„Ich bin dabei. Egal was es ist, ich bin dabei."

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Nach meiner indirekten Selbststandpauke besprachen wir noch einen weiteren Termin an dem wir uns zu fünft unterhalten wollten und dann verabschiedete sich der Therapeut. Wie immer nach den Therapiestunden war ich nervlich völlig ausgelaugt und brauchte erst einmal eine Pause wenn nicht sogar einen Nickerchen. Paul schien es diesmal nicht anders zu gehen, denn als ich nach einem kurzen Toilettengang wieder ins Wohnzimmer kam, waren meine Eltern in der Küche verschwunden und mein Freund saß, mit vor der Brust verschränkten Armen, auf dem Sofa und hatte seine Augen geschlossen. In der Annahme dass er nur kurz seine Augen ausruhte setzte ich mich neben ihn und zuckte leicht zusammen als Paul anfing zu schnarchen. Ich drehte mich zu ihm und beobachtete ihn ganz genau. Wie seine Brust sich regelmäßig hob und senkte. Seine Fingerspitzen leicht zuckten genauso wie seine Augenbrauen. Aber am meisten faszinierten mich seine Lippen. Sie waren leicht mit Speichel benetzt, als hätte er bevor er eingeschlafen war, noch mal über sie drüber geleckt. Sie waren zwar dünner als meine, aber ich wusste dass sie weich wie Watte waren. In mir keimte das Verlangen auf mich einfach auf seinen Schoß zu setzen und ihn zu küssen, aber im selben Atemzug spürte ich die Hände der fremden Männer wieder auf mir.
Da ich meinem Freund aber dennoch irgendwie nahe sein wollte, griff ich mir die Sofadecke, deckte mich damit zu und legte meinen Kopf auf Pauls Schoß ab. Als ich meine Augen schloss um das Gefühl bewusster wahrzunehmen und vor allem einordnen zu können, dass ich in meiner Bauchgegend spürte, entspannte sich der gesamte Körper des Oberkommissars und eine Hand fuhr in meine Haare.
Wie auf Knopfdruck sah ich mich wieder in der Dusche stehen, die Wassertropfen an den Fliesen anstarrend und die Finger von Chantal in meinen Haaren. Aber die Berührungen von Paul waren anders. Sanfter. Liebevoller. Sie massierten meine Kopfhaut und kamen einmal gegen die Narbe. Aber als hätte er sich im Schlaf die Stelle gemerkt umrundeten seine Fingerspitzen die Stelle. Langsam driftete ich den Schlaf und hörte noch mit einem Ohr wie Marie Martin zurechtwies und ihn wieder aus dem Wohnzimmer zog.

In den nächsten beiden Therapiestunden unterhielten Robert und ich uns über die Zeit bevor ich auf Paul getroffen war. Am Ende der zweiten Stunde hatte ich noch eine andere Frage an meinen Therapeuten. „Also eins muss ich dir sagen Mila. Wir reden jetzt seid einer Woche täglich miteinander und ich bin richtig stolz auf deine Fortschritte. Ich bin mittlerweile auch felsenfest davon überzeugt dass du dich nicht wirklich von dem Dach stützen wolltest.", erklärte er und steckte sein Notizbuch zurück in seine Aktentasche. „Diesbezüglich hätte ich noch eine Frage. Eher gesagt eine Bitte.", unsicher sah ich den Mann und hoffte dass er der selben Meinung wie ich war. „Okay, jetzt bin ich gespannt. Ich hoffe das du mir jetzt nicht sagst dass du dich doch umbringen wolltest. Denn dann muss ich mir definitiv einen neuen Job suchen.", scherzte er, wohl um mir die Angst zu nehmen.
„Nein, ich wollte dich bitten morgen mit mir zur Polizei zu fahren, damit ich eine Aussage machen kann. Ich weiß dass Papa oder Paul mich auch begleiten würden, aber ich glaube dass ich danach deine Hilfe brauchen werde.", weihte ich ihn in meinen Plan ein. „Natürlich begleite ich dich, denn ich glaube du bist soweit gefestigt dass es dich nicht ganz aus der Bahn werfen wird.", stimmte Robert zu und stand auf. „Und du willst dass ich es den dreien sage und da nicht eine Solo-Mission draus mache wie als ich Tabea angezeigt habe?", mutmaßte ich als ich seinen Blick sah. „Komm schon. Sie werden sich freuen.", er wies auf die Küchentür denn Paul, Martin und Marie saßen in der Küche und kümmerten sich um das Abendessen.

„Oh, seid ihr schon fertig?", überrascht sah Martin von den Kartoffeln auf die er in feine Scheiben schnitt. „Ja und nein.", antwortete ich wage und spürte wie Robert mir seine Hand auf die Schulter legte. „Mila?", Paul sah besorgt auf die Hand auf meiner Schulter und dann zu mir als ich tief durchatmete. „Ich will morgen zur Wache um meine Aussage zu machen und hab Robert gefragt ob er mich, ob er uns, begleiten kann. Denn ich weiß dass ihr mich unterstützen werdet aber ich habe eine Vorahnung dass ich danach Roberts Hilfe brauchen werde.", erklärte ich und sah unsicher meine Familie an. „Bist du dir sicher?", harkte Marie nach und legte den Kochlöffel aus ihrer Hand neben dem Herd ab. „Ja.", antwortete ich knapp und sah zu Paul. „Ich bin dabei. Egal was es ist, ich bin dabei.", versicherte er direkt und ich lächelte ihn dankbar an. „Nicht dass wir uns falsch verstehen, ich bin auch dabei. Aber ich mach mir Sorgen ob es nicht zu früh ist.", fügte Marie hinzu und trat ebenfalls an den Küchentisch heran. „Aus der Psychologischen Sicht ist Mila bereit dafür. Und nach dem Gespräch in der Wache können wir weiter an dem Traumata arbeiten und an ihren anderen Baustellen. Vielleicht sogar mit den andern Beamten.", versicherte Robert und nahm seine Hand von meiner Schulter.
„Alles klar. Dann sehen wir uns morgen früh um 9 vor der Wache. Willst du einen von uns dabei haben? Also abgesehen von Herr Holtmann?", wollte mein Vater wissen und ich sah es ihm an dass er gerne dabei sein wollte. „Das überlasse ich euch. Wenn ihr wollt könnt ihr dabei sein. Wenn nicht kann ich es verstehen. Ich will euch nicht dazu zwingen.", entschied ich und warf einen raschen Blick zu Paul. „Wie ich schon sagte, ich bin dabei.", stellte dieser gleich klar und Martin nickte auch. „Mama?", ich ging einen Schritt auf meine Stiefmutter zu. „Ich bin auch dabei, aber bitte sei nicht sauer wenn ich zwischendrin den Raum verlassen muss.", bat sie und ich nickte.

In der Nacht konnte ich partout nicht einschlafen, daher stieg ich über Paul drüber, der wie in den Nächten davor vor dem Sofa lag und ging in den Garten. Der Himmel war wolkenlos und obwohl es kalt war, setzte ich mich dennoch mitten auf die Rasenfläche. Bis auf das Rascheln der Bäume war kaum was zu hören, sodass ich meine Augen schloss und die Ruhe auf mich wirken ließ.

Unter dem Radar: Die Frau mit den Eisblauen AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt