#56

6.1K 477 18
                                    


Vorsichtig sah ich mich um. Niemand zu sehen. Ich nahm zwei Schritte Anlauf und kletterte über den Zaun des offiziell stillgelegten Frachtflughafens im Norden von Veracruz. Insgeheim wurde er jedoch weiterhin von den Kartellen benutzt, um Drogen und Söldner nach Mexiko zu schaffen. Ebenso der Hafen. Emilia und ich hatten uns aufgeteilt. Sorgen um sie machte ich mir keine, sie war stark genug um mit dem meisten fertig zu werden. Geduckt rannte ich auf ein paar niedrige Gebäude zu, dort wurden wohl die Flugzeuge und Autos untergebracht. Ich schmiegte mich in die Schatten und dachte nach. Erst musste ich herausfinden, mit wie vielen Gegner ich zu rechnen hatte. Plötzlich erklang ein Schrei und eine Gestalt flog durch Fenster, schlug mit einem widerlichen Knirschen auf und stand kurz darauf wieder auf den Beinen. Die Fangzähne blitzen leicht im Mondlicht. Ein Vampir. Im selben Moment bildete sich vor ihm roter Rauch und eine kleine Gestalt erschien.
Der Anblick war so absurd, dass ich lediglich auf den Aspekt achtete, dass es sich um einen Dämon handelte. Er verpasste dem Vampir einen Schlag in den Bauch, dann packte er den Hals des Blutsaugers. Was danach geschah konnte ich nicht erkennen, aber im nächsten Moment stand der Dämon da, den Kopf des Vampirs in der Rechten. Er betrachtete ihn einige Sekunden lang, wie in einer Gothic-Version von 'Hamlet'. "Pah.", sagte der Dämon verächtlich. "Selbstgefällige Halsnuckler. So ne große Klappe und so schwach. Ich dachte das würde mehr Spaß machen. Ich wette Äffchen kann sich an den Söldnern richtig austoben." Gelangweilt warf den Dämon den Kopf beiseite, der schon langsam zu schrumpeln begann. Wer war Äffchen? Vermutlich ein weiterer von Balthasars Handlangern. Ich zog meine Pistole und fing an zu schießen. Drei Kugeln trafen den Dämon, der aufbrüllte und sich umdrehte. "In den Rücken? Das ist verdammt hinterfotzig!" "Weil Dämonen ja die Ausgeburt der Ehrlichkeit sind.", erwiderte ich. Der Dämon lachte derb. Jetzt erst konzentrierte ich mich auf das Aussehen des Dämons. Ich hatte in den letzten Wochen ziemlich viel Scheiß gesehen, aber dieser Dämon hatte sich einen Platz in der Top 10 gesichert. Er war so groß wie ich, aber etwas breiter. Seine Haut war tiefrot und ein paar langer Hörner zierten seinen Kopf, knapp einen halben Meter lang und nach hinten gebogen. Der Dämon trug ein schwarzes 'Metallica' Shirt und eine Schlafanzugshose mit Entchen-Muster. Auf Schuhwerk hatte er verzichtet. "Und so hat man dich aus der Hölle gelassen?", fragte ich spöttisch. "Hey, jetzt werd mal nicht frech Junge. Ich kann tragen was ich will." "Lächerlich sieht es trotzdem aus." "Hey! Normalerweise erschrecken sich die Menschen vor mir. Wie heißt du?" Ich richtete die Pistole auf sein Gesicht. "Mein Name ist Nathaniel. Und wieso glaubst du ich sei ein Mensch?" "Mich kannst du Jack nennen. Stimmt. Jetzt wo du es sagst. Du bist etwas anderes. Aber was genau? Warte,", meinte der Dämon und hob die Hände. "Ich hab's gleich. Mir liegt's auf der Zunge. Ich will's selbst erraten. Ich weiß nun mal gerne gegen wen und was ich kämpfe." Langsam spannte ich den Hahn. "Oh, ich glaube hier liegt ein Missverständnis vor. Für lange Kämpfe habe ich keine Zeit. Unser Gespräch war reine Formalität." Jack legte den Kopf schief. Er wollte etwas sagen, wurde aber vom Knall meiner Pistole unterbrochen. Die Kugel traf ihn zwischen in die Brust, bevor der Dämon reagieren konnte. Er machte einen Schritt nach hinten und fiel einfach um. Ich steckte die Pistole weg und stieg vorsichtig durch das Fenster. Rasch klopfte ich mir den Staub vom Mantel und sah mich um. Ich stand in einem Büroraum mit einem Dutzend Computern und mehr als doppelt so vielen Leichen, fast ausschließlich Menschen. Dieser Jack war ja sehr gründlich gewesen. Rasch durchsuchte ich die Schreibtische, dann versuchte ich einen der Computer hochzufahren. Ohne Erfolg. Gerade als ich die Festplatten entfernen wollte brach ein Teil der Mauer ein und ein wütender Jack stieg durch das Loch. "Dass du auf mich schießt ist eine Sache, aber wieso musst Du unbedingt Weihwasser benutzen? Das Zeug juckt wie Sau und ich krieg davon Kopfschmerzen." Mein Gesichtsausdruck musste wirklich amüsant sein, denn der Dämon begann breit zu grinsen. "Ja, ich bin ziemlich schwer zu töten." Ich zückte mein Messer und rannte auf Jack zu. Überraschend behände wich er meinen Attacken aus, bis er schließlich mein Handgelenk zu packen bekam. Seine zweite Hand griff nach meinem Ellenbogen, bevor er mich wie eine Keule schwang. Ich flog durch den Raum und durchschlug die, zugegebenermaßen recht dünne, Wand. Mein Flug wurde recht unsanft gebremst und zwar durch das Heck eines Mini Cooper. Leise stöhnend blieb ich liegen. "Schade, ich dachte der Kleine wäre etwas robuster." Bastard. Ich hörte, wie der Dämon die Schubladen der Schreibtische durchwühlte.
Ich rappelte mich auf und sah mich nach meinem Messer um. Es lag fast zehn Meter entfernt. Egal. "Jack!", rief ich. "War das schon alles?" Ich hörte den Dämon lachen, dann flog er durch das Loch, das ich hinterlassen hatte. In seiner Hand hatte er eine kurze britische Axt. "Du bist nicht der einzige der schwer zu töten ist.", sagte ich, wobei ich einen Fuß nach hinten schob um einen sicheren Stand zu haben. Wieder lachte der Dämon und sagte: "Töten darf ich dich zwar nicht, aber ein wenig kann ich dir ja wehtun." Mit einer blitzschnellen Bewegung schleuderte er seine Axt, nur durch pures Glück gelang es mir auszuweichen. Jack runzelte die Stirn. "Verdammt, das wollte ich nicht. War mehr ein Instinkt." Die Axt löste sich auf, wurde zu rotem Rauch. Der Dämon ließ die Knöchel knacken und kam auf mich zu. "Passiert es dir öfters, dass dich mächtige Dämonen töten wollen?" Ich lachte und umkreiste Jack langsam. "Dämonen, Engel, Anführer von kriminellen Organisationen. Die Liste ist lang." Als ich Engel sagte, schien es bei Jack 'Klick' zu machen. "Du bist ein Nephilim. Ich dachte der alte Mann verfolgt eine strikte 'Keine-Hybriden'-Politik? Das Schicksal hat einen schrägen Sinn für Humor." "Wenn du wüsstest.", erwiderte ich bitter. Dann sprang ich vor. Jacks Kopf war durch die Hörner recht gut geschützt, seine Arme waren länger als meine. Also musste ich verdammt schnell sein. Ich schoss auf ihn zu und donnerte dem Dämon meine Faust ins Gesicht. Jack flog nach hinten und fiel zu Boden. Als er aufstand spuckte er ein paar Zähne auf den Boden. "Nicht übel. Aber nicht genug." So langsam ging er mir auf die Nerven, für sowas hatte ich keine Zeit. Ich konzentrierte mich auf die Magie um mich herum und bündelte sie. Dann hob ich die Hände. Ein hellblauer Blitz schoss auf Jack zu und traf seine Brust. Der Zauber, den Damon damals gegen mich eingesetzt hatte. Überrascht sah der Dämon auf das handtellergroße Loch. Ich rannte auf Jack zu, verpasste ihm einen weiteren Schlag und packte seiner Hörner. Er wehrte sich, war aber durch das Loch in seiner Brust geschwächt. Ich spannte meine Muskeln an und schmetterte Jack gegen den Mini. Dann setzte ich mein Knie zwischen seine Schulterblätter und bog seinen Kopf nach hinten. Plötzlich erklang ein leises Knacken. Im nächsten Moment flog ich nach hinten, Jacks Horn in meiner Hand. Dieser stieß einen langen Fluch aus. Wenn ich mich nicht irrte sprach der Dämon altgälisch. Ich beherrschte nur ein paar Brocken, aber Jack hatte eben etwas über 'Scheiße in Gottes Bart' gesagt. "Du verfluchter..... Ich werde dir alle Knochen brechen! Weißt Du wie lange es dauert bis ein Horn nachwächst?" Der Dämon ballte die Fauste und spreizte die Flügel. Urplötzlich hob er den Kopf. "Ach komm schon Äffchen! Hättest Du nicht noch fünf Minuten warten können? Scheiße. Jungchen, Du hast unverschämtes Glück, ich muss los." Jack schlug mit den Flügeln und flog auf das Loch in der Wand zu. Blitzschnell riss ich den Arm hoch und ein tropfenförmiges Gewicht schoss auf ihn zu, an dem ein Drahtseil aus Silber befestigt war. Das Seil wickelte ich um Jacks Körper und einen seiner Flügel. Überrascht sah er nach hinten. "Wir sind noch nicht fertig!", sagte ich und riss den Arm zurück. Mit einem lauten Krachen stürzte der Dämon zu Boden, ich konnte sehen wie sein Flügel brach. Jack versuchte vergeblich sich zu befreien und funkelte mich an. "Mein Meister verbietet mir zwar Unschuldige zu töten, aber bei dir würde ich eine Ausnahme machen." Er spuckte auf dem Boden, dann grinste er. "Ach ja. Silber funktioniert bei mir nicht so gut." Langsam löste sich Jack auf, wurde zu rotem Rauch, der plötzlich verschwand. Jetzt musste ich auch grinsen. Ich griff in meine Hosentasche, zog mein nagelneues Smartphone heraus und öffnete eine App. Unter der Ausrüstung die Elijah uns gegeben hatte waren auch Peilsender der Organisation gewesen. Extrem stabil und EMP sicher. Auf dem Display des Handys erschien eine Karte von Veracruz, ein roter Punkt markierte Jack's Position. Unwillkürlich fluchte ich. Er war im Hafen. In der Nähe von Emilia. Ich steckte das Handy weg und sprintete los. In Rekordzeit war ich beim Zaun, schwang mich darüber und rannte knapp einen Kilometer, bis zu der kleinen Gasse wo ich den Camaro geparkt hatte. Ich hatte den Wagen fast erreicht, als ich auf etwas ausrutschte und in den rabenschwarzen Schatten eines Hauses fiel. Scheiße, nicht jetzt, ich musste zu Emilia. Dieser eine Gedanke beherrschte meinen Verstand, während ich die Hände ausstreckte um mich abzufangen. Aber statt auf den harten Beton zu fallen, fiel ich weiter. Die Schatten umschlangen mich wie eiskalter Samt. Eine Sekunde lang befand ich mich in absoluter Finsternis, seit dem Erwachen meiner Fähigkeiten war das nicht mehr vorgekommen. Nach einigen Sekunden wurde es plötzlich wieder heller und ich stürzte aus dem Schatten einer großen Mülltonne. Was zur Hölle war passiert? Verwirrt sah ich mich um. Der Mond spiegelte sich im leicht aufgewühlten Meer, rechts von mir konnte ich die Umrisse einer Festung ausmachen, auf der anderen Seite der Bucht. Um mich herum standen die Lagerhäuser der Docks. Ich war im Hafen.

Rogue HeroWo Geschichten leben. Entdecke jetzt