„Ja ne, verarschen kann ich mich selber."

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„Bevor wir jetzt tanzen müsstest du kurz deinen Mund aufmachen.", bat Hannah und hielt ein langes Wattestäbchen in der Hand. Ich folgte ihren Anweisungen direkt und fing an zu kichern da das Wattestäbchen in meinem Mund kitzelte. „So jetzt kannst du tanzen.", erklärte Hannah und startete eine Spotify-Playlist. Während ich losgelöst durch das Wohnzimmer tanzte starrte die Wohnungseigentümerin auf das kleine Plastikplättchen. „Alles negativ. Yes!", jubelte sie und zog ihr Handy aus der Hosentasche. „Hey Paul. Es ist alles negativ.", hörte ich sie sagen, als ich an ihr vorbei torkelte. „Noch tanzt sie, ich ruf dich an, wenn was ist.", versprach sie und folgte mir in ihr Badezimmer, wo ich mich gerade in ihren Putzeimer erbrach. „Gut so. Dann geht es dir gleich besser.", sanft strich sie mir über den Rücken und blieb mit mir auf dem Fußboden sitzen bis ich irgendwann einschlief.

„Mein Kopf.", stöhnend öffnete ich meine Augen. „Gut geschlafen?", Daniel saß an der Wand gegenüber von mir gelehnt und hielt eine Kaffeetasse in der Hand. „Wie bist du hier rein gekommen?", brummte ich und fuhr mir mit den Händen durchs Gesicht. „Naja, Hannah hat mich reingelassen. Die anderen müssen noch arbeiten, sonst säßen die auch hier.", erklärte der Oberkommissar und grinste mich an. „Was?", verwirrt sah ich mich um und stellte fest dass ich nicht im heimischen Badezimmer war. „Kannst du dich an was erinnern?", wollte er wissen und stand auf. „Ich war feiern. Fuck, Papa.", ich sprang auf und taumelte ein paar Schritte zurück. Hätte Daniel nicht meinen Oberarm ergriffen, wäre ich direkt in Hannahs Badewanne gelandet. „Mach dir darum keinen Kopf. Hannah hat ihm von deinem Handy geschrieben dass du bei ihr bist, weil du sauer warst. Er weiß nichts von deinem Discoabenteuer.", beruhigte mich Daniel und führte mich ins Wohnzimmer.
„Ach du bist wach. Willst du was essen oder trinken?", Hannah kam auf mich zu und hielt eine Tablette sowie ein Glas in der Hand. „Nein.", nuschelte ich und sah argwöhnisch auf die Sachen in ihrer Hand. „Das ist nur eine Aspirin und ein normales Glas Wasser.", erklärte sie und lächelte mich verständnisvoll an. Zögernd nahm ich ihr die Sachen ab und spülte die Tablette mit einem großen Schluck Wasser hinunter.
Während Hannah und Daniel gemeinsam Mittag aßen, legte ich mich aufs Sofa und versuchte krampfhaft mich an weitere Dinge von vorherigen Abend zu erinnern. „Auf einer Scala von Internat bis Leichenhalle, wie sauer ist Martin?", wollte ich wissen und setzte mich stöhnend auf. „Ich glaube das schwankt zwischen Hausarrest und Strafarbeit.", lachte Daniel und stopfte sich eine Gabelvoll Nudeln in den Mund. Ich sah den beiden noch beim Essen zu bis kurze Zeit später Paul, Jule und Stephan vor der Tür standen. „Na Trouble? Wie ist der erste Kater?", zog mich Stephan auf und ließ sich neben mich auf das Sofa fallen. „Wie schlimm war ich?", brummend vergrub ich mein Gesicht in meinen Händen. „Ben war kurz davor dich mit zur Wache zu nehmen.", erklärte Paul und setzte sich neben mich. „Papa wird so sauer sein.", nuschelte ich und spürte wie mir die Tränen in die Augen stiegen. „Das wird er, ja. Aber er wird dir nicht weh tun.", ahnte mein Freund was mich beschäftigte und legte mir seinen Arm um die Schultern.
„Wir haben übrigens deine Freunde durchs System gejagt. Du solltest dich echt nicht mit ihnen abgeben.", Jule setzte sich ebenfalls zu uns auf das Sofa. „Was meinst du?", ich hob meinen Kopf und sah die rothaarige Beamtin überrascht an. „Dieser Peter ist mehrfach vorbestraft wegen Drogenhandel und Diebstahl und deine Tabea ist auf dem besten Weg dahin, denn auch sie wurde bereits bei diversen Einbrüchen erwischt.", erklärte Stephan und lehnte sich an die Sofalehne. „Ja ne, verarschen kann ich mich selber.", lachte ich und sah in die Runde. Als ich die ernsten Gesichter meiner Freunde sah, sprang ich auf.
„Mila, wir wollen nur das Beste für dich. Und das sind Peter und Tabea nicht.", versuchte Daniel mich zu beruhigen, aber ich schüttelte den Kopf. „Wollt ihr das beste für mich oder für euch? Ihr seid doch nur eifersüchtig weil ich mich gut mit den beiden verstehe und mit denen feiern war und nicht mit euch.", fuhr ich die fünf an und ging ihn den Flur. „Mila, du weißt selber das das Quatsch ist.", Paul kam mir hinterher als ich mir gerade meine Schuhe anzog. „Ach ist das Quatsch? Ich glaube kaum. Machs gut!", brüllte ich, riss die Tür auf und lief los.

Scheinbar ahnten die Polizisten dass es nichts bringen würde mir zu folgen, denn ich hörte keinen von ihnen hinter mir her kommen. Da ich mich alle fünf Kilometer übergeben musste, brauchte ich länger als sonst zum Haus meines Vaters.
Ich atmete noch mal durch bevor ich klingelte und direkt schwere Schritte auf die Tür zukommen hörte. „Da bist du ja!", kaum wurde die Tür geöffnet zog mich mein Vater schon an seine Brust. „Weißt du eigentlich was ich mir für Sorgen gemacht habe?", wollte er wissen und hauchte mir einen Kuss auf den Kopf. „Hast du getrunken?", fassungslos hielt er mich von sich weg und sah mich mit zusammengekniffenen Augenbrauen an. „Bisschen.", nuschelte ich und traute mich nicht in seine Augen zu sehen. „Mitkommen.", brummte er, packte mein Handgelenk und zog mich in das Wohnzimmer in dem Marie auf dem Sofa saß. „Mila!", rief sie, kaum dass sie mich erblickt hatte, und sprang auf. Unter ihren Augen konnte ich Augenringe erkennen wie unter den Augen meines Vaters. Nur waren die Augen meiner Stiefmutter gerötet als hätte sie stundenlang geweint.
„Wo warst du?", zog Martin meine Aufmerksamkeit wieder auf sich und stemmte seine Hände in die Hüften. „Bei Hannah.", antwortete ich und strich mein Oberteil glatt. „Das glaube ich dir nicht. Zu aller erst weil du dich nicht raus geschlichen hättest wenn du zu Hannah gehen wolltest und zweitens würde sie nie mit dir Alkohol trinken.", widersprach mein Vater und sah mich sauer an. „Ich hab mich nicht raus geschlichen.", gab ich nuschelnd zu und setzte mich auf den zweiten Sessel im Raum. „Klar, du bist von deinem Balkon...", Martin riss die Augen auf und legte seinen Kopf schief, „Jetzt sag mir nicht dass du vom Balkon gestiegen bist.". „Mit einer Leiter.", erklärte ich und sah auf den Teppich zu meinen Füßen.
„Du bist mithilfe einer Leiter von deinem Balkon geklettert weil ich dir nicht erlaubt habe zu Paul zu fahren?", ungläubig schüttelte Martin seinen Kopf und Marie sah mich geschockt an. „Warst du die letzten Tage wirklich bei Paul?", ihre Stimme klang brüchig, als würde sie direkt wieder anfangen zu weinen. „Nein.", gab ich zu, weil ich wusste dass die Wahrheit früher oder später eh rauskommen würde.
„Wo warst du dann?", mein Vater sah mich so sauer an, dass ich im Sessel zurück rutschte. „Bei Tabea.", nuschelte ich und spielte nervös mit meinen Fingern. „Welche Tabea?", harte Martin nach und verschränkte nun seine Arme vor der Brust. „Meine Freundin Tabea. Und wenn du es genau wissen willst, war ich gestern mit ihr und ihrem Freund feiern.", irgendwas in mir machte Klick und ich sprang sauer auf. „Du warst feiern? Wieso hast du uns nichts gesagt und dich lieber vom Balkon geseilt?", Martin presste seinen Kiefer aufeinander und sah mich mit seinem Polizistenblick an. „Weil du mir ja nicht mal erlaubt hast, dass ich zu Paul kann. Erstens hab ich es dir doch gerade gesagt, dass ich mit einer Leiter runtergestiegen bin, zweitens bin ich erwachsen und kann tun was ich will.", erwiderte ich schnippisch und stellte mich dicht vor meinen Vater hin.
„Mach dass du auf dein Zimmer kommst, oder ich vergesse mich.", zischte Martin eiskalt und seine Augen verengten sich noch mehr als eh schon. „Nur zu gerne. Mit euch bleibe ich keine Sekunde länger als nötig im Raum. Ihr könnt mich mal.", ließ ich ihn wissen und eilte hoch in mein Zimmer.

Unter dem Radar: Die Frau mit den Eisblauen AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt