„Sie wissen nie wann es zu spät ist."

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Als ich sah wie Paul mit der Faust ausholte, sprang ich auf und zog ihn ein paar Meter von seinem Kumpel weg. „Alter, beruhig dich mal. Du musst vor deiner Ische nicht den Harten mimen!", hörte ich Felix rufen als es an der Tür klingelte. Da ich mich nicht traute Paul wieder los zu lassen, brüllte ich in Richtung des geöffneten Fensters: „Kommt rein!". Es dauerte keine fünf Minuten bis man lautes Klopfen an der Wohnungstür hören konnte gefolgt von Stephans „Aufmachen Polizei!". „Du hast die Bullen gerufen?", Marcel sprang vom Sessel auf und wollte auf mich los gehen, aber Paul stellte ich sofort vor mich und bekam so Marcels ersten Fausthieb ab. „PAUL!" rief ich und hatte das Gefühl als würden die nächsten Minuten im Zeitlupentempo ablaufen. Wie Paul nach hinten taumelte aber direkt für den Gegenschlag ausholte. Wie die Wohnungstür aufsprang und Stephan und Daniel in das Wohnzimmer eilten um sich zwischen Paul und Marcel zu stellen. Und wie Felix wohl Angst bekam und sich sein Handy ans Ohr hielt.
„Jetzt erklärt mir mal einer was hier los ist!", verschaffte sich Stephan Gehör und drückte Paul zurück aufs Sofa, während Daniel Marcel auf Abstand hielt. „Er hat angefangen.", beteuerte Marcel und Stephan sah zu seinem besten Freund. „Er hat Mila Schlampe genannt.", fauchte Paul, sichtlich geladen aber ruhiger als noch vor einigen Minuten. „Wenn sie mich beleidigt.", verteidigte sich Pauls Freund direkt und wollte wieder auf mich zugehen, Daniel hielt ihn aber zurück. Gerade als ich was sagen wollte, hörten wir schwere Schritte die Treppe hinauf eilen und zwei uniformierte Beamte kamen in die Wohnung.
„Chris, Flo was macht ihr hier?", wand sich Stephan an seine Kollegen die sich ebenfalls zwischen Paul und Marcel stellten. „Ein Felix hat auf der Leitstelle angerufen und gemeldet dass es hier eine Prügelei gibt.", informierte uns der jünger der beiden Beamten und warf Paul einen mitleidigen Blick zu. „Was ist den hier passiert?", wollte der ältere Polizist wissen zog sein Funkgerät aus der Uniform. „Die beiden sind hier eingefallen und haben sich unter aller Sau benommen. Das hätte ich alles hingenommen, aber als Marcel anfing abfällig über Mila zu reden war das Fass mehr als voll.", fasste Paul sie Geschehnisse zusammen und wirkte dabei völlig abgeklärt und kühl. Nur seine noch immer geballten Fäuste zeugten von seiner inneren Wut. „Die kleine Schlampe hat es ja auch nicht anders verdient.", zischte Marcel und Stephan stellte sich sofort vor Paul, damit dieser keine Dummheit begann. „Junge, ich würde vorschlagen du überdenkst deine Wortwahl noch mal.", der ältere Beamte, auf dessen Uniform Reuther stand, sah Marcel böse an und wand sich dann an Paul. „Brauchst du für dein Auge und den Cut einen RTW?". „Nein, ich versorg das später selber. Ich will ihn auch nicht anzeigen. Er soll nur meine Wohnung verlassen.", erklärte er und entspannte seine Hände. „Alles Klar, dennoch brauche ich die Ausweiße von allen.", bat der jüngere Kollege, Sturm stand auf seiner Uniform. „Ich hab meinen Ausweis nicht dabei.", erklärte ich als sich der junge Polizist an mich wand. „Dann sagen Sie mir bitte ihren Namen, Anschrift und Geburtsdatum.", bat er und begann zu grinsen als ich ihm die geforderten Daten mitteilte. „Mensch, das ich dich auch mal kennen lerne. Chris, das ist Mila Fuchs.", rief er über seine Schulter und hielt mir dann seine Hand hin. „Ich bin der Florian.", stellte er sich vor und ich schüttelte kurz seine Hand. „Darf ich kurz an die frische Luft? Ich hab ja mir der Sache nichts zu tun.", bat ich Florian der nickte. „Ich habe ja deine Daten für den Fall das ich noch Fragen habe.", erklärte er und ich ging mit raschen Schritten aus der Wohnung.
Zuerst wollte ich nur ein paar Meter weit gehen, um nicht im Weg zu stehen wenn Marcel und Felix dem Heimweg antraten, aber ich ging immer weiter bis ich wieder beim Dom ankam. Trotz der späten Stunde war der Domvorplatz hell erleuchtet und gut besucht. Um mich herum waren Pärchen, kleine Gruppen betrunkener Jugendliche und ich erkannte sogar ein älteres Ehepaar das sich den hell erleuchteten Dom ansah. Während ich die Menschen um mich beobachtete, kreisten meine Gedanken um Paul. Er war bisher immer ruhig und besonnen gewesen und hatte den Anschein erweckt dass ihn nicht aus der Ruhe bringen konnte. Und dann war er wegen seinem Freund so ausgerastet und wollte sich sogar mit seinem Freund prügeln.
Das Klingeln meines Handys ignorierte ich, denn ich wollte erst mal allein bleiben und nachdenken. Darüber wie sich mein Leben in den letzten Wochen verändert hatte, darüber was ich wollte und vor allem was ich aus meinem neuen Leben machen wollte.
„Entschuldigen Sie? Ich weiß nicht ob sie das bemerkt haben, aber ihr Handy klingelt.", die ältere Frau, die sich bis vor wenigen Minuten den Dom angesehen hatte, tauchte neben mir auf und lächelte mich freundlich an. „Danke, aber gerade hab ich keine Lust zu reden.", raunte ich ihr zu und starte weiter den Dom hoch. „Junge Frau. Egal was gerade bei Ihnen los ist, aber reden Sie mit den Menschen die Ihnen wichtig sind, Sie wissen nie wann es zu spät ist.", bat der ältere Mann, griff die Hand seiner Frau und lächelte sie verliebt an. Da in diesem Moment der Klingelton von meinem Handy wieder zu hören war, zog ich es aus meiner Hosentasche und sah Stephans Namen aufleuchten. „Los, reden Sie. Streiten Sie. Leben Sie.", nach diesem Glückskeks-Spruch ging das Ehepaar weiter und ich nahm das Telefonat an.
„Bei mir geht sie auch nicht dran. Versuch du es noch mal.", berichtete Stephan gerade jemanden als ich mich räusperte. „Moment Mila, Paul versucht es gleich noch mal. MOMENT MILA?!", jubelte Stephan und ich fing an zu grinsen. „Wo bist du? Ist alles okay?", Paul schien ihm das Handy abgenommen zu haben. „Ja es ist alles okay. Ich brauchte nur ein wenig frische Luft,", erklärte ich ihm und setzte mich auf die Stelle, an der Paul und Stephan mich nach meiner ersten Nacht auf der Straße gefunden hatten. „Aber warum bist du weg?", wollte mein Freund wissen und ich fuhr mir durch die Haare. „Weiß nicht. Ehe ich mich versah war ich um die Ecke und bin immer weiter. Ich musste einfach nachdenken. Mach dir keine Sorgen, ich dreh noch eine kleine Runde und komme dann wieder zu dir. Oder zu Martin und Marie. Bis später.", setzte ich Paul über meinen weiteren Plan in Kenntnis und legte auf als die Dom-Glocken zweimal schlugen.

Unter dem Radar: Die Frau mit den Eisblauen AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt