Als ich wieder zu Bewusstsein kam, sah ich immernoch alles verschwommen. Ich sah mich langsam um, aber ich konnte nicht erkennen wo ich war. Erst nach ein paar Sekunden fiel mir die Musik auf, die in meine Ohren drang:
Wo alles anfing – Mercator-Grundschule
Heut geh'n wir auf Eins jeden Freitag
Ich bin Bra Musik, obwohl mich Capi nicht gesignt hat
Wuah, Baby, zieh das Flex jetzt weg
Sie will meine Nummer, ich sag': „6-6-6"
Fühl' mich wie ein Einzelkind, ich krieg' das auch alleine hin
Verbrenn' mein Auto, weil Freunde auf mich neidisch sind
Mord und Liebe in mei'm Briefkasten
Gin fließt auf die Klaviertasten
Werde von Gott beschützt, egal, was ihr mir wünscht
Ich wünsch' euch das Doppelte zurück! RrahBlitzartig erinnerte ich mich daran, was passiert war. Ich zuckte auf und schaute sofort auf meine Hände, die - wie ich es schon geahnt hatte - mit Kabelbinder zusammengebunden waren.
"Na, ausgeschlafen?", vernahm ich Samras rauchige Stimme neben mir. Noch immer etwas benebelt versuchte ich meine Füße zu bewegen, doch diese hatte er ebenfalls zusammengebunden.
"Was soll das hier?", murmelte ich kraftlos, und ließ meinen Kopf erschöpft nach hinten gegen das Polster fallen.
"Meine Rache, Habibi." Im Augenwinkel konnte ich sein Grinsen sehen, das mir eine Gänsehaut bescherte. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr Angst bekam ich.
"Willst du mich umbringen?", fragte ich mit schwacher Stimme und betete, dass er verneinen würde.
"Ne, das ist langweilig. Wenn wir dich schon loswerden, dann muss da auch ein bisschen Asche rausspringen."
"Wir?"
"Ja, wir. Capi und ich. Was glaubst du denn, wessen Idee das war?" Schockiert schaute ich ihn an. Ich verstand hier gerade gar nichts mehr. Als er mein verwirrtes Gesicht sah, fing er an dunkel aufzulachen.
"Dachtest du wirklich, dass diese Scheiße ewig hält? Was glaubst du denn, warum Capi so so oft weg ist? Der hat zwar viel zu tun, aber so viel nun auch wieder nicht."
"Aber...ich...was...was passiert jetzt?", stotterte ich. Mein gesamter Körper war am Zittern. Ich konnte nicht glauben, dass das hier alles die Realität sein sollte.
"Ganz einfach, wir verkaufen dich. Capi hat keine Verwendung mehr für dich, deswegen servieren wir dich ab. Er hat nen super Käufer rausgesucht, der nen Top Preis zahlt."
"Du lügst. Sag, dass das nicht wahr ist!", brachte ich heiser hervor.
"Ich lüge nicht. Uns ging dieser ganze Beschützerscheiß auf die Nerven. Wir haben keinen Bock mehr, unser Leben nach dir zu richten, nur damit du nicht verletzt wirst."
"Warum ist Capi dann nicht hier?"
"Er hat das nicht übers Herz gebracht, deswegen mach ich das. Ich freu mich, wenn ich dich endlich los bin.", grinste er und fuhr sich mit der linken Hand über seinen Bart.
"Das...ihr verarscht mich doch. Das könnt ihr nicht ernst meinen. Capi würde das niemals machen, so falsch ist er nicht...das kann einfach nicht sein! Er liebt mich, und ich ihn! Jetzt mach den Scheiß hier ab und dreh um!", rief ich mit zunehmend lauter Stimme, als ich wieder ein wenig Kraft geschöpft hatte.
"Er hat dich mal geliebt. Aber wie gesagt, nix hält ewig. Jetzt hör auf dich zu beschweren, wir hätten dich auch einfach umlegen können - also sei mal lieber dankbar."
"Dankbar? Bist du komplett geistesgestört? Halt den verdammten Wagen an, du scheiß Psychopat!", schrie ich ihn panisch an.
"Okay.", sagte er und hielt plötzlich am Straßenrand. Er stieg aus, holte irgendetwas von der Rückbank und öffnete dann die Tür auf meiner Seite.
"Und zack.", sagte er, riss ein Stück von der Panzertape-Rolle in seiner Hand ab und klebte es mir auf den Mund.
"Wenn du das Klebeband abziehst, binde ich dir Hände auf dem Rücken zusammen. Glaub mir, ist übelst unbequem wenn man im Auto sitzt."
Er warf das Tape auf die Rückbank und setzte sich wieder hinters Steuer. In den restlichen zwanzig Minuten die wir unterwegs waren, verhielt ich mich Ruhig. Ich konnte nicht fassen, was hier passierte. Ich konnte einfach nicht glauben, dass ich ihm so wenig wert war, dass er mich einfach wegwarf. Und am allerwenigsten konnte ich fassen, dass sie mich einfach verkaufen würden. Wie einen dummen Gegenstand, den man nicht mehr braucht.
Irgendwann hielten wir auf einem leeren Parkplatz, und Samra kam wieder auf meine Seite gelaufen.
"Ach, Prinzessin.", sagte er mir gespieltem Mitleid und betrachtete mein Gesicht.
"Du darfst nicht weinen. Du bist nicht schön, wenn du weinst. Und außerdem mag der Käufer das nicht, also mach nicht so.", sagte er, wischte meine Tränen weg und legte meine Haare irgendwie zurecht. Dann beugte er sich über mich und hob mich über seine Schulter, so als würde ich einfach nichts wiegen.
"Sieh es doch mal positiv. Jetzt musst du dir keine Sorgen mehr wegen Khalil machen. Du bist wertlos für Capi, und somit auch wertlos für Khalil.", sagte er und klopfte mir mit seiner freien Hand auf den Hintern. Immer wieder versuchte ich, meine Hände aus diesem verdammten Kabelbinder heraus zu bekommen. Doch Samra hatte ihn einfach zu fest zugezogen, sodass das unmöglich war. Irgenwann ließ ich meine Arme einfach runterhängen, während er mich über den gesamten Parkplatz schleppte.
In einer relativ bewachsenen Ecke, wo man nicht sofort entdeckt werden konnte nicht hinschien ließ er mich wieder runter.
"So, jetzt hör auf zu heulen und reiß dich zusammen.", meckerte er und fummelte wieder an meinen Haaren herum. Dann wandte er sich ab und zündete sich eine Zigarette an. Einige Minuten standen wir einfach nur nebeneinander, während er komplett entspannt seine Zigarette durchzog. Ich war so überfordert mit der ganzen Situation, dass ich einfach nur noch auf den Boden schaute und mich schämte, dass ich geglaubt hatte Capi wäre der richtige.
"Marhabaan, Jawahir.", sagte Samra und begrüßte den dunkel gekleideten, schwarzhaarigen Ausländer der auf uns zu kam. Keine Ahnung ob das durch die Dunkelheit oder durch meine Verzweiflung war - aber irgendwie sah der Typ aus wie Jamal aus 4 Blocks. Woah, ich liebe diese Serie.
Während sich die beiden unterhielten, war ich in Gedanken versunken. Die ganze Zeit dachte ich darüber nach, wie Capi mir das antun konnte. Wie konnte er mir vorspielen dass er mich liebte, und mich dann einfach abservieren? Und dann noch auf so eine ekelhafte Weise? Wer gab ihm bitte das Recht, einfach mein Leben in die Hände eines anderen zu geben? Beziehungsweise meinen Körper? Ich war so mit meiner Enttäuschung beschäftigt, dass ich den Ernst der Lage gar nicht so richtig wahrnahm.
"Glaub mir, die kleine ist das Geld Wert. Capis Empfehlung, du weißt.", sagte Samra und schlug mir dann so heftig auf den Hintern, dass ich ungewollt aufstöhnte und meinen Rücken gerade machte. Ich war mir sicher, dass er gerade einen roten Abdruck auf meinem Po hinterlassen hatte, so wie das schmerzte. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie tief ich eigentlich in der Scheiße steckte.
Der Mann reichte Samra einen Umschlag, und dieser zählte die Scheine darin sorgfältig durch.
"Top. Viel Spaß mit ihr.", sagte er und wollte sich abwenden.
"Ah, Moment noch." Er drehte sich ein letztes mal zu mir um, und riss mir das Klebeband vom Gesicht.
"Noch ein Wort zum Abschied?", fragte er grinsend, hob mein Kinn an und schaute mir in die Augen.
"Fahr zur Hölle.", knirschelte ich angewiedert, was sein Grinsen nur noch breiter werden ließ.
"Ich werde dort auf dich warten, Habibi.", sagte er, zwinkerte mir zu und packte das Klebeband dann wieder auf meinen Mund. Danach wandte er sich endgültig ab und verschwand in der Dunkelheit.
Nun war ich also auf mich allein gestellt. Ich war allein, mit diesem großen, kräftig gebauten Typen. Alleine auf diesem Menschenleeren Parkplatz. So langsam dämmerte mir, dass das hier gleich richtig ekelhaft werden würde. Warum hätte er mich nicht einfach umbringen können? Warum musste er mir das antun? Niemand hatte so etwas verdient. Absolut niemand. Das war einfach krank.
"Nicht weinen. Das kann der Boss nicht leiden.", sagte Jawahir und überbrückte den kleinen Abstand, der noch zwischen uns war. Dann umfasste er mein Becken und hob mich auf seine Schulter. Ich hätte nie gedacht dass ich mal sowas dachte - aber ich hätte alles dafür gegeben, um einfach wieder in Samras Nähe sein zu können. Einfach nur, um dieses Gefühl von Sicherheit fühlen zu können, das er mir jedes mal schenkte.
Jawahir öffnete die Beifahrertür seines Autos und platzierte mich auf dem Sitz. Dann fuhren wir. Sehr lange. Wir fuhren so lange, dass ich dachte, er würde an einen abgelegenen Ort fahren und...
Aber das tat er glücklicherweise nicht. Wir fuhren zwar an einen komischen Ort den ich noch nie gesehen hatte - dieser war aber nicht so wirklich abgelegen. Was nicht bedeutete, dass ich deswegen nicht weniger am Arsch wäre.
Er parkte das Auto, schaltete es aus und kam wieder auf meine Seite. Dann hob er mich Problemlos heraus, legte mich wieder über seine Schulter und schleppte mich zu dem Gebäude, das vor uns lag. Ich konnte es nicht richtig sehen, da ich ja auf seinem Rücken hing - aber ich glaubte, dass es sowas wie eine Lagerhalle war. Eine kleine Lagerhalle. Er öffnete die unverschlossene Tür und ging mit mir nach drinnen. Je weiter wir in die Halle hinein gingen, desto schlechter wurde mir. Ich wollte wieder weinen, aber ich riss mich zusammen. Irgendwann setzte er mich ab und betrachtete mich prüfend. Auch wenn mir bewusst war, dass er keineswegs gute Absichten hatte - seine Augen lösten in mir so ein kleines Gefühl von Wärme aus. Anscheinend war er nicht derjenige, mit dem ich hier Zeit verbringen sollte - vielleicht kam er mir deswegen irgendwie weniger gefährlich vor. Keine Ahnung, irgendwas an ihm fand ich sympathisch. Gott, ich stand gefesselt im kurzen Kleid und mit Spitzenunterwäsche in einer leeren Lagerhalle vor einem Typen, der mich gerade für viel Geld gekauft hatte und entwickelte Sympathie für den Kerl. Stockholm-Syndrom läuft, würde ich sagen.
"Setz dich hin.", sagte er mit brummiger Stimme und drückte mich an den Schultern nach unten. Dann zückte er ein Messer und schnitt den Kabelbinder an meinen Händen durch - um dann einen neuen darum zu wickeln, nur dieses mal legte der meine Hände nach hinten, sodass sie nun auch noch mit der Stuhllehne verbunden waren.
"Sorry, aber der Chef wollte das so.", entschuldigte er sich und zog ein Tuch aus seiner Jackentasche hervor. Dieses band er mir um die Augen und zog es so, dass ich absolut nichts mehr sehen konnte.
Ich hörte, wie sich seine schweren Schritte entfernten - bis irgendwann die Tür zur ging, und ich alleine in dieser gruseligen Halle saß. Je länger ich hier auf mein Schicksal wartete, desto mehr wünschte ich mir dass Samra mich einfach umgebracht hätte. Mit jeder Sekunde, in der ich nicht wusste was um mich herum geschah, stieg die Panik in mir. Irgendwann war es so schlimm, dass ich mir schon einredete schlechter Atmen zu können durch das Klebeband auf meinem Mund.
Eine gefühlte Ewigkeit saß ich da alleine herum, bis ich etwas hörte. Es waren Schritte, die auf mich zukamen - allerdings nicht von der Tür, durch die Jawahir mich getragen hatte, sondern aus der entgegengesetzten Richtung.
Die Schritte kamen näher, bis es plötzlich Still war. Und dann spürte ich, wie jemand seine Hand an meinen Knöchel legte. Ich zuckte durch die Berührung unwillkürlich zusammen, und unterdrückte eine Träne. Plötzlich hörte ich ein ratschen, und dann konnte ich meine Beine wieder bewegen. Hatte er mich gerade echt los gemacht?
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Mademoiselle
FanficJosy begegnet zwei Menschen, die ihr Leben komplett auf den Kopf stellen - und das nicht gerade auf die gute Weise. Zum einen Capi, der sie wegen seiner kriminellen Geschäfte immer wieder alleine lässt, und zum anderen Samra, der sie wie Dreck beha...