„Warum hast du sie gebeten mich zu beschreiben?"

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„Ganz ehrlich? Es tat gut das zu hören. In mir ist diese Stimme. Sie klingt wie eine Mischung aus Hubert, Olga und Franziska. Sie sagt immer so fiese Sachen zu mir in den unpassendsten Momenten. Sagt mir dass ich zu schwer bin um mir Paul zu kuscheln. Sagt mir dass mein Vater sich für mich schämt obwohl er mich bisher immer voller Stolz vorgestellt hat. Sagt das ich Marie nicht genug bin, obwohl sie mich seid Tag eins mit so viel Liebe überhäuft hat, als würde sie versuchen die Jahre ohne mütterliche Liebe wieder gut zu machen. Nachdem ich die Videos von Stephan, Onkel Klaus und Hannah gesehen und Marie gehört habe wird diese Stimme leiser. Dafür ist da eine andere Stimme die immer lauter wird. Die mir Mut macht. Die mich an die schönen Zeiten erinnert.", gestand ich und starrte dabei auf den Stelle an der Marie bis vor ein paar Minuten saß.

„Dann hole ich jetzt den nächsten. Bist du bereit?", Robert wartete mein nicken ab, bevor er aufstand und den Raum verließ. Kurze Zeit später kam er mit Martin wieder, der sich sofort zu mir auf das Sofa setzte.
„Mila, für dich gilt das selbe wie gerade. Herr Fuchs ich möchte Sie bitten ihre Tochter zu beschreiben. Sagen Sie das was Ihnen als erstes einfällt und seien Sie bitte absolut ehrlich.", bat Robert und zückte wieder sein Notizbuch.
„Okay. Das bekomme ich hin.", lachte mein Vater drehte sich zu mir und atmete tief durch. „An sich ist es kein Geheimnis wie ich dich sehe. Wenn mich jemand auf der Wache nach dir fragt, komme ich aus dem Schwärmen gar nicht mehr raus. Ich erzähle ihnen von deinem Lachen, von deinen Fortschritten und vor allem davon wie stolz ich auf dich bin. Du hast neunundzwanzig Jahre lang in der Hölle gelebt. Musstest täglich um dein Überleben kämpfen und hast nie aufgegeben egal wie hart es auch war. Auch die letzten Monate waren nicht leicht für dich und wieder hast du gekämpft und alles gegeben um die die du liebst zu beschützen. Und sogar dein Leben hättest du für uns geopfert.", fing Martin an und spielte mit seinem Ehering.
„Aber Robert bat mich dich zu beschreiben. Als Vater und auch als Mann sehe ich eine hübsche junge Frau vor mir. Mit eisblauen Augen, einem charmanten Lächeln, der typischen Fuchs-Nase und einem Willen so stark dass sie alle damit in die Knie zwingen kann. Du bist in den letzten Monaten, ja schon von Tag eins als ich dich auf der Wache gehindert habe zu fliehen, in meinem Herzen. Ich hatte in all den Jahren das Gefühl dass mir etwas fehlen würde, aber ich konnte nie sagen was. Ich hab es darauf geschoben dass der Job stressig ist und ich immer weniger Zeit für meine Hobbys hatte da ich Marie nicht vernachlässigen wollte. Aber als ich das erste mal in deine Augen gesehen habe, ergab alles Sinn. Das Gefühl dass ein wichtiger Teil von mir fehlen würde, dass es irgendwas da draußen geben musste das außerhalb meiner Reichweite war. Dass Marie und ich all die Jahre kinderlos geblieben sind, weil das Universum wusste dass es dich gibt. Und mir ist es scheiß egal wie du aussiehst. Ob du fünfzig, hundert oder hundertfünfzig Kilo wiegst. Ob du Pickel hast oder ob deine Nase eher nach mir oder nach ihr kommt. Mir ist es wichtig dass es dir gut geht. Dass du glücklich bist. Das du geliebt wirst. Das ist meine höchste Priorität im Leben.", Martin standen die Tränen in den Augen und ich hielt ihm die Taschentuchpackung hin, die Robert mir gegeben hatte. Ich selber hatte aufgehört meine Tränen wegzuwischen, denn es kamen immer wieder neue.
„Ich danke ihnen Herr Fuchs. Ich bitte Sie noch kurz wieder in der Küche zu warten und sagen Sie bitte Paul nichts hiervon denn ich möchte dass auch er die Chance hat das erste zu sagen dass ihm einfällt.", riss uns Robert aus dem Blickkontakt und mein Vater stand auf. Er ließ es sich aber nicht nehmen, mir noch einen schnellen Kuss auf die Stirn zu drücken bevor er das Wohnzimmer verließ.
„... Glaubst du er hat das nur gesagt weil ich seine Tochter bin?", wollte ich von meinem Therapeuten wissen, der einen Augenblick mit sich haderte. „An sich sollte ich nie meine Meinung sagen um dich nicht zu beeinflussen, aber nein. Ich glaube nicht dass er es gesagt hat weil du seine Tochter bist. Er hat es so gemeint. Er war ehrlich mit dir, so wie ich ihn gebeten habe.", antwortete er und wollte wieder aufstehen, wohl um Paul zu holen.
„Warum hast du sie gebeten mich zu beschreiben?", harkte ich weiter nach und Robert setzte sich wieder. „Weil ich gehofft habe, dass dir damit etwas klar wird. Das dir etwas auffällt. Scheinbar funktioniert es.", antwortete der Therapeut und lächelte mich auffordernd an. „Aber mir ist doch alles klar. Selbst die anderen sagen dass ich fett geworden bin und...", machte ich mich wieder klein und stoppte als ich den enttäuschten Gesichtsausdruck meines Gegenübers sah.
„Willst du mir gerade wirklich sagen, dass das die einzige Lektion ist die du aus den Videos und den Worten deiner Eltern gezogen hast?", lies er nicht locker und ich presste meine Lippen aufeinander. „Komm schon Mila. Wir sind so weit gekommen. Ich kann dir nur helfen wenn du bereit dafür bist. Es bringt nichts wenn ich dir sage was falsch ist, du würdest es nicht ernst meinen. Höre auf die Stimme in dir von der du mir vorhin erzählt hast. Die Stimme die dir Mut macht, was sagt sie dir jetzt? Höre auf dein Herz, woran sehnst du dich gerade am meisten? Denk daran was dich vor der Entführung durch Hubert glücklich gemacht hat.", bat mich Robert und ich schloss meine Augen.
Vor mir tauchten die Bilder der letzten Wochen auf. Ich sah meinen Vater vor mir, der zusammen gebrochen war, als ich aus meiner Wochenlangen Schockstarre erwacht war. Wie ich Marie in die Arme fiel und Sekunden später der Stein durch das Küchenfenster flog. Wie Paul die Tränen hinunter liefen, als wir uns nach der Zeit nach meiner jüngsten Entführung zum ersten Mal küssten. Ich sah mich mit Jule, Hannah, Daniel, Stephan und Paul in dem Hotelzimmer stehen und das Sushi zubereiten, dabei lachten wir so sehr dass uns die Tränen über die Wangen liefen und ich keine Luft mehr bekam.
Immer mehr Bilder tauchten auf in denen ich glücklich war und in keiner ging es um mein Aussehen.

Unter dem Radar: Die Frau mit den Eisblauen AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt