„Es tut mir leid, Onkel Klaus."

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„Schön Sie alle wieder hier zu sehen.", begrüßte uns Robert am nächsten Morgen und lächelte uns breit an. „Ich muss es noch mal sagen, es tut mir wirklich leid, dass ich die letzte Stunde so kurzfristig abgesagt hatte. Aber Simone und ich hatten einfach so viel Spaß im Theater.", entschuldigte sich Klaus kleinlaut. „Keine Sorge Herr Wiebel, Sie waren nicht der einzige. Außerdem habe ich die Stunde gut mit etwas anderen füllen können.", beruhigte der Therapeut den Dienststellenleiter. Kurz blickten alle zu mir und ich wäre am liebsten im Erdboden versunken bis ich etwas in ihren Blicken zu erkennen glaubte.
„Wieso seid ihr deswegen stolz auf mich?", hörte ich mich selber fragen und runzelte die Stirn. „Weil das bedeutet dass egal was Robert mit den Videos vor hatte, funktioniert hat.", erklärte Stephan und zwinkerte mir zu. „Wir wissen zwar nicht was er damit vor hatte, aber wir sehen das das Strahlen in deine Augen zurück gekehrt ist.", fügte Klaus hinzu und Hannah nickte mit einem strahlenden Lächeln.
„Wo waren wir denn das letzte mal stehen geblieben?", lenkte Robert das Gespräch wieder auf das eigentliche Thema. „Wir sollten oder durften wie amerikanische Cops handeln.", antwortete Paul und nahm sich einen von Maries selbstgebackenen Keksen. „Stimmt. Im Grunde fehlt nur noch ein Cop um die Sache rund zu machen.", erwiderte der Therapeut und sah zu mir. „Welcher Polizist kommt doch noch?", fragend sah ich mich um. „Erinnerst du dich noch daran wie Hannah das letzte mal erzählt hat, was sie tun würde wenn sie mit Olga allein in einem Raum wäre? Wenn ich mich jetzt nicht irre, dann meint er dass du dran bist.", erklärte mein Vater und Robert nickte.
„Also ich... ähmmm...", stammelte ich weil ich nicht wusste was ich sagen sollte. „Schließ einfach deine Augen und stell dir vor sie sitzt vor dir. Nur sie und niemand anderes.", versuchte Marie mir auf die Sprünge zu helfen. Obwohl mein erster Impuls war einfach wieder hoch in mein Zimmer und unter die Decke zu kriechen, griff ich nach der Hand meines Freundes, schloss meine Augen und atmete tief durch.
„Ich glaube ich würde in den ersten Minuten aus Angst nichts raus bekommen. Nicht weil ich wegen mir Angst hätte. Eher weil ich Angst habe dass sie euch noch mal was tut. Ich meine ihr wurdet entführt weil ich die beiden angezeigt habe. Aber dann würde diese kleine nette Stimme in mir das Wort ergreifen, nachdem sie die gemeine Stimme um die Ecke gebracht hat. Sie würde mir klar machen, dass es nichts bringt zu schweigen. Das die bösen Menschen dann nur denken, dass sie mit allem durchkommen. Also würde ich Olga sagen dass ich sie hasse. Sie hasse für das was sie euch angetan hat. Dafür dass ihr jetzt vier Therapiestunden brauchtet um damit klar zu kommen.
Ich hasse sie für das was sie mir alles angetan hat. Dass sie mir nicht mal einen Namen gegeben hat, mich ständig verprügelt hat und auch zugelassen hat das Hubert und Franziska ihre Wut an mir auslassen durften. Ich hasse sie dafür dass meine erste Erinnerung die ist, dass sie mir die kochende Suppe über die Beine gekippt hat, weil ihr die Farbe nicht gepasst hat. Das sie mich ausgelacht hat als ich schreiend und weinend um mich geschlagen habe, als Hubert mir den heißen Topf auf den Oberarm gedrückt hat. Ich hasse sie dafür dass sie mich im Keller festgebunden hatte, damit ich nicht fliehen konnte, als Franziska ihre Karate Tritte an mir üben wollte. Ich hasse sie dafür dass sie Franziska so verwöhnt hat und ich nicht mal die Reste essen durfte und dass ich klauen musste um zu überleben. Dass ich nicht mal weiß ob mein Geburtstag wirklich mein Geburtstag ist.
Dafür weiß ich aber alles darüber wie man einen Garten pflegt ohne Geräusche zu machen, kenne gefühlte tausend Rezepte auswendig ohne dass ich die Gerichte dazu jemals gegessen zu haben. Und musste mir selber das lesen und schreiben beibringen weil sie der Meinung war das ich die Mühe nicht wert wäre und sowieso nur leben würde, weil sie die Abtreibungspille zu spät genommen hatte.
Ich würde ihr weinend entgegen brüllen dass ich ihr das alles nicht verzeihen würde. Weder das sie mich all die Jahre misshandelt hat, noch dass sie Martin, Marie und Paul damals im Park fast erschossen hat und vor allem nicht dass sie euch alle in den Kampf mit reingezogen hat. In den Kampf der nur sie, Hubert, Franziska und mich betrifft.", ich weiß nicht wieso aber ich sprach mir einfach alles von der Seele.

Stille breitete sich im Raum aus und ich atmete ein paarmal tief durch bevor ich meine Augen öffnete. „Darf ich dich in den Arm nehmen?", kam es kaum hörbar von Hannah und ich sah sie überrascht an. Als ich sah dass ihr die Tränen über die Wange liefen, sah ich auch zu den anderen, die ebenfalls weinten.
„Davon hast du nie was erzählt.", murmelte mein Vater und ich runzelte meine Stirn. „Was meinst du?", harkte ich nach und zuckte zusammen als Paul meine Hand so sehr drückte dass sie knackte. „Das... dass sie... Was sie dir angetan haben.", wimmerte Marie und presste ihr Gesicht in den Oberarm ihres Mannes.
„Scheinbar hab ich ein paar Sachen verdrängt, bis ich sie im Keller auf mich zukommen sehen habe.", erklärte ich und griff mit meiner freien Hand nach dem Kettenanhänger an meinem Hals. Wieder schwiegen alle und ich sah zu dem Therapeuten der sich noch was notierte um mich dann mit einem grübelnden Gesichtsausdruck anzusehen.
„Ich glaube es ist für alle das beste wenn wir eine kleine Pause machen. Reichen Ihnen allen fünf Minuten?", erkundigte sich Robert und schloss sein Notizbuch. Direkt standen alle auf und verteilten sich im Haus. Auch der Therapeut ging in den Flur sodass ich allein im Wohnzimmer zurück blieb.
Mir schossen Gedanken voller Selbstzweifel durch den Kopf die mir die Tränen in die Augen trieben. Um nicht zu laut zu sein, presste ich mein Gesicht in ein Sofakissen. „Mila?", hörte ich die tiefe Stimme von Klaus und spürte wie das Sofa neben mir ein Stück nach unten sackte. Automatisch lehnte ich mich ihm entgegen und fand mich im nächsten Moment in seinen Armen wieder. „Ich weiß, das haben dir in der letzten Zeit viele gesagt, aber du bist du stark, so mutig, so tapfer.", hauchte er mir zu und strich mit seinen Händen beruhigend über meinen Rücken. „Es tut mir leid, Onkel Klaus.", erwiderte ich zwischen zwei Seufzern und hob mein Gesicht aus dem Kissen in meiner Hand.

Unter dem Radar: Die Frau mit den Eisblauen AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt