„Das klingt selbst für dich ziemlich düster."

309 17 0
                                    


Den Rest der Therapiestunde sprachen wir den Angriff von Olga, als sie in unser Wohnzimmer eingebrochen war. „Scheinbar hatten die jahrelangen Misshandlungen doch was gutes.", gab ich zynisch zu und sah auf meine Fingernägel als sein unter ihnen noch immer die Hautfetzen meiner leiblichen Mutter. „Das klingt selbst für dich ziemlich düster.", gab Robert zu als er sein Notizbuch, nach einer letzten kleinen Notiz, wieder in seine Aktentasche steckte.
„Mein Leben ist düster.", nuschelnd lehnte ich mich wieder zurück und griff nach einer der Zeitschriften. „Ich würde mir freuen wenn du morgen an der Gruppentherapie dabei wärst.", bat Robert und ich nickte ohne meinen Kopf zu heben.

„Robert meinte dass du vielleicht hunger hast.", kaum fiel die Haustür ins Schloss kam Marie mit einem Tablett ins Zimmer. „Ich hab gestern im Internet nach gesunden Rezepten gesucht, weil du ja gestern meintest du willst nicht so viel essen wegen deinem Knöchel.", erklärte meine Stiefmutter während sie das Tablett neben mich abstellte. „Das ist eine Brokkoli-Reis-Hähnchenbrust-Pfanne und ein Obstsalat. Dazu hab ich dir ein Obstwasser gemacht.", zählte Marie sichtlich stolz auf. „Danke. Ich schau mal wie viel ich runter bekomme.", ich lachte sie zaghaft an und nahm mir eine Traube aus dem Obstsalat, da sie mich traurig ansah. „Zum Abendessen würde ich ein Low-Carb-Pizza ausprobieren, die hab ich in einen von diesen Zeitschriften gesehen. Angeblich isst Beyoncé nur noch das.", schwärmte meine Stiefmutter und setzte sich zu mir ins Bett um nach der richtigen Zeitschrift zu suchen.
„Wer ist das denn?", harkte ich nach, da ich den Namen noch nie gehört hatte. „Ich vergesse immer, das du die Sachen ja nicht kennst. Beyoncé ist eine erfolgreiche Sängerin die sehr auf ihr Gewicht achtete aber um ehrlich zu sein glaube ich da hilft in regelmäßigen Abständen der Beautydoc.", lästerte Marie und schien die richtige Zeitschrift gefunden zu haben, denn sie blätterte in einer hin und her. „Beautydoc?", wiederholte ich leise und nahm mir noch eine Traube aus dem Obstsalat. „Ja, ein Arzt der sich auf Schönheitsoperationen spezialisiert hat. Für Menschen die denken sie sein nicht hübsch oder nicht dünn genug. Für Frauen die mit ihrer Oberweite unzufrieden sind oder auch Männer die was an sich verändern wollen.", erklärte Marie und ich machte mir gedanklich eine Notiz so einen Arzt ebenfalls aufzusuchen.
„Ich meine hier schau mal, die sieht doch gar nicht mehr aus wie ein Mensch.", entfuhr es meiner Stiefmutter und sie zeigte mir ein Bild von der jungen Frau die ich vor ein paar Stunden noch angehimmelt hatte. „Aber die sieht doch hübsch aus. Ich meine ihr Freund ist bestimmt glücklich so jemanden an ihrer Seite zu haben.", wand ich ein und versuchte so neutral wie möglich zu klingen. „Was glaubst du, warum die Beziehungen von Stars selten länger als ein Jahr dauern. Die gehen sich an die Gurgel weil sie alle schlecht drauf sich, da sie hungern müssen.", lachte Marie und wies auf den Mann neben der Frau, „Das hier ist ihr zweiter Ehemann. Und laut den Nachrichten heute morgen ist die bald auch hin.".
Nachdem Marie mir das Pizza Rezept gezeigt hatte, ging sie wieder runter, wohl um sich gleich ans Werk zu machen. Ich aß ein paar Happen der Reis-Pfanne und machte mich dann über den Obstsalat her. Währenddessen lass ich mir die Artikel durch, in denen sogenannten Experten die neusten Operationen von Promis beurteilten. Den Arzt der dabei am besten Abschnitt wollte ich anrufen, stellte aber fest dass er in Amerika lebte und arbeitete. Also suchte ich an meinem Handy nach dem besten Beautydoc in Köln und rief ihn direkt an.

„Praxis Beauty First, Himmel am Apparat. Wie kann ich Ihnen helfen?", meldete sich eine junge Frau. „Hallo, Fuchs mein Name. Ich... ähmm... ich hätte ein paar Fragen.", stammelte ich nervös und hoffte das meine Eltern mich nicht hörten. „Natürlich Frau Fuchs. Ich hoffe ich kann ihnen die Antworten liefern die sie brauchen.", trällerte die Frau und ich atmete tief durch. „Nehmen wir an ich würde mir gerne Fett absaugen lassen. Wie teuer wäre das?", stellte ich die erste meiner fünf Fragen. „Das hängt davon ab wo das lästige Übel entfernt werden soll. Am Bauch zum Beispiel müssen Sie mit zirka 4000€ rechnen.", kam es von Frau Himmel wie aus der Pistole geschossen. „Und wie lange würde ich den Eingriff merken?", erkundigte ich mich weiter und behielt meine Zimmertür im Blick. „Das hängt mit ihrer physischen Verfassung zusammen. Aber wir können ihnen ein Beratungsgesprächstermin vereinbaren. Der nächste freie Termin ist in drei Monaten. Soll ich den für sie buchen?", erkundigte sich die Frau, aber ich lehnte ab da ich doch noch kalte Füße bekam. „Ich ruf die Tage noch mal an. Ich muss mir das noch mal überdenken.", erklärte ich ihr und legte auf ohne sie aussprechen zu lassen.

Stunden später rief mich Martin zum Essen und akzeptierte meine Ausreden nicht, dass ich noch von dem üppigen Mittagessen statt war. „Entweder kommst du runter oder wir hoch. Such es dir aus.", drohte er und ich sprang aus dem Bett, als ich seine Schritte auf der Treppe hörte. Nur trat ich dabei etwas zu heftig mit meinem verletzten Fuß auf, dass ich laut aufschrie. „Mila!", hörte ich meinen Vater rufen und wie seine Schritte schneller näher kamen. Keuchend hielt ich mich an meinem Bett fest und versuchte nicht zu weinen.
„Was ist passiert?", ich spürte Martins Hand an meinem Rücken und lehnte mich an ihn. „Bin falsch aufgestanden.", erklärte ich ihm und atmete erleichtert durch, als der Schmerz langsam abebbte. „Das wollte ich nicht. Das nächste mal mache ich keine Scherze mehr.", hauchte er mir ins Ohr bevor er mich losließ und nach meinen Krücken griff.
Gemeinsam gingen wir nach unten, wo Marie schon in der Küche auf uns wartete und eine zweite Pizza in die Mitte des Tisches stellte. Aber obwohl ich wusste wie viel Mühe sie sich gegeben hatte, schaffte ich nicht mehr als ein Stück, bevor ich mir vorstellte wie Stephan mit seinem Finger auf mich wies und mich auslachte. Wie Paul neben ihn stand und eine Kollegin in den Armen hielt die ich nicht kannte. Wie Martin mich vor seinen Freunden verheimlichte da ich ihm peinlich war.

Unter dem Radar: Die Frau mit den Eisblauen AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt