#175

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In letzter Sekunde wich ich der Klinge des Garudas aus und stach nach dem Bauch des Gottes. Und genau wie bei den letzten Malen, glitt die Speerspitze an der steinharten Haut ab und hinterließ lediglich einen winzigen Kratzer. "Verdammte Scheiße!", schrie Jack, der in einem hohen Bogen an mir vorbei segelte und bei der Landung eine Bank in Kleinholz verwandelte. Ich sprang zurück und brachte ein wenig Abstand zwischen mich und die Garuda. Irgendwas musste ich mir einfallen lassen und zwar schnell. Jack rappelte sich auf und rief: "Ich versuche es aus der Luft!" Kaum hatte er den Satz beendet, breitete er seine Flügel aus und stürzte sich auf die Götter. Die Garuda kreischten laut und wollten sich ebenfalls in die Luft schwingen, aber sofort nahmen Emilia und Asami ihre Flügel unter Beschuss. Nun, da sie abgelenkt waren, sprintete ich wieder auf die Kreaturen zu und schaffte es sogar dem einen Garuda einen flachen Schnitt unter dem Knie zu verpassen, ehe ich wieder zurück weichen musste, um einem Schwerthieb zu entgehen. Die Hindu-Götter waren überraschend flink, trotz ihrer imposanten Größe und ihre Haut war fast undurchdringlich, weder mein Speer, noch Jacks Axt hatten mehr als oberflächliche Kratzer hinterlassen, selbst als Asami auf die Viecher geschossen hatte, war nichts passiert, lediglich Flügel und Beine waren verwundbar, heilten aber innerhalb von Sekunden wieder. "Emilia!", rief ich. "Fessel ihre Beine! Asami, halt dich bereit, du musst dich gleich um den Linken kümmern, gib Taio das MG." Dünne Ranken schossen aus den Büschen um uns herum, schlangen sich um die Beine der Götter und wanden sich um sie. Die Garuda kreischten wütend und schlugen nach den Pflanzen, aber für jede Ranke die sie durchtrennten, wuchsen zwei neue, dickere. Es war an der Zeit. "Jack!", rief ich mit einem breiten Grinsen. "Granatwerfer!" Der Dämon landete ein Stück hinter mir, steckte seine Axt weg und während er den Milkor MGL hochriss, schrie er: "FUCK YEAH!" Jack drückte zweimal schnell hintereinander ab und wie in Zeitlupe sah ich die 40mm Granaten an mir vorbei fliegen, konnte genau die Mittelfinger-Sticker erkennen, die Jack auf sie geklebt hatte. Rasend schnell flogen die Geschosse auf die Garuda zu und in dem Moment, als die Granaten auf ihre Brust trafen, gab ich Asami ein Zeichen. Die Kitsune zückte ihr Schwert und rannte los, holte mich schnell ein und stieß sich ab, als die Götter nach hinten stolperten. Ich sah die Flammen, die über die Klinge züngelten, dann war sie in der Rauchwolke verschwunden. Auch ich sprang und breitete meine Flügel aus. Der rechte Garuda war etwas hartnäckiger, denn auch wenn er wankte, weigerte er sich zu fallen. Ich stieß einen wütenden Schrei aus, steigerte die Hitze meiner Klinge immer weiter, ehe ich den Speer mit aller Macht schleuderte. Die goldene Klinge zog eine glühenden Schweif hinter sich her und grub sich tief in die Brust des Garudas, zerfetzte das, durch die Explosion freigelegte Fleisch und durchbohrte sein Herz. Mit einem stummen Schrei und weit aufgerissenen Augen fiel die Kreatur endlich. Ein letztes, gequältes Seufzen drang aus dem blutverschmierten Schnabel des gefallenen Gottes, dann war alles Leben aus ihm gewichen. Als ich den Speer aus seinem Herz zog, kam Asami mit einem breiten Grinsen aus dem Rauch spaziert, schüttelte das Blut von ihrem Schwert und schob es zurück in ihre Scheide. "Das war gar nicht mal so übel", kommentierte ich und ließ das Blut an meinem Speer verdampfen. Dann sagte ich: "Lasst uns weitergehen. Wir haben noch etwa zwanzig Minuten." Wir waren zwar nur noch wenige hundert Meter entfernt, aber die Garuda waren mit Sicherheit nicht die letzte Hürde, die uns erwartete.

Gerade als wir über die Zäune neben der Main Street Station geklettert waren, erklang überraschtes Fauchen und ein Pfeilhagel schoss knapp an uns vorbei, abgefeuert von zwei Dutzend Vampiren mit Bögen, angeführt von einem Rabisu. Sofort riss Taio das MG3 hoch, das er immer noch trug und betätigte den Abzug. Die Salve traf einige der Vampire, die verwundet zu Boden gingen, doch die meisten hatte lediglich einen Bauchschuss oder Ähnliches abbekommen, würden also in wenigen Minuten wieder auf den Beinen sein. Auf mein Zeichen hin zog Emilia ihren Obsidian Dolch und trat mit Asami gemeinsam vor, die Hand auf dem Griff ihres Katanas. Taio ging auf ein Knie, legte das MG wieder an und Nero stellte sich neben ihn, mit gebleckten Zähnen und ausgefahrenen Krallen, ebenso wie Jack, der seine Axt wieder gezogen hatte. Es gab keinen Schlachtruf, ich gab keinen Befehl, wir griffen einfach an, während die Vampire noch dabei waren neue Pfeile auf die Sehnen zu legen. Die ersten Blutsauger fielen, noch ehe sie reagieren konnten, vermutlich waren sie noch sehr jung, kaum älter als zwei Jahre. Ihre Ausrüstung war schlicht, zusammengewürfelte Lederrüstungen, hier und da schusssichere Westen und bewaffnet waren sie lediglich mit Bögen, Schwertern und Messern. Ich verkürzte meinen Speer zu einem Kurzschwert und zog gleichzeitig Gladys und verband Schwerthiebe mit gezielten Schüssen. Kurz sah ich Emilia und Asami, die Rücken an Rücken kämpften und einen Vampir nach dem anderen töteten, während Taio immer wieder kurze Salven abfeuerte. Dann stand ich dem Rabisu gegenüber. Ich riss Gladys hoch und drückte ab, aber das Magazin war alle, also rammte ich die Pistole zurück ins Holster und sprang vor. Der gefallene Engel wich meinem Angriff mit Leichtigkeit aus und zielte auf meinen Hals, doch geschickt lenkte ich den Stich ab. Ich packte den Griff meiner Waffe mit beiden Händen, ließ heiliges Licht in die Klinge fließen und schlug zu. Diesmal sah ich Angst in den Augen des Rabisu, als er zurück wich, seine schwarzen, zerfetzten Flügel ausbreitete und fliehen wollte. Er war bereits einige Meter in der Luft, als ich mit einer kurzen Handbewegung schwarze Ketten aus dem Boden schießen ließ, die den Rabisu zurück rissen. "Nemira! Jetzt!", befahl ich und die Hündin rannte los, biss im Vorbeigehen drei Vampiren den Kopf ab und stürzte sich auf den Rabisu. Für ein paar Sekunden war nur ein Wirbel aus Fell, Zähnen und Federn zu erkennen, dann stand Nemira knurrend über dem zerfetzten Leichnam des Gefallenen. "Hilf Asami und Emilia", rief er ihr zu und warf mich den restlichen Vampiren entgegen. Ich tötete noch drei weitere Blutsauger, als zwei Rabisu um die Ecke eines Hauses kamen, gefolgt von einer Kreatur, die eine derartig verdorbene und gequälte Aura hatte, dass ich fast meine Deckung fallen ließ und die Vampire zurückwichen. "Was zum…", stieß Emilia aus und zog ihren Dolch aus der Brust eines Vampirs. "Ist das ein…" "Ein Einhorn.", hauchte Asami und ließ ihr Schwert ein paar Zentimeter sinken. Keine fünfzig Meter von uns entfernt stand ein Einhorn mit fleckigem, schwarzen Fell, einem langen, spitzen Horn und einem Maul voller gefährlich funkelnder Reißzähne. Seine Augen glühten in einem bedrohlichen Rot und ich spürte seine Mordlust, seinen Hass auf die Welt und den verdrehten Geist dieser Kreatur. "Wie ist das möglich?", fragte Jack, der neben mich getreten war. "Ich habe Legenden darüber gelesen.", murmelte ich und wechselte mein Schwert in die Linke Hand, um Betsy jederzeit ziehen zu können. "Angeblich kann man Einhörner so lange aushungern lassen, bis sie aus purer Verzweiflung sogar Dämonenblut trinken würden. Dadurch entstehen Wesen, die in Konflikt mit sich selber stehen, die alles Leben und besonders ihre eigene Existenz hassen." "Krasser Scheiß.", kommentierte Jack und hob seinen Granatwerfer. "Soll ich das Vieh wegpusten?" "Nein.", erwiderte ich. "Es steht zu nah an der Hauswand, eine Explosion würde das Gebäude einstürzen lassen und uns den Weg versperren." Ich ließ mein Schwert kreisen und machte ein paar Schritte nach vorne. "Emilia, Nemira, kümmert euch um die Rabisu. Jack, du wartest auf mein Kommando, die anderen erledigen die restlichen Vampire." Während ich langsam auf das Einhorn zulief, lockte Emilia mit ein paar gezielten Schüssen die Rabisu von uns weg. Ich dachte darüber nach, was ich über Einhörner wusste, aber selbst bei der Organisation hatte es nur vereinzelte Gerüchte gegeben. Angeblich ließen sie nur reine Jungfrauen an sich ran, aber ich war weder rein noch Jungfrau und das hier war nur noch eine von Wut und Hass zerfressene Bestie. Im Vorbeilaufen hob ich den abgetrennten Arm eines Vampirs auf und warf ihn mit aller Kraft in Richtung der Bestie. "Hey, Glitzerpony!", schrie ich und schleuderte einen Feuerball hinterher. Das Dämoneneinhorn wich geschickt aus und stürmte mit gesenktem Kopf auf mich zu. Ich wartete ab, jeder Muskel in meinem Körper war angespannt und in allerletzter Sekunde tänzelte ich beiseite, zückte eines meiner Kunai und rammte es der Kreatur in die Seite. Doch auch wenn das Gift Wirkung zeigte, schien es das Einhorn lediglich etwas langsamer zu machen. "Jack!", rief ich. "Jetzt!" Der Dämon lachte dreckig, riss den Granatwerfer hoch und schrie: "Burn Motherfucker!" Im letzten Moment sank ich auf ein Knie, und hüllte mich in meine Flügel. Die Explosion rollte zwar wirkungslos über mich hinweg, dennoch spürte ich Schrapnelle und Fleischfetzen, die an meinen Federn abprallten. Als ich wieder aufstand, war das Einhorn nur noch Hackfleisch, alle Vampire waren erledigt und die Rabisu waren tot. Taio lud gerade das MG nach und Asami und Emilia wischten ihre blutverschmierten Waffen an der Kleidung toter Vampire ab. Ich sah mich nach Nemira um, die sich bei ihrem Kampf gegen den Rabisu ein wenig entfernt hatte und nun hechelnd zu uns zurück trabte, mit blutverschmierter Schnauze und einem zufriedenen Ausdruck in den Augen. Ich wollte gerade die anderen zu mir rufen, als die Höllenhündin wie angewurzelt stehen blieb. Ihre Augen weiteten sich und mit einem abgehackten Husten würgte sie einen Schwall Blut hervor. Ich sah den Speer aus fahlem Licht, der aus ihrer Brust ragte, ließ mein Schwert fallen und schlug mit den Flügeln, doch kurz bevor ich sie erreichte, brach Nemira mit einem Winseln zusammen. Ihr Atem ging flach, sofort versuchte ich einen Heilzauber zu wirken, aber er half nicht, immer mehr Blut floß aus ihrer Wunde. Mit letzter Kraft hob Nemira den Kopf, drehte ihn zu mir und sah mich mit traurigen Augen an. Ich tastete ihren Geist, spürte wie sie immer schwächer wurde, als sie noch ein einzelnes Wort hervorbrachte. "Danke." Ihre große Zunge leckte kurz über meine Hand, dann sackte ihr Kopf auf die kalte Erde und alles Leben wich aus ihren Augen. Mit geballten Fäusten erhob ich mich, von oben bis unten voller Blut und rief meinen Speer zu mir. "Das ist ja herzzerreißend.", erklang eine kalte, weibliche Stimme, die sofort Wut in mir aufkochen ließ. Auf der Main Street des Magic Kingdom Park tauchten nun Vampire auf, Rabisu und große Dämonen. Hellion, wie der, den ich in Amsterdam getötet hatte. Und auf einem der Dächer stand eine Frau mit langen, blonden Haaren, gehüllt in eine weiße, ziemlich lädierte Rüstung und mit Flügeln, die schmutzig grau wirkten. Das flammende Schwert in ihrer Hand wirkte matt und kraftlos, aber die blauen Augen der Frau funkelten vor Hass und die arroganten Gesichtszüge hätte ich überall wiedererkannt. Mit einem wutentbrannten Schrei hüllte ich mich in meine tiefschwarze Rüstung, die goldenen Adern darauf pulsierten und Schatten schlangen sich um mein Schwert, als der Engel, den ich am meisten hasste, einen weiteren Lichtspeer beschwor, ein perfektes Ebenbild der Waffe, die Nemira getötet hatte. Der Engel breitete die Flügel aus und erhob sich in die Lüfte. "Wie ich sehe hast du noch immer nicht gelernt, deine Freunde zu beschützen.", höhnte sie. Ich richtete mein Schwert auf den Engel und knurrte: "Eins habe ich gelernt: Ich muss meine Kämpfe beenden. Und diesmal werde ich dich nicht am Leben lassen, Alessia."

Rogue HeroWo Geschichten leben. Entdecke jetzt