Seite an Seite und mit erhobenen Waffen traten Leonie und ich in den Raum am Ende der Treppe, ließen unsere Schwerter ein paar Zentimeter sinken, als es sahen. Das Zepter, gut fünfzig Meter von uns entfernt. Es steckte in einer Art Altar aus dunklem Marmor und tauchte den Raum in ein sanftes, goldenes Licht. Der Stab des Zepters schien aus Gold zu bestehen, auf der Spitze saß ein großes, rotes Juwel. Erst als wir näher gingen, nahm ich mir einen Moment, um mich umzusehen. So wie es aussah, befanden wir uns in einer Art leer stehender Folterkammer, lange Ketten hingen von der Decke, hier und da standen Foltergeräte herum. Unter anderem erkannte ich eine Streckbank, einen Tisch voller Daumenschrauben und Messer, zum verstümmeln und häuten und eine eiserne Jungfrau. Am Boden und an den Wänden klebte Spuren getrockneten Blutes, aber ich entdeckte keine, die frischer waren als ein paar Tage, eigentlich ein gutes Zeichen. Ich vermutete, dass all jene hier runter gebracht wurden, die gegen die Regeln des Berghain verstießen. Und den Blutspritzern nach, die sich teilweise in einigen Metern Höhe befanden, verließen nur die wenigsten diesen Raum lebend. Wir hatten mehr als die Hälfte der Strecke zurück gelegt, als ich etwas spürte, in dem Büro in dem wir noch kurz zuvor gewesen war. Ich ließ mein Schwert verschwinden, bedeutete Leonie das selbe zu tun und schnappte mir ein langes, schlankes Messer von einem Tisch. Auch Leonie schnappte sich eins und wir gingen hinter dem Tisch in Deckung. Schritte erklangen, jemand kam die Treppe runter. Ich wägte kurz ab, ob die Zeit reichte um zum Zepter zu sprinten, als drei Männer in die Folterkammer traten, zwei davon mit schweren Knüppeln bewaffnet. Der linke hatte ein verschlagenes Gesicht und war bestimmt einen halben Kopf kleiner als ich, aber sein Körper war von wulstigen Narben überzogen und sein Gang war der eines Mannes, der nur so zum Spaß Kneipenachlägereien anzettelte und für gewöhnlich gewann. Sein Kumpane, der das gleiche schwarze T-Shirt mit der Aufschrift "Security" trug, war ein wahrer Hüne. Mindestens 1.95 groß, breite Schultern und Muskelberge. Er hatte ein Babyface mit einem so dümmlichen Grinsen, dass ich ihn insgeheim 17 taufte, was vermutlich seinem IQ entsprach. Als 17 stehenblieb, sah ich den dritten Mann genauer an. Als dem Augenwinkel sah ich Leonie erst Grinsen, dann die Stirn runzeln. Ich verstand ihre Reaktion, mir ging es ähnlich. Ich spürte eine gewisse Macht, die von ihm ausging, wahrscheinlich war er ein recht starker Magier, aber sein Aussehen verhinderte, dass ich ihn auch nur ansatzweise ernst nehmen konnte. Er war etwa so groß wie ich, aber spindeldürr und mit einem mitleiderregenden Dreitagebart. Er trug etwas, dass verdächtig nach Plateaustiefeln aussah, eine Kunstlederhose und ein rotes Holzfällerhemd. Darüber einen Ledermantel mit silbernen Schnallen. "Ich weiß, dass ihr hier seit. Ich kann euch spüren.", sagte der Hipster-Goth und zeigte auf den Tisch, der beiseite flog und mit einem lauten Krachen an der Wand zerschellte. Leonie und ich standen auf, während der Magier mit wehendem Mantel auf uns zukam. Ich wich zurück, wobei ich Leonie mit mir zog, bis wir neben der eisernen Jungfrau standen. "Wer seit ihr? Hat euch niemand gesagt, dass es eine miese Idee ist, gegen meine Regeln zu verstoßen?" Um den Hals des Hipster-Goth hingen schwarze Erkennungsmarken, also mehr Schmuck als sonst irgendwas, aber in beide Blechstücke war ein Name gestanzt. Magnus. Leonie war hinter mich getreten und ich sah den Typen an. "Hat dir jemand gesagt, dass dein Kleidungsstil einfach lächerlich ist?", fragte ich, wobei ich frech grinste und gleichzeitig mit meinen Engelsinne tastete. Ich sah die braunen Augen des Mannes, die verschiedenfarbigen Punkte auf der Iris und spürte die Präsenz einiger Wesen, tief in seinem Inneren. Er war ein Hexenmeister, ein Magier, der Geister beschwor um seine Macht zu stärken. So jemand war Haytham gewesen, doch der Hexer war um ein vielfaches stärker, Magnus hatte wohl nur schwächere Geister beschworen und versklavt. "Jetzt mal ernsthaft.", fuhr ich fort, während der Hexenmeister näher trat und seine Hand hob. "Du trägst schwarzen Lippenstift und Lidschatten. Und… du willst mich doch verarschen, oder? Ist da tatsächlich Glitzerstaub in deinem Lidschatten? Du solltest nächstes mal etwas dezenter auftreten, sonst wird das nichts mit der Miss Waikiki-Wahl. "
Über Magnus' Schulter hinweg sah ich, dass seine beiden Leibwächter sich an der Tür postiert hatten und uns beobachteten, wobei es 17 zustande brachte noch eine Spur dümmlicher zu grinsen. Vielleicht hatten sie das ja schon öfter beobachtet, aber eins stand fest: Der Hexenmeister hatte nicht den Hauch einer Ahnung was wir waren. "Eigentlich ist es egal, warum ihr hier seit.", sagte er. "Es reicht das ihr hier eingedrungen seit. Ich habe keine andere Wahl, als euch zu töten." Magnus hob seine linke Hand und kleine Flammen tanzten über seine Fingerspitzen. Idiot. Jeder, der auch nur in der Lage war ansatzweise logisch zu denken, hätte versucht herauszufinden was wir hier wollten, ob wir alleine waren und ob wir eventuell stärker waren, als es schien. Aber Magnus schien nicht gerade die hellste Kerze auf der Torte zu sein. Als er die Flammen zu einer Kugel aus Feuer formte, kam mir eine Idee. Ich drehte den Kopf, zwinkerte Leonie kurz zu und drehte mich wieder um, wobei ich das Messer fallen ließ. "Los!", schrie ich den Hexenmeister an. "Tu es!" Ich bereite mich vor, ließ das Feuer in mir auflodern und als Magnus den Feuerball nach mir schleuderte, ging ich in Flammen auf, während meine Siegel seinen Angriff absorbierten. Ich schrie auf, als würde ich tatsächlich bei lebendigem Leib verbrennen und ließ mich fallen. Ein paar Sekunden lang lag ich auf dem kalten Betonboden und wälzte mich herum. Klar, es war übertrieben, aber bei all der Scheiße, die momentan passierte, musste ich auch irgendeinen Spaß am Leben haben. Der Hexenmeister wich zurück, überrascht, dass ich nicht mal versucht hatte auszuweichen und dass sein Zauber besser zu wirken schien, als er gedacht hatte. Dann trat ein siegessicheres Grinsen in sein Gesicht, zumindest bis die Flammen erstarben, ich aufsprang und seinen Kopf mit sanfter Gewalt gegen die eiserne Jungfrau donnerte, gerade stark genug, dass es ordentlich weh tat. Er stürzte zu Boden, aber noch im Fallen streckte er die Hand aus, diesmal auf Leonie gerichtet. Blitzschnell rammte ich ihm ein Messer in die Hand und brach ihm ein paar Finger an der anderen Hand. Magnus schrie schmerzerfüllt auf, aber zu meinem Erstaunen schaffte er es noch ein paar Worte rauszubringen. "Tötet sie!", kreischte der Hexenmeister und die beiden Männer an der Tür setzten sich in Bewegung. "Reiß ihn die Eingeweide raus, Tak!" Das war wohl an den Kleineren der beiden gerichtet, der nun einen Zahn zulegte. "Pass auf den Trottel auf!", rief ich Leonie zu und lief auf Tak und 17 zu. Die beiden bremsten ein wenig ab, offenbar waren sie es nicht gewohnt, dass man auf sie zu-, statt vor ihnen wegrannte. Aber ich musste sie verwirren und in Schach halten, Leonie musste sich schließlich um Magnus kümmern. Und wenn ich schon dabei war, konnte ich die beiden auch gleich ein wenig provozieren. "Hey", sagte ich mit einem breiten Grinsen zu 17. "Du siehst aus, als würdest du es gerne mal mit einem Schaf treiben, aber vermutlich sind sie zu clever um sich von dir fangen zu lassen." Während der Hüne noch dabei war meine Worte zu verarbeiten, wandte ich mich an Tak. "Du scheinst auch nicht besonders clever zu sein, aber ich wette, DU könntest das Schaf überlisten." Tak schien tatsächlich etwas klüger zu sein, denn statt den sieben Sekunden die 17 benötigt hatte und somit seinem Spitznamen mehr als gerecht wurde, brauchte Tak nur zwei, so dass nun beide auf mich zustürmten. 17 war etwas langsamer, weshalb Tak als erster bei mir war und seinen Totschläger mit aller Kraft schwang. Ich machte einen Schritt auf mich, packte sein Handgelenk und seinen Gürtel und warf den hässlichen Wichser gegen die Wand, wo er zusammensackte. Dann wirbelte ich herum und rammte 17, der inzwischen direkt hinter mir stand, meine geballte Faust gegen den Solarplexus. Er grunzte und ging zu Boden, meiner Einschätzung nach mit gebrochenen Rippen und inneren Blutungen. Ich wollte mich schon umdrehen, als sowohl 17 als auch Tak knurrten. Ihre Haut bekam Risse, gleichzeitig wuchsen sie und veränderte sich. Ein Tarnzauber, den ich durch meine Berührung gelöst hatte. "Ruf sie zurück!", rief ich Magnus zu, der am Boden kauerte und seine Hand an die Brust drückte, während Leonie ihm ein Messer an die Kehle presste. "Hier muss niemand sterben, alles was wir wollen ist das Zepter!" Der Hexenmeister spuckte aus, wobei ein abgebrochener Zahn in Richtung meines Stiefels flog. "Bringt mir sein Herz!", befahl er seinen Leibwächtern. Leonie holte aus auf trat ihm gegen die Schläfe und sagte: "Kümmer dich um die beiden, es kann nicht lange dauern, bis Verstärkung kommt." Inzwischen war die Verwandlung von Tak und 17 abgeschlossen. Vor mir standen zwei Kreaturen, die größere, 17, war fast drei Meter groß und hatte die Statur eine Gorillas mit wildschweinartigen Hauern. Trolle. Zu sagen sie seien hässlich, war als würde man sagen, Scheiße schmecke nicht sonderlich gut. Keine Lüge, aber es vermittelte auch nicht die ganze Wahrheit. Ihr ganzer Körper war bedeckt von langen, verfilzten Haaren und ihre langen Arme endeten in gewaltigen Pranken mit ausfahrbaren Krallen. Soweit ich wusste, waren Trolle für gewöhnlich Einzelgänger und nahezu ausgestorben, was an der Tatsache lag, dass sie mehr als nur unterdurchschnittlich intelligent waren und früher die Angewohnheit gehabt hatten, in einem Fressanfall ganze Karawanen und kleinere Dörfer auszulöschen. Sie waren gute Jäger, hatten einen guten Geruchssinn und noch bessere Augen, die sich in all den Jahrhunderten unter der Erde entwickelt hatten. Außerdem war ihr Schädel dick genug, um Schüssen aus Kleinkaliberwaffen standzuhalten. Ich grinste breit und beschwor meinen Panzerhandschuh. Das konnte ja lustig werden. Tak griff als erstes an, versuchte mich mit seinen rasiermesserscharfen Krallen zu erwischen, doch ich wich mühelos aus und landete einen Treffer gegen sein Knie. Der Troll brüllte auf und biss nach mir, aber da sprintete ich schon auf 17 zu. Ich wich seinen gewaltigen Pranken aus, rannte weiter und versuchte seinen beeindruckenden Mundgeruch zu ignorieren. Ich warf mich hin, rutschte zwischen seinen Beinen durch und kämpfte gegen den Reflex an nach oben zu sehen. Auf eine Skala von eins bis zehn für Anblicke auf die ich dankend verzichten konnte, war das Gemächt eines Trolls mindestens eine zwölf. Hinter 17 schnellte ich wieder hoch, wobei ich darauf achtete außerhalb seiner Reichweite zu sein. "Umdrehen und Augen zu!", rief ich Leonie zu, konzentriere mich und hob meine Hand. "Fiat lux!", knurrte ich und kniff die Augen zu. Plötzlich wurde der gesamte Raum von einem blenden weißen Licht erleuchtet. Die Worte wären nicht nötig gewesen, aber ich betrachtete sie einfach als dramaturgisches Mittel. Als ich die Augen wieder öffnete, war das Licht erloschen und beide Trolle lagen ohnmächtig am Boden. Nahezu perfekte Jäger, die man aber mit einem Flutlicht ausschalten könnte. Lächerlich. Ich sah zu Leonie, die blinzelte und versuchte ihre Augen wieder an das Halbdunkel der Folterkammer zu gewöhnen. Zu ihren Füßen lag Magnus, ebenfalls ohnmächtig und mit gebrochener Nase. "Er wollte fliehen.", meinte Leonie entschuldigend, als ich sie mit hochgezogener Augenbraue musterte. Dann warf ich einen Blick auf die vielen Ketten, die im Raum verteilt hingen und lagen. "Könntest du die drei fesseln?", fragte ich, ließ meinen Panzerhandschuh wieder verschwinden und ging auf den Altar zu. "Ich schnappte mir schnell das Zepter, dann hauen wir ab." Ich hörte noch wie die Wirtin begann Ketten einzusammeln, aber ich war völlig gebannt vom Anblick des Zepters. Der Stab schien etwa sechzig Zentimeter lang zu sein, aus massivem Gold, dass mit Runen überzogen war. Auf der Spitze des Zepters standen drei grob geschmiedete Engel mit halb ausgebreiteten Flügeln, die eine Fassung bildeten für den faustgroßen Rubin, der genau in der Mitte saß. Der Edelstein war blutrot und schien zu pulsieren wie ein schlagendes Herz. Schließlich stand ich direkt davor, spürte die Macht, die das Artefakt ausstrahlte, so intensiv wie die Strahlen der Sonne an einem heißen Sommertag. Vorsichtig steckte ich meine Hand aus. Ich zögerte für den Bruchteil einer Sekunde, dann packte ich den Stab und ein greller Lichtblitz explodierte hinter meinen Augen.
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Rogue Hero
Fantasy"Jedes Land hat so seine Legenden. In jedem Landstrich hatten die einfachen Leute vor etwas anderem Angst. So entstanden Märchen und Legenden über die verschiedensten Wesen. Vampire, Werwölfe, Elfen, Riesen, Kobolde und so weiter. Du kennst diese Ge...