„Ich merke schon, ich komme genau richtig."

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Davon überrascht schlug ich erst noch um mich und hielt dann in der Bewegung innen, als würde der Kuss mein Gehirn neu starten. Ich ließ meine Arme sinken und schloss meine Augen. Erst als Marie erleichtert „Es funktioniert." jubeln löste Paul sich von mir und ich blieb bewegungslos stehen. „Mila? Kann ich dich wieder los lassen?", harkte Martin besorgt nach und zog mich an seine Brust als ich meinen Kopf schüttelte.
„Verzeiht mir bitte.", flehte ich kaum hörbar und fing hemmungslos an zu weinen. „Es gibt nichts das wir dir verzeihen müssten.", antwortete mein Vater und drehte mich so, dass er mir ins Gesicht sehen konnte. „Ich weiß dass du es nicht gerne hören willst, aber es war doch nur eine Frage der Zeit bis deine Mauern einreißen und alles mit einem lauten Knall zu Schutt und Asche zerfällt. Aber wir sind da. Wir drei. Im Grunde noch eine Menge mehr. Aber auf uns drei kannst du dich immer verlassen. Egal worum es geht, für dich würden wir alles tun.", sprach Martin mit einem ernsten Gesichtsausdruck auf mich ein. „Aber... es geht mir... doch gut. Kein Grund... Panik...", keuchte ich und versuchte auf einem Bein zu stehen da mir der linke Knöchel wieder höllisch weh tat. „Deine Psyche muss viel verarbeiten und dabei gibt es kein richtig oder falsch.", stellte Marie klar und stellte sich an meine Seite um mich ebenfalls zu stützen.
„Kalt.", wimmernd drückte ich mich an die Brust meines Vaters und versuchte mir irgendwie zu beruhigen. „Ich hol dir deine Decke.", erklärte Paul und wollte an mir vorbei laufen, aber ich packte ihn am Handgelenk um ihn ebenfalls an mich zu ziehen. „Brauche euch drei.", hauchend sah ich zu Marie, die sich die Tränen aus dem Gesicht wischte und sich dann eng an mich stellte.

Wir blieben solange stehen bis es an der Tür klingelte. „Das ist bestimmt Robert.", flüsterte Marie und ging, wenn auch wiederwillig, die Treppe hinunter um meinem Therapeuten die Tür zu öffnen. „Ich trage dich gleich runter in das Wohnzimmer. Nach deiner Therapiestunde werde ich dich in die Klink fahren.", informierte mich mein Vater und ich löste mich panisch von ihm. „Ich verspreche dir dass ich mit Robert über alles rede. Aber bitte tu mir das nicht an. Lass nicht zu dass sie mich wegsperren. Ich werde reden. Ich werde an mir arbeiten. Ich schwöre dir ich nehme so viel ab bis ihr euch nicht mehr wegen mir schämen müsst, aber bitte bring mich nicht in die Klink.", flehte ich ihn an und sank auf meine Knie.
„Mila ich hab keine Ahnung wovon du sprichst. Ich wollte dich in die Klinik am Südring bringen, damit sie deinen Knöchel noch mal checken. Du hast den Fuß bei deiner versuchten Flucht voll belastet und ich will nicht dass du gesundheitliche Probleme bekommst.", versicherte Martin ruhig und hockte sich ebenfalls hin.
„Ich merke schon, ich komme genau richtig.", murmelnd trat Robert an mich heran und hielt mir ein Taschentuch hin. „Mir... gut.", keuchend sah ich zuerst meinen Vater an und sah dann zu Paul der mich geschockt ansah. „Darüber reden wir gleich. Ich weiß dass sie drei gerne dabei sein wollen, erst recht nach Milas Aussage gerade. Aber ich möchte noch mit ihr allein sprechen. Danach hab ich für Sie alle Zeit.", bat der Therapeut und sah sich unsicher um. „Ich trage Mila in das Wohnzimmer.", wiederholte mein Vater und wollte mich hochheben, aber ich rutschte von ihm weg. „Bin zu schwer.", stellte ich klar und wich auch von Paul zurück. „Mila du bist nicht zu schwer.", widersprach Martin und wollte wieder auf mich zu kommen, als Robert ihm eine Hand auf die Schulter legte. Während er ihm etwas ins Ohr flüsterte krabbelte ich zu der nächsten Wand und stand auf. „Okay Mila, ich hole dir deine Krücken.", gab Martin zähneknirschend klein bei und ging in mein Zimmer wo ich die Krücken neben dem Bett abgelegt hatte.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis ich unten in dem Wohnzimmer angekommen war, was vielleicht daran lag, dass ich mir extra Zeit ließ in der Hoffnung das Robert dann weniger Zeit hatte um mich mit seinen Fragen zu löchern. Der Therapeut machte meine Hoffnung aber zunichte, als er hinter mir die Treppe runter ging, dabei in seiner Gemeinschaftspraxis anrief und die Mitarbeiterin bat all seine Termine des heutigen Tages abzusagen.

„Nach unserem Gespräch in deinem Zimmer, habe ich mir lange Gedanken gemacht, wie ich dir begreiflich machen kann, wie die andern dich sehen. Was ich tun kann, damit du merkst wie getrübt deine Sicht auf dich selber ist.", fing Robert an zu erklären während er auf seinem Tablet herum tippte. „Daher habe ich deinen Freunden einen Besuch abgestattet. Ich habe ihnen nicht gesagt warum ich das, was du gleich siehst, von ihnen wollte, aber scheinbar habe ich ihr Vertrauen gewonnen, sodass sie mich nicht mal nach dem Grund gefragt haben.", fügte der Therapeut und hatte wohl gefunden was er gesucht hatte, denn er sah von seinem Tablet auf.
„Ich möchte dass du dir das gleich die einzelnen Videos ganz ansiehst und dann dazu etwas sagst, wenn du willst.", bat Robert und hielt mir das Tablet hin. Ich nahm ihm das Tablet ab und lehnte mich auf dem Sofa zurück. Als ich auf das Tablet sah, stutze ich, denn Stephan lächelte mir entgegen. „Drücke einfach auf Play wenn du soweit bist.", wies mich Robert an, der mittlerweile sein Notizbuch aus seiner Aktentasche gezogen hatte und sich schon ein paar Sachen notierte.
Ich atmete noch mal tief durch und drückte dann auf das kleine weiße Dreieck das mitten in Stephans Gesicht zu sehen war, so wie es mein Vater bei den Aufzeichnungen der Überwachungskamera getan hatte.

„Ich soll Mila beschreiben? Gott, da haben Sie sich ja was ausgedacht. Paul und ich haben Trouble kennen gelernt als wir auf Fußstreife waren und sie einen Apfel geklaut hatte. Uns beiden war direkt klar, dass sie ihn nur mitgehen lassen hat, weil sie Hunger hatte. Also sind wir ihr hinterher und haben sie ansprechen wollen. Nur ist sie geflohen und hat uns wirklich abgehängt. Das hat uns einige Sprüche der Kollegen eingebracht.", erzählte mein bester Freund und ich öffnete meinen Mund um was zu sagen, aber dann fiel mir die Bitte meines Therapeuten ein.
„Als ich sie dann das zweite Mal getroffen habe, hat sie uns von ihrem nicht existierenden Namen berichtet und seit dem ist sie Trouble für mich. Wobei ich mir wohl bald einen neuen Spitznamen aussuchen. Denn sie macht mir bei weitem keine Probleme mehr, eher im Gegenteil. Sie wird zwar immer frecher aber das mag ich so an ihr. Es gibt aber so vieles das ich an ihr mag.", nun lachte Stephan und ich fing automatisch an zu lächeln.
„Warten Sie, oder meinen Sie ich soll ihr Aussehen beschreiben?", überlegte mein bester Freund laut und ich riss meine Augen auf. „Hör ihm zu Mila.", bat Robert direkt, wohlwissend dass ich das Video am liebsten beendet hätte.

Unter dem Radar: Die Frau mit den Eisblauen AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt