„Ich würde meinen Eltern so was nie antun!"

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„Mir geht es gut. Ich meine ich bin doch am Leben oder? Und die Menschen die mir am nächsten stehen auch. Und, was schon fast wichtiger ist, ist Olga jetzt auf jeden Fall dran.", antwortete ich auf die Frage die ungefragt im Raum stand. „Trotzdem würde ich gerne weiter täglich bei euch vorbei kommen. Gerade weil das letzte Gespräch vor fünf Tagen war und in der Zwischenzeit so einiges passiert ist.", entschied Robert und ich nickte traurig. „Was ist los Mila?", wollte Daniel wissen und sah mich besorgt an. „Wenn er jeden Tag mit mir reden will, bin ich auf seinem Bala-Bala Ranking wieder weit vorne.", antwortete ich geknickt und lehnte mich gegen Paul. „Wenn du auf meinem Bala-Bala Ranking, wie du es so lieb nennst, weit vorne wärst, würdest du jetzt in einer Klink sitzen. Willst du wirklich wissen auf welchem Ranking Platz du stehst?", erwiderte mein Therapeut und ich nickte direkt. „Auf den unteren Drittel und selbst da knapp unter der Mitte. Ich möchte nur sicher gehen das wir uns das nächste mal nicht mitten in der Nacht wiedersehen weil du wieder fliehen wolltest. Oder ich deine Eltern trösten muss.", stellte Robert klar und ich sah ihn fassungslos an. „Ich würde meinen Eltern so was nie antun!", beteuerte ich mit Nachdruck und setzte mich kerzengerade auf.
„Das ist schön zu hören. Dann sehen wir uns morgen um neun in euerm Wohnzimmer. Wer von euch sechsen will, darf gerne dabei sein. Aber schlaft euch erst mal aus und lasst euch von euren Liebsten verwöhnen.", orderte Robert an und stand auf. „Danke dass Sie hier waren.", lächelte Daniel meinen Therapeuten an der ihm zunickte und dann den Konferenzraum verließ.
„Der Kerl hat Recht macht das ihr nach Hause kommt. Stephan du kommst mit zu mir, Hannah wenn du willst kannst du ebenfalls mitkommen. Klaus hat ja Simone und die Füchse haben sich und Paul.", zählte Jule auf und stand ebenfalls auf. „Hannah kann zu mir kommen.", wand Daniel ein und lächelte Hannah breit an. „Dann los. Und wehe einer von euch fünf Beamten kommt vor dem Ende der nächsten Woche zur Arbeit.", scherzte Chris als auch er aufstand.

Wir anderen standen ebenfalls auf und gingen in den Flur der Wache und wurden dort von einer blonden Frau erwartet. „Klaus Wiebel! Wann hattest du vor mir zu sagen das die durchgeknallte Ex deines besten Freund dich entführt hat und dich fast umgebracht hat?", fuhr Simone ihren Mann an der sie mit großen Augen ansah. „Ich bin so froh dass dir nichts passiert ist.", gestand sie in normaler Lautstärke und fiel ihrem Mann um den Hals. „Das hab ich im Grunde Mila zu verdanken.", nuschelte Klaus, schloss seine Augen und drückte seine Frau enger an sich. „Dann komm her.", brummte Simone, ergriff mein Handgelenk und zog mich mit in die Umarmung.

So standen wir gute zehn Minuten bis die beiden mich los ließen und ich mit meinen Eltern und Paul den Weg nach Hause antrat. Kaum waren wir angekommen lief ich die Treppe hoch, schnappte mir wahllos frische Kleidung aus dem Schrank und ging ins Badezimmer. Dort schlüpfte ich aus der Kleidung die ich trug und stellte mich unter den kochend heißen Wasserstrahl. Ich schrubbte mir so lange die Haut ab, bis ich an einigen Stellen sogar anfing zu bluten. Aber erst als ich das Gefühl hatte sämtliche Spuren meiner leiblichen Mutter und vor allem die der vergangenen Stunden, Tage und Wochen von meinem Körper gewaschen zu haben, stellte ich das Wasser aus und stieg aus der Dusche.
Ohne das ich es wollte, fiel mein Blick in den beschlagenen Spiegel. Wie ferngesteuert lief ich auf ihn zu und wischte den Wasserdampf mit meiner Hand weg. Als immer mehr von meinem geröteten Gesicht und meinem nackten Oberkörper zu sehen war, konnte ich nicht anders als an Olgas Worte zu denken.
'...trotzdem hast du dich in den Kloß da vorne verliebt.'
'...wie du so was lieben kannst.'
'...so breit wie du mittlerweile geworden bist hätte man dich eigentlich nicht verfehlen können.'

Im Grunde hatte sie ja recht. Seitdem ich bei Martin wohnte und Marie mich regelmäßig bekochte hatte ich zugenommen. Meine Wangen waren praller, meine Oberschenkel dicker und mein Bauch größer. Beschämt drehte ich mich von meinem Spiegelbild weg, trocknete mich ab und schlüpfte in die saubere Kleidung. Schon im Flur konnte ich das Essen von Marie riechen und ertappte mich dabei wie ich mir bereits eine Ausrede überlegte um nicht mitessen zu müssen. Wahrscheinlich würde es niemanden auffallen wenn ich weniger aß.

„Da bist du ja, dachte schon du hast dich im Wasser aufgelöst.", scherzte mein Vater als ich mich auf das Sofa setzte und mir ein Sofakissen vor den Bauch hielt. „Wollte nur ganz sicher gehen dass ich sauber bin.", erwiderte ich leise und sah zu Paul der völlig in sein Handy vertieft zu sein schien. „Alles gut. Marie tobt sich gerade in der Küche aus, ich hoffe die Zeit in Pauls Junggesellenwohnung hat dich richtig hungrig werden lassen.", lachte Martin und griff nach seiner Kaffeetasse die auf dem Couchtisch stand. „Nicht wirklich, ich hab an dem ersten Abend gekocht und beim zweiten hatten wir ja die Einkäufe von Marie. Und dann... war ich bei Olga.", antwortete ich mit immer leiser werdender Stimme. „Ich wollte dich nicht wieder daran erinnern. Tut mir leid.", murmelte mein Vater und ich nickte ohne ihn wirklich anzusehen.

Wenig später saßen wir in der Küche, die anderen machten sich über den Kartoffelbrei, die Hähnchenschenkel und den Salat her während ich mein Salatblatt auf meinem Teller hin und her schob. „Alles gut, Mila?", wollte Marie besorgt wissen und ich nickte, ohne meinen Blick von meinem Teller zu nehmen. „Schmeckt es dir nicht?", harkte sie nach und direkt meldete sich das schlechte Gewissen in mir. „Doch es ist alles lecker. Aber ich hab nicht wirklich Hunger.", log ich und stopfte mir das Salatblatt in den Mund. Damit gab sich meine Stiefmutter zufrieden und unterhielt sich weiter mit meinem Vater über den Essensplan der kommenden Woche. Überrascht sah ich erst die beiden und dann Paul, der ihrem Gespräch interessiert folgte, an. Scheinbar schien ihnen das gerade erlebte nicht so viel auszumachen wie mir. Die drei schienen als würde es die vergangenen Stunden nicht geben.
Da ich nicht weiter auffällig sein wollte, schaffe ich es noch zwei kleine Happen Kartoffelbrei zu essen, bis ich mich in das Wohnzimmer verabschiedete. Dort legte ich mich unter die Sofadecke, die Marie frisch gewaschen zu haben schien denn sie roch nach Weichspüler, und versuchte mich ganz klein zu machen. Im Tv lief die Wiederholung einer Modelshow bei der eine große Blondie einem blonden Mädchen sagte, dass sie mit ihrer Kleidergröße 36 zu den dicken Models gehörten würde und dafür in ihrer Show leider kein Platz war. Das Mädchen brach weinend zusammen und flehte die Frau an ihr eine Chance zu geben, sie würde alles tun um weiter in der Show zu bleiben.
„Wenn die zu dick ist, wann bin dann ich?", murmelte ich in die Sofadecke, konnte mich aber nicht dazu durchringen umzuschalten.
Als die anderen in das Wohnzimmer kamen, fand gerade die Entscheidung von zwei Wackelkandidatinnen statt. Immer wenn die Fotos der Mädchen eingeblendet wurden, versuchte ich mir vorzustellen wie ich in der Pose aussehen würde. „Gott das läuft ja immer noch.", stöhnte Martin als er sich auf seinen Sessel setzte. „Das es aber auch immer Mädchen gibt, die darauf reinfallen.", stimmte Marie ihm zu und setzte sich ebenfalls. Paul kam ein paar Minuten später in das Wohnzimmer und hielt zwei Teetassen in der Hand. Die eine stellte er vor mir ab mit der anderen setze er sich neben meine Füße. „Gott ich hab bei so Hungerharken immer das Bedürfnis gehabt denen Essen zu bringen. Ich will, wenn ich meine Frau umarme, nicht Angst haben dass sie durchbricht.", gestand mein Freund und legte eine seiner Hände auf meine Beine.

Unter dem Radar: Die Frau mit den Eisblauen AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt