#139

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Angewidert zog ich meinen Speer aus dem Leichnam der Riesenspinne. Wir waren gut zwei Stunden durch dunkle Tunnel gestapft, verstaubt und scheinbar uralt. Nach wenigen Minuten hatten wir die Orientierung verloren, nur Joe lief zielsicher weiter und wies uns den Weg. Wir waren auf tiefe Krallenspuren gestoßen, scheinbar von einer verdammt großen Bestie, aber Joe hatte nur gemeint, wir müssten uns keine Sorgen machen. Als der Ausgang laut Joe nur noch eine Viertelstunde entfernt war, hatten uns zehn Spinnen angegriffen. Vor über einem Jahr hatte ich mal was mit einer Spinnenphobikerin gehabt und hatte ihre extreme Reaktion auf die Tiere nie ganz verstehen können, aber bei diesen Viechern lief sogar mir ein Schauer über den Rücken. So groß wie ein Kleinwagen, mit rasiermesserscharfen Zangen und acht unheimlichen, kleinen Augen, die glänzten wie schwarze Knöpfe. Und für ihre Größe waren sie verdammt flink gewesen. "Alles klar bei euch?", fragte ich die anderen. "Jep!", kam es von Jack, der über dem zerhackten Leichnam zweier Spinnen stand und mir mit seiner Axt zuwinkte. "Alles in Ordnung.", sagte Emilia, steckte ihr Messer weg und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Im Kampf hatte sie sich gänzlich anders verhalten als sonst. Normalerweise blieb sie ernst und tötete ihren Gegner schnell und gnadenlos. Da ich Nemira gebeten hatte Joe zu beschützen, hatte ich zwar alle Hände voll zu tun gehabt, um die restlichen sechs Spinnen zu töten, aber aus dem Augenwinkel hatte ich immer wieder einen Blick auf Emilia erhascht. Sie hatte sich verdammt schnell bewegt, grazil und elegant und den Spinnen jeweils dutzende kleine Schnitte zugefügt oder ihnen sogar Beine abgehackt, ehe sie ihnen den finalen Stoß verpasst hatte. Außerdem schien sie es zu genießen. Der Einfluss ihrer dämonischen Seite. Ich ließ meinen Speer verschwinden und bemerkte erst jetzt, das Joe mich die ganze Zeit lang aufmerksam beobachtet hatte. Wir steckten unsere Waffen wieder weg und setzten unseren Weg fort. Und tatsächlich, nach einer Viertelstunde gelangten wir an ein kleines Tor, gerade groß genug für Nemira, verziert mit einem großen Mosaik. Bei näherer Betrachtung sah es aus wie das Abbild eines Engels mit sechs schwarzen Flügeln, der zu fallen schien. War das etwa Luzifer? Ohne zu zögern drückte Joe zwei Steinchen und das Tor glitt lautlos beiseite. Der Succubus trat hindurch, sah sich kurz um und gab uns schließlich ein Zeichen, ihr zu folgen. Kaum waren wir alle durch, schloss sich das Tor wieder und ich sah mich ebenfalls um. Wir standen hinter der riesigen Statue eines Dämonen, in Rüstung und mit gezogenem Schwert. Sie war wundervoll gearbeitet, sehr detailliert und mehr als dreißig Meter hoch. "Ist das Fürst Baal?", fragte Jack überrascht. "Ja.", erwiderte Joe, die ihr Kleid richtete und die Schulter straffte. "Und wenn wir um sie herumgehen, stehen wir praktisch vor dem Eingang zu seinem Palast. Wieder ging Joe voraus und wir liefen hinterher, diesmal bildeten Jack und Nemi die Nachhut als wir auf einen breiten Weg traten. Das Geräusch, dass meine Stiefel machten, erschien mir irgendwie komisch und als ich nach unten sah, dachte ich erst, es handele sich um Kies. Aber die Farbe stimmte nicht, die fingerkuppengroßen Kügelchen waren eher gelblich, fast wie... "Knochen.", sagte Joe ohne sich umzudrehen. "Diese Kügelchen wurden aus den Knochen von Baals Feinden gepresst. Und zwar nur von jenen Feinden, die er mit eigener Hand getötet hat." Überrascht betrachtete ich den Weg genauer und sah nach hinten. Der Weg war mindestens zwölf Meter breit und hunderte Meter lang. Die grauen Bäume und die gewaltigen Statuen ließen ihn fast wie eine Allee wirken. Ich sah wieder nach vorne, um zu sehen wie lang der Weg noch war, überlegte wieviele Dämonen und Menschen Baal wohl getötet hatte um eine solche Menge zu kriegen, als ich den Palast erblickte. Wobei Palast das falsche Wort war, vielmehr handelte es sich um eine gewaltige Festung aus rotem Stein, mit einem gewaltigen Tor aus schwarzem Stahl. Davor standen ein halbes Dutzend Dämonen, um die vier Meter groß und in schwere Rüstungen gehüllt. In ihren Händen hielten sie Äxte, grobe Zweihänder und Hellebarden. Die mit den Hellebarden traten vor und kreuzten ihre Waffen. Eine eher symbolische Geste, im Grunde hätten wir ohne Probleme darunter durch laufen können, allerdings war ich mir sehr sicher, dass das in einem Kampf enden würde. Natürlich hätte ich sie besiegen können, aber nicht ohne meine Kräfte zu entfesseln. Aber das war gar nicht nötig, denn Joe blieb stehen, legte den Kopf in den Nacken und stützte ihre Hände in die Hüfte. "Ist das euer Ernst?", fragte sie empört. "Lasst mich sofort durch!" Der rechte Dämon festigte den Griff um seine Waffe und sagte: "Niemand darf eintreten ohne die ausdrückliche Erlaubnis von Fürst Baal!" Joe schnippte mit den Fingern und schlagartig veränderte sich ihr Aussehen. Ledrige Flügel brachen aus ihrem Rücken und zwei große, schwarze Hörner sprossen aus ihrer Stirn. Hatte ich sie vorhin noch in Gedanken mit Lilith verglichen, verwarf ich das sofort wieder. Vom Aussehen her ähnelte Joe ihr zwar, aber ihre Aura war um ein vielfaches mächtiger, übertraf die von Jack und selbst die Emilias. "Ihr verdammten Idioten!", knurrte sie leise, aber doch laut genug, dass jeder der Wächter sie klar und deutlich verstand. "Habt ihr keine Ahnung wer ich bin? Ich bin Josephine, Erstgeborene von Baal und Erbin des blutigen Thrones! Und jetzt tretet beiseite, ehe ich euch eigenhändig den Arsch aufreiße!" Einer der Dämonen drehte sich um gab ein Zeichen, woraufhin das Tor anfing sich zu öffnen. Dann sank er gemeinsam mit den anderen auf ein Knie. "Vergebt uns.", sagte der Vorderste demütig. "Wir haben Euch nicht erkannt." Joe winkte ab. "Schon gut. Aber wenn mir nochmal der Zutritt zum Palast meines Vaters versagt wird, mache ich euch persönlich dafür verantwortlich." Sie grinste uns breit zu und nahm wieder ihre vorherige Gestalt an. "Na los.", sagte sie. "Wir sollten nicht trödeln." Wir setzten uns in Bewegung, wobei Nemira die Dämonen kurz anknurrte und traten durch das gewaltige Tor in den Palast von Baal, dem General der höllischen Armee und Fürst des Nordens.

Rogue HeroWo Geschichten leben. Entdecke jetzt