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Fast mühelos durchdrang die Speerspitze den weißen Brustpanzer. Überrascht keuchte Alessia auf, das sich das goldene Metall in ihr Fleisch bohrte. "Wie lange ist ist es her, dass Du geblutet hast?", fragte ich mit einem grausamen Lächeln, dann zog ich die Waffe aus ihrem Körper. Langsam strich ich mit der Spitze über ihre Wange, betrachtete das helle, rote Blut auf der Klinge. Mit einer kurzen Handbewegung zwang ich Alessia zu Boden, die Ketten verhinderten so ziemlich jede Bewegung ihrerseits. Ein grausames Lächeln umspielte meine Lippen als ich ausholte, ihr den Speer kraftvoll in den Bauch stieß und sie somit am Boden festnagelte. Der Engel brüllte auf, wand sich vor Schmerzen. Ich ließ die Waffe stecken, genoss den Duft des Blutes, dann trat ich einige Schritte zurück, wobei mein Blick Emilia streifte. Sie lag reglos am Boden, der Schimmer hatte nachgelassen und ihre Augen waren wieder grün. Sofort stürzte ich auf sie zu, fiel auf die Knie und tastete nach ihrem Puls. Er war schwach, sehr schwach. Ich versuchte einen Heilzauber zu wirken, aber es wirkte nicht. Etwas in mir vermutete, dass die Verletzungen zu schwer waren. Tränen tropften auf den trockenen Friedhofsboden und ich brauchte einen Moment um zu realisieren, dass es meine eigenen waren. Zachaire fiel mir ein, er hatte es vollbracht unsterblich zu werden. Vielleicht konnte er das auch bei Emilia erreichen. Aber ich wusste ja nicht wo er war, vermutlich war es auch zu spät. "Es tut mir leid.", flüsterte ich Mut rauer Stimme. "Der Tod ist grausam.", erklang eine Stimme links von mir. "Zu früh holt er unsere Geliebten. Die Tragödie des menschlichen Daseins." Ich drehte den Kopf und erblickte einen Mann im mittleren Alter, mit rabenschwarzem Haar, der sich an einen Grabstein lehnte. Er trug einen schwarzen Anzug, der trotz der Schlichtheit aussah als wäre er teurer als alles, was ich je besessen hatte. Er strich sich das Haar aus den stahlblauen Augen und kam auf mich zu. Seine Aura traf mich wie ein Schlag, die Luft um uns herum schien vor Macht zu vibrieren, selbst die Geräusche der Natur waren verstummt. "Sie liegt im Sterben.", sagte der Mann. "Weist Du, Du könntest sie retten." Das Licht des Mondes fiel auf sein Gesicht. Er wirkte nicht älter als 45, aber seine Augen zeugten von dem Leid und den Erfahrungen aus Jahrtausenden. "Aber du bist nicht in der Lage dein volles Potential zu nutzen." Natürlich. Wie hätte es anders sein können. Wieder war meine Schwäche der Grund. "Wer bist Du? Und was willst Du?", fragte ich mit zitternder Stimme. Der Unbekannte beugte sich vor, betrachtete Emilia. "Sie ist hübsch. Ihr Vater wäre stolz auf sie." Dann legte er ihr sachte zwei Finger auf die Stirn. Ein Beben lief durch Emilia Körper, schlagartig riss sie die Augen auf. Als sie mich erblickte lächelte sie kurz, dann fielen ihre Lider wieder zu. "Was hast Du getan?", fragte ich gefährlich leise. "Ich habe sie nur geheilt, keine Sorge. Sie schläft, ihr Geist benötigt mehr Zeit zum Heilen als ihr Körper." Er ging rüber zu Alessia und betrachtete sie neugierig. "Nicht schlecht, Du hast einen Engel besiegt. Gut, die meisten sind arrogante Pfeifen. Du siehst aus wie eine Untergebene von Raguel.", wandte er sich an den Engel, wobei er den Speer musterte der sie am Boden festhielt. "Viel gelernt hast du anscheinend nicht. Mein Bruder informiert sich wenigstens vorher über seine Feinde, er hätte nicht den Fehler gemacht Nathaniels Freunde anzugreifen." Kopfschüttelnd drehte er sich zu mir um. "Lass uns ein Stück gehen." Sanft bette ich Emilias Kopf auf den Boden und erhob mich, wobei ich meine Flügel vorsichtig zusammen faltete. Kaum lagen sie an, verschwanden sie einfach. Praktisch. Auf Dauer hätten die Flügel meine Garderobe wohl entscheidend beeinflusst. Aber soweit ich spürte, hatten sie meine Kleidung nicht beschädigt. Zum Glück, inzwischen hing ich doch sehr an dem Mantel. Vorsichtig ging ich auf den Unbekannten zu, jederzeit bereit meinen Speer zu rufen, auch wenn mir klar war, dass ich in einem Kampf chancenlos wäre, selbst mit meinen neuen Fähigkeiten. "Wieso hast du Emilia geheilt? Und wer zur Hölle bist du?", fragte ich. Der Mann lachte, zündete sich eine Zigarette mit silbrigem Filter an und sagte: "Das war ein Gefallen, es ist an keinerlei Verpflichtungen gebunden. Vielleicht als Wiedergutmachung oder Geschenk, immerhin war ich bei keinem deiner Geburtstage da." Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf, eine Ahnung um wen es sich handelte. Bruder des Erzengel Raguel, diese Aura, die alles in den Schatten stellte was ich je gesehen hatte. Aber ich musste es aus seinem Mund hören. "Wer bist Du?", fragte ich. Der Unbekannte schüttelte den Kopf. "Du legst zu großen Wert auf Namen. Aber gut, wie du willst. Er nahm einen Zug seiner Zigarette und im Schein der glühenden Spitze erkannte ich, dass seine Augen tiefschwarz geworden waren. Gleichzeitig entfaltete er ein gewaltiges paar schwarzer Schwingen. "Ich bin der erste meiner Art.", sagte er. "Einst nannte man mich Lichtbringer, ich war der Liebling meines Schöpfers. Ich bin der Ursprung der Sünde, wurde für meinen Stolz verachtet. Mein Name ist Luzifer Morgenstern."

Rogue HeroWo Geschichten leben. Entdecke jetzt