„Entweder hatte Paul die Erleuchtung des Jahres oder Mila ist wieder wach."

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Ich sah mich schon auf dem Asphalt aufschlagen als jemand mein Handgelenk ergriff und an sich zog. „Hab dich. Ich hab dich und werde ich immer haben.", raunte mir Paul zu als wir gemeinsam auf den Boden des Daches sanken. Ich schlug um mich und begann ihm sogar über die Unterarme zu kratzen, aber Paul lies mich nicht los. Er hielt mich fest an sich gedrückt und hauchte immer wieder „Ich bin da. Ich bin da.". Ich hörte wie Schritte näher kamen und vereinzeltes Nase putzen. Ich fühlte die Wärme der anderen und auch ihre Blicke auf mir, daher kniff ich meine Augen zusammen. Als ich hörte wie die Tür quietschend aufschwang krallte ich mich an Paul fest und drückte ihm mein Gesicht in die Brust.
„Könnt ihr mich eben zu ihr lassen?", auch wenn ich die Stimme des Arztes erkannte entspannte ich mich kein Stück. „Muss das sein Oli? Ich mein sie wollte sich nicht umbringen. Sie wollte...", versuchte Martin dem Arzt zu erklärten aber er ließ sich nicht abschütteln. „Das wisst ihr nicht sicher. Ihr kennt die Vorschriften. Sie muss mit uns mitkommen.", brummte Oliver und ich schüttelte meinen Kopf. Als ich eine Hand an meiner Schulter spürte verlor ich komplett die Fassung. „Bitte lasst mich nicht allein. Lasst nicht zu dass sie mich wieder einsperren. Ich kann das nicht noch mal.", flehte ich und spürte im selben Atemzug wie Paul seinen Griff um mich verstärkte.
„Ich hab sie um zwei Wochen gebeten, Oli. Zwei Wochen damit wir ihr zeigen können dass sie falsch liegt. Kannst du ihr die nicht auch geben?", schlug Hannah vor und ich war ihr dankbar dafür. „Zwei Wochen. Aber nur wenn ihr mir versprecht dass ihr sie nicht aus den Augen lasst. Und dass sie täglich mit einem Therapeuten spricht.", gab der Notarzt klein bei und ich löste mich aus Pauls Armen um mich in die von Oliver zu werfen. Davon überrumpelt fiel er nach hinten und musste von Klaus gestützt werden um nicht umzukippen. „Danke Oli.", ich sah ihn durch einen Tränenschleier an. „Versprich nur dass du das nie wieder tust. Und vor allem dass du dir Hilfe suchst, mit jemanden redest. Wenn alle Stricke reißen ruf mich an. Egal wie spät es ist.", bat der Arzt mit Nachdruck in ich nickte. „Können wir dann jetzt bitte runter gehen? Ich hab nämlich Höhenangst.", keuchte Daniel und wich so weit es ging von der Kante zurück.
„Trouble?", Stephan hielt mir seine Hand hin aber ich schüttelte meinen Kopf. Unter den verwirrten Blicken meiner Freunde und Familie stand ich auf und atmete tief durch. „Papa? Mama?" ich hielt jeden von ihnen eine Hand hin. Ohne eine Sekunde zu zögern ergriffen die beiden meine Hände und zogen mich an sich. „Ich liebe dich.", gestanden beide gleichzeitig und hauchten einen Kuss auf meinen Kopf. Gemeinsam gingen wir Hand in Hand nach unten und auf die Rettungskräfte zu die mich alle mitleidig ansahen. Alle bis auf Robin, Ben, Micha und Tom. Die vier bahnten uns eine Art Gasse zu einem der Streifenwagen. „Wir sind stolz auf dich Mila. Wir alle.", raunte mir Robin zu, als ich mich in den Streifenwagen gesetzt hatte. Ich warf einen kurzen Blick über seine Schulter und dann wieder zu ihm. „Lass mich dass konkretisieren. Wir alle von der Wache Nord sind stolz auf dich. Die Idioten dahinten kommen von einer andern Wache.", mit einem sanften Lächeln nickte er mir noch mal zu bevor er die Autotür schloss.

Ich war kaum zuhause angekommen als ich schon im Wohnzimmer saß, in den Armen meines Vaters. „Tu mir das bitte nie wieder an.", hauchte er mir in mein Ohr und ich nickte. Denn zum sprechen war ich zu aufgelöst. Nach und nach kamen auch die anderen an und setzten sich zu uns ins Wohnzimmer, aber ich schlief nach einiger Zeit ein.

Als ich meine Augen wieder öffnete sah ich Robert neben Klaus sitzen. Die beiden unterhielten sich gerade angeregt. Hannah, Marie und Jule spielten ein Kartenspiel während Daniel und Stephan sich die Zusammenfassung eines Fußballspiel im Fernseher ansah. Was Martin tat konnte ich nicht sehen, da mein Kopf auf seinem Schoß lag, dafür sah ich aber Paul. Er saß neben mir und strahlte mich an als er bemerkte dass ich wach war.
„Also entweder hatte Paul gerade die Erleuchtung des Jahres oder Mila ist wieder wach.", scherzte mein Vater und ich drehte meinen Kopf um ihn anzusehen. „Gut geschlafen?", wollte er wissen und ich setzte mich zögerlich auf. „Schön dich wieder zu sehen, Mila.", erhob Robert das Wort und lächelte mich sanft an. „Die anderen haben mir grob erzählt was heute los war und ich bin mir sicher dass wir das zusammen schaffen. Nicht unbedingt wie beide aber diese Gruppe hier. Denn in den ganzen sechs Stunden in denen du geschlafen hast, haben sie dich keine Sekunde aus den Augen gelassen. Sie haben nicht mal was gegessen, obwohl einige Mägen lauter geknurrt haben als der Start einer Boing 787.", nahm der Therapeut den Druck aus der Situation und ich lächelte müde. „Wo er es sagt, gibt es noch was zu essen?", Daniel sah zu Marie die lauthals anfing zu lachen. „Ich hab mit dem Gedanken gespielt eine weitere Gefriertruhe zu kaufen um die Dosen irgendwo unterzubringen. Also ja, Daniel. Es gibt mehr als genug.", erwiderte meine Stiefmutter und legte die Karten aus ihrer Hand auf dem Tisch ab. „Wir helfen dir.", Jule stand ebenfalls auf und sah ihre Kollegen an. Stirnrunzelnd sah ich dabei zu wie nicht nur Marie, Daniel und Jule aus dem Wohnzimmer gingen sondern auch Paul, Stephan, Hannah und Klaus.

„Ich nehme an das hier wird meine erste Therapiestunde?", mutmaßte ich und Robert nickte. „Soll ich auch gehen?", unschlüssig sah mein Vater mich an aber ich schüttelte meinen Kopf. „Ich sag sonst nichts... und vielleicht ist es besser wenn du es hörst so wie bei der Sache mit Max.", antwortete ich und zog mir eines der Sofakissen vor die Brust. „Die wichtigste Frage ist, wolltest du dich heute Abend umbringen?", gespannt sah mich der Therapeut an. „Nein. Ich wollte eigentlich die Stadt verlassen. Aber die Züge wurden kontrolliert sodass ich nicht ungesehen reingekommen wäre.", antwortete ich ihm ehrlich und spürte wie Martin sich neben mir entspannte. „Aber wie bist du auf dem Hochhaus gelandet?", harkte Robert nach und zog ein kleines Notizbuch aus seiner Aktentasche neben sich. „Nachdem ich nicht mit dem Zug weg konnte bin ich ziellos in der Stadt umher gelaufen. Ich bin sogar an der Wache vorbei und an der Gasse. Und irgendwann stand ich auf mal vor dem Hochhaus.", erwiderte ich und leckte mir über meine trockenen Lippen. Da Robert schweig redete ich weiter. „Ehe ich mich versah stand ich oben auf dem Dach und konnte nur noch daran denken wie ich die anderen vermisste. Wie sehr ich sie liebte und wie leid mir das alles tat. Ich wollte nicht dass sie weiter wegen mir leiden müssen.", der Kloß in meinem Hals schwoll an und ich spielte nervös mit dem Reißverschluss des Sofakissens.
„Wieso sollten sie wegen dir leiden?", überrascht von meiner Aussage sah mich Robert an. Ich haderte mir mir, ich wusste dass es mir nur besser gehen konnte wenn ich ihm die Wahrheit sagte, aber es tat schon weh nur daran zu denken. Was würde geschehen wenn ich es aussprach?

Unter dem Radar: Die Frau mit den Eisblauen AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt