Vorsichtig hob ich Emilias Kopf an und zog meinen Arm unter ihr hervor. Die Cambion gab keinen Mucks von sich, vermutlich könnte ich Kanonen abfeuern und sie würde selig weiter schlummern. Beim Aufstehen zog ich die Decke ein wenig beiseite und ich nahm mir ein paar Sekunden Zeit um Emilias nackten Körper verträumt zu betrachten, ehe ich meine Klamotten zusammen suchte. Wir waren erst am späten Nachmittag in Houston eingetroffen und hatten uns erst mal eine Unterkunft gesucht. Die Fahrt hatte fast zwanzig Stunden gedauert und auch wenn Emilia mich nach gut 14 Stunden abgelöst hatte, war ich ziemlich am Ende gewesen. Aber kurz vor Houston hatte ich etwa drei Stunden geschlafen und zwei Kaffee getrunken, seitdem war ich wieder hellwach. Dennoch hatte Emilia mich dazu überredet ins Bett zu kommen und war nun eingeschlafen, nach ein paar anstrengenden Stunden, in denen wir ein hübsches Chaos im Zimmer veranstaltet hatten. Ich legte meine Holster an, schob Gladys&Betsy hinein und schlüpfte in meinen Mantel. Wieder kam mir der Gedanke, dass ich Emilia wecken sollte, den ich aber wie die letzten sieben Male verwarf. Sie würde nur versuchen es mir auszureden, aber dazu hatte ich keine Zeit. Bei unseren Stopps hatte ich mir einen Überblick über unser Team verschafft. Perry hätte exakt fünfzig Leute rekrutieren, die Hälfte davon waren Vampire, größtenteils junge, die erst vor höchstens zwei Jahrzehnten verwandelt worden waren. Von all den Magiern hatten sich nur acht gemeldet, unter anderem Taio und zwei Telekinetiker, der Rest unserer Gruppe bestand aus verschiedenen Theriantropen. Wie Perry versprochen hatte, waren nur jene dabei, die ihre Verwandlung auch willentlich herbeiführen konnten, teilweise beschränkte sich das aber auf ein oder zwei Körperteile. Dennoch war es praktisch und könnte den Feind überraschen. Auch meine Freunde waren stark, Jack war ein Dämon und Emilia war als Cambion sowieso stärker als jeder sterbliche Magier. Und ich spielte eh in einer ganz anderen Liga. Allerdings taten das auch Leviathan, Balthasar und deren Hauptmänner und ich konnte es nicht mit allen gleichzeitig aufnehmen, dazu war das Gebiet einfach zu groß. Egal wie ich es drehte und wendete, wir waren zu wenige und nicht stark genug, trotz den vielen Waffen und der geweihten Muntion. Also musste ich jemanden um Hilfe bitten, dem ich eigentlich nie wieder über den Weg laufen wollte. Ein letztes Mal vergewisserte ich mich, dass die Tür zu unserem Zimmer abgeschlossen war und strich Emilia eine Haarsträhne aus dem Gesicht, dann trat ich in die Schatten und verschwand.
Als ich in einer kleinen Seitengasse auftauchte, musste ich mich kurz orientieren und kniff die Augen zusammen. Klar, hier war es zwei Stunden früher als in Houston. Ich seufzte und blinzelte ein paar mal, um meine Augen an die Helligkeit zu gewöhnen, während ich mir eine Zigarette anzündete. Es gab doch nichts entspannenderes als die Kippe danach. Mit zielstrebigen Schritten trat ich aus der Gasse, überquerte die vor Autos überquellende Straße und betrat das pompöse Casino, in dem ich erst wenige Wochen zuvor gewesen war. Der Geruch von Schweiß, schalem Bier und Zigarettenrauch schlug mir entgegen, gepaart mit dem Geruch von Reinigunsmittel und Lufterfrischern. Während meine Schritte mich in den hinteren Bereich des Casinos trugen, sah ich mich aufmerksam um. Den Blutfleck, den ich bei meinem ersten Tod hinterlassen hatte, war nicht mehr zu sehen, anscheinend war der Teppich komplett ausgetauscht worden. Ich brauchte nicht lange, bis ich den Mann im weißen Anzug entdeckt hatte, der wie beim letzten Mal am Roulette-Tisch stand. Er musste meine Anwesenheit spüren, immerhin machte ich auch keinerlei Anstalten meine Aura zu verschleiern. Als ich nur noch wenige Schritte von ihm entfernt war, drehte er sich um und seine Augen weiteten sich vor Überraschung und ein Ausdruck grenzenlosen Hasses trat in sein Gesicht. "Halbblut.", knurrte Raguel und streckte die Hand aus, in der sein Schwert aus reinem, heiligen Licht erschien. Gleichzeitig stoppte die Zeit um uns herum und der Engel richtete seine Waffe auf meine Kehle. "Wie ist das möglich? Ich habe dich getötet! Keine Kreatur hat es je überlebt von meiner Klinge durchbohrt zu werden!" Abwehrend hob ich die Hände. "Hey, es gibt für alles ein erstes Mal. Als du aus mir einen Schaschlik-Spieß gemacht hast, hat sich rausgestellt, dass ich unsterblich bin. Um genau zu sein, unsterblich war, die Unsterblichkeit bin ich inzwischen losgeworden, wäre ja langweilig gewesen." "Dann werde ich dich nun eben endgültig auslöschen.", sagte der Erzengel und packte den Schwertgriff mit beiden Händen. Ich verkniff mir ein entnervtes Seufzen, immerhin war ich nicht hier um zu kämpfen. "Ja, das könntest du versuchen. Allerdings sollte ich dich darauf hinweisen, dass ich mittlerweile ein wenig stärker bin und auch noch die Heilige Lanze besitze, auch wenn sie jetzt ein Schwert ist." Raguel ließ die Schwertspitze ein wenig sinken und sah mich ungläubig an. "Du… Was? Wie hast du dieses heilige Artefakt in die Finger bekommen?" Ich zückte mit den Schultern und erwiderte: "Gefunden, geklaut. Das übliche eben. Glaub mir, für mich war das alles auch nicht besonders leicht zu verdauen. Und Tod ist auch nicht unbedingt die fröhlichste Typ. Der Punkt ist, dass du mich zwar angreifen könntest, aber selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass du mich tötest, würde ich dich schwer verletzen und dir würde die nötige Kraft fehlen um das Ende der Welt zu verhindern. Weswegen ich übrigens hier bin." Raguel ließ die Waffe nun vollends sinken und runzelte die Stirn. "Das Ende der Welt? Wovon bei allen sieben Chören redest du da?" Meine Fresse, die Engel schienen ja wirklich hinter dem Mond zu leben. Ich atmete tief ein und erklärte mit ruhiger Stimme: "Leviathan bereitet sich auf einen Krieg vor und…" "Unmöglich!", blaffte Raguel. "Dafür müsste sie die Tore zur Hölle öffnen." Wieder atmete ich tief ein, schloss die Augen und zählte bis zehn. "Genau das hat sie vor.", fuhr ich fort. "Sie sammelt ihre Truppen, Balthasar unterstützt sie. An Halloween wird sie die Tore öffnen und ihre Armee auf die Erde holen. Wenn sie das getan hat, wird der Himmel darauf reagieren müssen und die Welt wird in Krieg und Chaos versinken. Und das will ich verhindern." Raguel funkelte mich an, ließ das Schwert aber nicht sinken. "Wenn das eine List sein soll, bist du törichter als ich dachte. Leviathan ist es unmöglich die Tore zu öffnen, sie kann die Hölle nicht mal verlassen." Ich rollte mit den Augen, tastete nach meinen Zigaretten und schnappte mir den Kaffeebecher eines beleibten Mannes, der wie alle anderen in der Zeit eingefroren war. "Wäre das eine List, hätte ich sofort angegriffen. Überprüf es, ich sage die Wahrheit. Danach reden wir weiter." Der Erzengel sah mich argwöhnisch an und ich spürte, wie er nach mir tastete, meine Emotionen las. Spürte, wie er einen Blick in mein Innerstes warf. Schließlich nickte er, ließ sein Schwert verschwinden und schnippte mit den Fingern. Die Zeit lief weiter und ich drehte mich leicht, damit dem Mann neben mir nicht auffiel, dass ich seinen Kaffee hatte. Verwirrt sah er in seine leere Hand, blickte sich kurz um und ging dann weiter, während er leise fluchte. "Also gut.", sagte Raguel. "Ich glaube dir vorerst." Ich zwang mich zu einem Lächeln, auch wenn ich dem Engel lieber seine perfekte, ariergleiche Fresse poliert hätte. "Geht doch. Und jetzt sollten wir reden. Du erwähntest, dass Leviathan die Tore unmöglich öffnen kann. Wieso?" Das Schwert Gottes sah sich kurz um, dann nickte er in Richtung eines kleinen Tisches, in einer Ecke des Casinos. "Am liebsten würde ich dich sofort aufschlitzen und dir das Herz aus der Brust reißen, aber vermutlich würde dich selbst das nicht mehr töten.", sagte er, während wir uns setzten. "Ich muss zugeben, ich habe dich unterschätzt. Du bist mit Abstand der widerstandsfähigste Abschaum, den ich je getroffen habe, dennoch solltest du nicht vergessen, dass ich erschaffen wurde um Wesen wie dich zu vernichten." Ich trank einen großen Schluck Kaffee und unterdrückte das Verlangen, ihm den Inhalt des Bechers über den strahlend weißen zu schütten. "Ich habe nicht viel Zeit, also: Wieso kann Leviathan die Tore nicht öffnen?" Der Erzengel machte eine kurze Handbewegung und ein hohes, kristallenes Kristallglas erschien, bis zum Rand mit tiefrotem Wein. "Sie bräuchte den Schlüssel, und den wird sie niemals in die Finger bekommen." "Es gibt einen Schlüssel?", fragte ich und zündete mir eine Zigarette an. "Natürlich gibt es einen Schlüssel, Bastard.", antwortete Raguel in einem Ton, als wäre ich ein Kleinkind. "Der Herr hat die Hölle versiegelt, selbst jetzt, wo die Grenzen geschwächt sind, ist es unmöglich eine Armee auf die Erde zu führen, ohne die Tore zu öffnen. Dieser Schlüssel ist eines der bestgehüteten Geheimnisse des Himmels, nur eine Handvoll Engel weiß von seiner Existenz und sogar noch weniger Dämonen. Er ist gut versteckt, Leviathan wird ihn niemals in die Hände kriegen. Und nur jemand mit ihrem Blut ist in der Lage die Tore zu öffnen." Ich lachte bitter und lehnte mich vor. "Dann habe ich verdammt miese Nachrichten. Leviathan ist auf der Erde, ich habe bereits zwei mal gegen sie gekämpft. Vermutlich rekrutiert sie bereits jede Bestie, die ihr auch nur ansatzweise nützlich ist." Das Weinglas, das Raguel in seiner Hand hielt, zersprang mit einem lauten Klirren und rasch schob ich Zigaretten und Kaffeebecher beiseite, ehe der Alkohol sie aufweichen konnte. Raguel fluchte leise, was ihm bei seinem Vater vermutlich ein paar Minuspunkte einbrachte und entfernte den Wein mit einem kurzen Zauber von seinem Anzug. "Du… was?! Wie ist das möglich? Die Grenzen können unmöglich so schwach geworden sein. Jetzt ist klar, warum ich Aless…" Er sah mich an, die Fäuste geballt und in seinen Augen glühte weißes Feuer. Ich spürte seine Aura, die geballte Macht eines Erzengels und legte eine Hand auf Gladys. "Es ist deine Schuld.", sagte er mit vor Wut bebender Stimme. "Um an den Schlüssel zu kommen, braucht Leviathan das Blut eines reinen Engels. Nur wenige von uns befinden sich auf der Erde, abgesehen von mir, sind es Engel mit einer Aufgabe wie niederes Übel auslöschen oder den Vatikan beschützen. Als ich erfahren habe, dass Alessia verschwunden ist, habe ich überall nach ihr gesucht, aber vergebens. Leviathan muss sie geholt haben, ich habe den Friedhof gesehen, wo ihr gekämpft habt. Ich spürte eine starke, verdorbene Aura und nahm törichterweise an, es müssten die Spuren eures Kampfes sein, Überreste deiner Aura. Doch die Schlange hat sie geholt, Nathaniel Black. Sie braucht das Blut eines Engels und du hast ihr einen wehrlos ausgeliefert. Die unsterbliche Schlange wandelt auf Erden und du hast ihr das Letzte gegeben, dass sie braucht um Tod und Verderben zu entfesseln."
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Rogue Hero
Fantasy"Jedes Land hat so seine Legenden. In jedem Landstrich hatten die einfachen Leute vor etwas anderem Angst. So entstanden Märchen und Legenden über die verschiedensten Wesen. Vampire, Werwölfe, Elfen, Riesen, Kobolde und so weiter. Du kennst diese Ge...