„Nun erzähl doch mal, was ist so am Wochenende passiert ist."

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„Also eine Pizza Hawaii für Mila, eine Pizza Chilly-Chicken für Paul, eine überbackene Bolognese für Marie und ich nehme die Pizza Salami. Getränke haben wir ja hier. Nachtisch auch. Alle zufrieden?", zählte Martin auf und sah in die Runde. Als alle nickten schickte er die Bestellung ab und legte sein Handy auf den Couchtisch.
„Und was machen wir heute Abend? Wieder fernsehen?", erkundigte sich Paul und legte mir einen Arm um die Hüfte. „Läuft denn was gutes?", wollte Marie wissen und griff schon nach der Fernsehzeitschrift. Scheinbar schossen meinem Vater und mir der selbe Gedanke durch den Kopf denn er stand auf und holte die drei Spiele aus dem Schrank die ich vor gefühlten Ewigkeiten mit Marie gekauft hatte. „Uno. Skipo und Monopoly.", zählte Paul auf und Marie verstaute sofort die Fernsehzeitschrift wieder in den Fach unter der Couchtischplatte. Noch während wir auf das Essen warteten fingen wir an Skipo zu spielen. In der ersten Runde spielten Paul und ich als Team gemeinsam, damit ich die Regeln kennenlernen konnte.
In der nächsten Runde war ich zwar noch etwas unsicher und sah immer wieder zu Paul um mich zu vergewissern das ich alles richtig machte. Als ich dann als Erste die letzte Karte von meinem Stapel ablegen konnte, hatte ich direkt etwas falsch gemacht zu haben. „Marie, wir sind alt geworden. Mila hat uns direkt in ihrer ersten Runde abgezogen.", beschwerte sich mein Vater und ich lächelte verlegen auf meine Knie. „Freu dich nicht zu früh, Mila. Dein Vater kann sehr hartnäckig sein, wenn er unbedingt gewinnen will.", raunte mir Marie zu und streckte ihrem Mann die Zunge raus. „Stimmt gar nicht!", widersprach Martin direkt als es an der Tür klingelte. Während Martin und Marie an die Tür gingen, zog mich Paul enger an sich.
„Ich will gar nicht wieder arbeiten gehen. Ich werde das hier vermissen.", gestand er und hauchte einen Kuss knapp unterhalb des Ohrläppchens. „Sehen wir uns dann nicht wieder?", traurig sah ich meinen Freund an und spürte wie mir richtig übel wurde. „Wie kommst du darauf?", Paul zog eine Augenbraue hoch. „Weil du gesagt hast das du das hier vermissen wirst.", antwortete ich mit brüchiger Stimme. „Ich meinte eher damit, das ich dann nicht mehr die ganze Zeit an deiner Seite sein kann.", erwiderte mein Freund und lehnte seine Stirn an meine.

Am nächsten Mittag sprachen Robert und ich in der Küche, da ich Marie gebeten hatte das Mittagessen zubereiten zu dürfen. An sich war eine Gruppen-Therapie geplant gewesen, aber die anderen hatten abgesagt und daher sprachen Robert und ich allein.
„Nun erzähl doch mal, was ist so am Wochenende passiert ist.", bat der Therapeut und zog sein Notizbuch aus der Aktentasche. „Ich dachte Marie hat dich angerufen.", ich sah ihn kurz an und schnitt dann weiter den Lachs in feine Scheiben. „Schon, aber ich würde gerne alles von dir hören. Wie Marie das erlebt hat weiß ich.", erklärte Robert also atmete ich tief durch.
Während ich weiter kochte berichtete ich wie wir nach der Klinik eigentlich Essen fahren wollten aber dank einem erneuten Video von Hubert unsere Pläne ändern mussten. Wie die Presse mir am Tag danach folgte weil mich ein kleines Mädchen erkannt hatte. Aber vor allem schwärmte ich von dem Spieleabend an dem ich nicht nur eine Skipo Runde gewonnen hatte sondern auch zweite bei Monopoly wurde. „Das klingt wirklich gut. Und was gab es zu essen?", zwar versuchte Robert die Frage wie beiläufig zu stellen aber ich verkrampfte mich dennoch. „Ich weiß, du willst nicht darüber reden. Aber nur so kann ich dir helfen.", der Therapeut lächelte mich sanft an bevor er etwas in sein Notizbuch schrieb. „Also soll ich jetzt so ein Essenstagebuch führen in dem ich alles aufliste das ich gegessen habe?", harkte ich nach und versuchte mich darauf zu konzentrieren die Lachslasagne richtig zu schichten. „Nein. Das wäre ein riesiger Schritt in die falsche Richtung. Ich möchte eher wissen ob du mehr als nur ein duzend Tassen schwarzen Kaffe in deinem Körper hast.", bat Robert und stand auf um sich neben mich an den Herd zu stellen.
„Wenn du es genau wissen willst hab ich am Freitag eine halbe Scheibe Brot zum Abend gegessen. Samstag dann ein halbes Brötchen und ne Menge Gurken zum Frühstück. Eine halbe Tafel Schokolade im Büro meines Vaters nachdem mich die Presse bedrängt hatte. Abends hab ich nur eine Tasse Tee runterbekommen. Am Sonntag hab ich in der Nacht eine heiße Schokolade mit meinem Vater getrunken und Abends eine halbe Pizza gegessen.", zählte ich auf und starrte dabei an die Wand über dem Herd.
„Das ist doch super. Ich bin stolz auf dich.", freute sich der Therapeut und stutze als ich traurig meinen Kopf schüttelte. „Stolz kannst du auf mich sein, wenn ich nach dem Essen nicht so ein schlechten Gewissen hatte dass ich mich fast übergeben hätte.", gestand ich nuschelnd und streute den restlichen Käse auf die Lasagne bevor ich sie in den Ofen schob. „Hast du dich denn übergeben?", harkte Robert besorgt nach und war erleichtert als ich meinen Kopf schüttelte. „Na siehst du? Es sind kleine Schritte. Und das ist auch gut so, denn nur kleine Schritte sind gute Schritte. Wenn du von jetzt auf gleich wieder ein normales Essverhalten hättest, dann würde ich mir Sorgen machen.", versicherte der Therapeut und hielt mir meine Krücken hin. „Ich bin noch nicht fertig.", verneinte ich sein Angebot und tat als würde ich die Herdplatten sauber machen wollen.

„Wir wissen beide dass du gerade versuchst Zeit zu schinden. Also komm, setzt sich an den Küchentisch und lass uns über das reden was dir noch so auf dem Herzen liegt.", bat Robert und ich wusste das jeder Widerstand zwecklos war. Da mich der Mann, kaum das ich ihm am Tisch gegenüber saß, abwartend ansah begann ich nervös mit meinen Fingern zu spielen. „Sollte ich mir Sorgen machen?", mit einer hochgezogenen Augenbraue sah mich Robert einen Augenblick lang an und notierte dann etwas in sein Notizbuch. „Keine Ahnung was du dir da aufschreibst.", fuhr ich ihn an und biss mir direkt auf die Zunge.
„Ich hab mir gerade notiert dass dich etwas beschäftigt und du mir nicht sagen willst was es ist. An deiner Körperhaltung erkenne ich dass es was anderes als die Sache mit dem Essen oder die Angst vor deiner leiblichen Mutter ist.", antwortete Robert und ich sah ihn überrascht an. „Das kannst du alles aus meiner Körperhaltung lesen?", erkundigte ich mich neugierig. Mit einem sanften Lächeln nickte Robert: „Natürlich. Immerhin kenne ich dich seit nun zwei Monaten und hab in den letzten drei Wochen beinahe täglich mit dir gesprochen. Mein Studium ist dafür auch ganz hilfreich.".

Unter dem Radar: Die Frau mit den Eisblauen AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt