„Wir haben Jane Doe gefunden und bringen sie auf die Wache."

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Erst als ich mich in einer abgelegenen Gasse, hinter einem Müllcontainer, frisch machen wollte, stellte ich fest dass ich meinen Rucksack nicht mehr bei mir hatte. Das letzte mal hatte ich ihn bewusst gesehen als ich mich auf die Bank gesetzt hatte, nachdem ich vor Paul von der Kneipe abgehauen war. Paul. „Verdammt.", fluchte ich und kickte eine leere Coladose gegen die Hauswand vor mir. In dem Rucksack befand sich alles was mir wichtig war. Meine alte Zahnbürste und eine Packung Zahnpasta die ich im Drogeriemarkt geklaut hatte. Ein Bild von mir als Baby und vor allem das einzige Foto das ich von meinem Vater hatte. Auf dem hielt er meine Mutter im Arm und die beiden strahlten in die Kamera. Auf die Rückseite hatte jemand geschrieben 'M. 1992.'.
Nun stand ich ohne alles da und konnte auch nicht heim, denn da wartete Hubert und meine Mutter wobei ich mir nicht mal sicher war ob sie meine Flucht mittlerweile bemerkt hatten.
Nachdem ich den Inhalt der geklauten Brötchentüte gierig hinuntergeschlungen hatte strich ich meine Kleidung glatt und trat aus der Gasse hinaus. Mit einem wachsamen Blick lief ich stundenlang durch Köln und trank in einem Drogeriemarkt einige Becher Wasser aus deren öffentlichen Wasserspender.
Irgendwann setze ich mich auf die Domtreppen und lehnte mich an das Treppengeländer. Gerade als ich müde meine Augen schloss, hörte ich wie sich jemand neben mich setzte. „Nein danke. Ich hab kein Interesse.", brummend wollte ich eine Stufe tiefer rutschen, prallte aber direkt gegen zwei Beine. „Das ist aber eine nette Begrüßung.", hörte ich die Stimme die ich gestern schon mal gehört hatte. Ich kniff meine Augen zusammen und versuchte händeringend einen Fluchtplan zu finden, meine Lage schien aber aussichtslos. „Du hältst einen ja wirklich auf Trapp.", kam es von dem Mann vor mir und ich presste meine Lippen aufeinander. „Komm schon, wir wissen du bist wach. Schau uns an.", bat mich Paul und ich kam, ohne es zu wollen, seiner Aufforderung nach. „Geht doch. Hier.", er hielt mir einen Kaffeebecher hin, aber so gerne ich danach greifen wollte, schüttelte ich meinen Kopf. „Ich hab da nichts reingemischt. Er ist auch ganz frisch, von dem Wagen da vorne.", mit einem Kopfnicken wies Paul auf einem Mobilen Kaffeehändler und drückte mir den warmen Becher in die Hand. „Wo hast du heute Nacht geschlafen?", sein Kollege ging vor mir in die Hocke und sah mich prüfend an. „Wo haben Sie denn geschlafen?", antwortete ich schnippisch und sah zu meiner Verwunderung wie seine Mundwinkel zuckten. „Ich hab in meinem Bett geschlafen? Du?", bleib er hartnäckig und ich zuckte mit den Schultern. „Ich nicht.", antwortete ich wage und hörte wie Paul leise lachte. „Nicht schlecht. Wie heißt du denn?", stellte Pauls Kollege die Frage vor der ich die meiste Angst hatte. „Ist ein Geheimnis.", wand ich mich aus der Frage und verschwieg dabei dass selbst ich das Geheimnis nicht kannte.
„Also war das heute Nacht dein Ernst?", geschockt sah mich Paul von der Seite aus an und ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter. „Du willst uns doch nicht wirklich weiß machen dass du keinen Namen hast.", lachte Pauls Kollegen und warf einen raschen Blick zu Paul. „Ich meine jeder hat einen Namen. Das ist Paul, ich bin Stephan und du bist?", er wies erst auf Paul, dann auf sich und tippte dann mir mit dem Zeigefinger gegen die Brust. Geschockt riss ich die Augen auf und ließ den Pappbecher fallen, dessen Deckel direkt aufsprang und seinen Inhalt auf meine und Stephans Hose verteilte. Mit schmerzerfüllten Gesicht sprang der größerer der beiden Männer auf und ich hob instinktiv meine Arme um meine Kopf vor Schlägen zu schützen. „Trouble, glaubst du ich würde dich schlagen?", Stephans Stimme war sanft und voller Sorge. „Trampel?", wiederholte ich zaghaft und ließ meine Arme minimal sinken. „Trouble. Stephan verteilt gerne Spitznamen.", klärte mich Paul auf und grinste seinen Freund breit an. Nun war ich völlig verwirrt und legte meine Arme auf meinen Knien ab. „Du weißt doch was Trouble bedeutet oder?", harkte Stephan nach und hockte sich wieder vor mich hin. Als ich meinen Kopf schüttelte weiteten sich seine Augen minimal und auch Paul zog scharf die Luft ein. „Logisch. Ohne Namen gibt es auch keine Schule.", brummte Stephan und sah mich mitleidig an. „Aber ich kann lesen und schreiben. Das hab ich mir selber beigebracht.", erklärte ich weil mir aus irgendeinem Grund wichtig war was die beiden von mir dachten. „Das ist super.", lobte mich Paul und mein Gesicht schnellte zu ihm. Es war das erste mal in meinem Leben, dass ich jemanden diese drei Worte sagen hörte – und damit mich meinte.

„Was meinst du? Können wir auf die Wache ohne das wir dir hinterher laufen müssen? Ich bin mir sicher dass du zu einer heißen Dusche und frischer Kleidung nicht nein sagst.", schlug Paul vor und lächelte mich an. „Ich kann aber nicht bezahlen. Ich hab nur das bei mir das ich am Körper trage.", gestand ich und starrte auf die Kaffeepfütze zwischen meinen Beinen.
„Dafür musst du doch nicht zahlen. Es ist selbstverständlich dass wir dir helfen.", wiegelte Stephan ab und stand auf. „Bitte zwing mich nicht dir Handschellen anzulegen und dich zu deinem Glück zu zwingen. Ich bin keine Ahnung wer dir so weh getan hat, aber ich werde nicht zulassen dass es noch mal passiert. Wenn du mich lässt.", auch Paul stand auf und hielt mir seine Hand hin. Einen Moment lang haderte ich mit mir. Entweder ich handelte nach meiner Erziehung oder nach meinem Bauchgefühl. Da ich mich für letzteres entschied legte ich meine Hand in die von Paul und ließ mich von ihm zum Streifenwagen bringen.
Ich kam mir vor wie eine Schwerverbrecherin als ich mich auf die Rückbank setzte und Paul sich neben mich fallen ließ. Stephan bleib draußen stehen und ich konnte ihn durch die geschlossene Tür und das Funkgerät im vorderen Bereich des Wagens sprechen hören: „Arnold 17/21 für Arnold.". Die Antwort lies nicht lange auf sich warten: „Arnold hört.". „Wir haben Jane Doe gefunden und bringen sie auf die Wache." drang Stephans Stimme durch den Wagen und ich sah Paul überrascht an. „Jane Doe bedeutet das eine weibliche Person noch keinen Namen hat.", erklärte er und ich nickte.

Unter dem Radar: Die Frau mit den Eisblauen AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt