entschlossen und stand von meinem Stuhl auf. Der Libanese sah mich erwartungsvoll an, während ich in meinem Kopf einen Plan entwickelte.
Mach ihr ne Ansage. Seit wann lässt du dir so auf der Nase herumtanzen? Zeig mal Eier, du Lappen.
"Halt die Fresse nahui!"
"Was?", fragte Samra verwirrt und legte einen besorgten Blick auf. Fuck, hatte ich das laut gesagt?
"Nichts. Pass auf Bruderherz, ich hab nen Plan. Aber du musst mir helfen, Tamam?", sagte ich zu ihm und setzte mich direkt neben ihn, damit ich nicht so laut reden musste.

Samra

"Das funktioniert nicht, Habibi. Sie redet kein Wort mit mir, wie soll ich sie dann überreden? Und sie würde das eh nicht machen, sie denkt dann wieder ich will sie umbringen.", antwortete ich auf Capis bekloppte Idee, die er irgendwie nicht so richtig durchdacht hatte.
"Seit wann hindert dich das irgendwie? Komm schon Bruderherz, ich brauch dich. Ich weiß das ist scheiße nahui, aber ich muss handeln. Und du schuldest mir noch was.", sagte er überzeugend. Verdammt, ich schuldete ihm echt noch was. Immerhin war es meine Schuld, dass die beiden momentan Stress hatten.
"Guck einfach dass sie das anzieht, was ich gesagt hab. Und bring sie dann in einer Stunde zu der Adresse, die ich dir dann schicke.", sagte er und stand auf. Ich nickte schnaufend und überlegte mir, wie ich das am besten fertig bringen könnte.
"Aber dieses mal keine Spielchen, Bratan. Nur so wie abgesprochen. Ich werd böse sonst. Richtig böse.", drohte er  mit hochgezogenen Augenbrauen und wartete auf eine Antwort von mir.
"Wallah Habibi, ich mach so wie du willst. Nicht mehr. Mach dir keine Sorgen, ich bekomm das hin.", schwor ich ihm aufrichtig. Er nickte, schnappte sich seinen Autoschlüssel und ging dann zir Tür heraus.
"Ah, warte Bratan.", sagte er und kam wieder zurück.
"Sorg dafür dass sie was isst. Irgendwas, nur so viel dass es bis heute Abend reicht. Ich will keinen Krankenwagen holen weil sie umkippt.", warf er mir zu und ging dann endgültig nach draußen.
Bevor ich mich meiner Mission widmete, ging ich auf die Terrasse um eine zu rauchen.

Ich drückte die Kippe im Aschenbecher aus, strich mein Shirt gerade und ging dann wieder rein.
Oben angekommen klopfte ich an ihre Zimmertür. Keine Reaktion. Naja, ich hätte auch keine erwartet.
"Ich komm jetzt rein.", rief ich und öffnete dann die Tür, ohne auf eine Antwort zu warten. Wenn sie nicht reagiert, Pech gehabt.
Ich betrat ihr Zimmer und sah sie am offenen Fenster stehen. Das Wetter war mega schön heute, fast wie Sommer. Aber auch wenn die Sonne noch so krass schien, sie konnte nicht dafür sorgen dass es ihr besser ging. Und ich konnte das auch nicht.
"Ich will nicht reden." sagte sie und schniefte leise, während sie mit dem Rücken zu mir am Fenster lehnte.
"Ich auch nicht.", entgegnete ich und setzte mich auf das riesige King-Size Bett. Sie senkte den Kopf und ließ sich den Wind durch die Haare wehen, während ich überlegte wie ich jetzt am besten vorging. Warum fiel mir das so schwer? Normalerweise machte es mir Spaß, sie herumzukommandieren. Aber wenn es im Auftrag von Capi war, dann war es irgendwie anders. Es war komisch. Aber egal.
"Ich will, dass du mit mir runter kommst und was isst. Und dann gehst du duschen, ziehst das an was ich dir gebe und kommst mit mir mit.", sagte ich. Wow, wie stumpf das klang.
"Nein, vergiss es. Ich mach das nicht nochmal mit.", sagte sie stur und kippte das Fenster an. Ich stand seufzend von dem riesigen, weichen Bett auf und stellte mich in die Mitte des Raumes, um ihr den Weg zu versperren.
"Das war keine Bitte, Joslyn. Du hast keine Wahl."
"Man hat immer eine Wahl.", diskutierte sie mit brüchiger Stimme.
"Okay, ich lass dir eine Wahl. Entweder du machst was ich sage, oder ich zwing dich dazu. Willst du wirklich, dass ich dich unter die Dusche schleife?", sagte ich und ging einen kleinen Schritt auf sie zu, um dem ganzen ein bisschen mehr Ausdruck zu verleihen.
"Willst du wirklich, dass ich dich komplett an- und ausziehe?", fragte ich weiter, während sie eingeschüchtert zurück trat. Sie schüttelte stumm mit dem Kopf, während ich sie abwartend ansah.
"Na also. Dann komm, wir haben dir Pizza aufgehoben.", sagte ich und wandte mich dann von ihr ab. Als ich in der Tür stand drehte ich mich zu ihr um, damit ich sehen konnte ob sie mir hinterherkam. Fehlanzeige. Sie stand wie angewurzelt da und schaute mich an, als hätte ich sonst was für schlimme Sachen mit ihr vor.
"Komm. Ich sag's nicht nochmal." Und schon setzte sie sich in Bewegung. Mit kleinen, leisen Schritten tapste sie mir hinterher und folgte mir in die Küche.

Nachdem ich sie zum duschen geschickt hatte, suchte ich die Sachen raus von denen Capi geredet hatte. Er wollte unbedingt, dass sie wieder so ein weißes Kleid anzieht. Gut dass sie zwei davon hatte, das andere war sicherlich in der Wäsche. Sogar bei der Auswahl der Unterwäsche hatte er ganz genaue Angaben gemacht. Schon irgendwie komisch, dass ich mit Erlaubnis von Capi in ihrer Unterwäsche suchen durfte. Das ganze hatte also auch was positives für mich. Grinsend durchwühlte ich die Schublade, bis ich das fand wovon er geredet hatte. Ich nahm alles, legte es auf einen Haufen und ging dann ins Badezimmer.
"Ich leg dir die Sachen auf's Waschbecken.", rief ich ihr zu und ging dann wieder nach draußen. Danns setze ich mich an den Küchentisch und spielte an meinem Handy, während ich darauf wartete dass sie nach unten kam. Eine halbe Stunde hatten wir noch Zeit, dann musste ich sie bei Capi abliefern. Dieses mal allerdings ohne Klebeband und Kabelbinder.

MademoiselleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt