#142

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Irritiert sah ich den Gott an. "Ähm... äh...", stammelte ich, was so ziemlich das genaue Gegenteil einer guten Erklärung war. "Baal hat mich hergeschickt, ich sollte einen seiner Offiziere töten..." "Dieser gehörnte Bastard!", fluchte Pan. Der Kerl hat etwa sieben Arenen, in denen er Leute bis zum Tod kämpfen lässt, aber nein, er muss das ausgerechnet in einen Wald verlegen! Wer bist du überhaupt, Junge?" Da ich meine Abstammung und meine schwer definierbare Beziehung zu Emilia nicht mit einem angepissten Waldgott besprechen wollte, der zufälligerweise auch noch ihr Vater war, musste ich mich auf einen Teil der Wahrheit konzentrieren. "Ich bin Nathaniel, der Wirt von Aurus." "Aurus?", fragte Pan mürrisch. "Doch nicht etwa dieses riesige, zündelnde, Kätzchen, dass sich an Sterbliche bindet nur um nicht hier in der Hölle landen? Ich mochte den Kerl noch nie." Zündelndes Kätzchen? Und das von einem Typen mit Ziegenbeinen. "Das ganze basiert übrigens auf Gegenseitigkeit, dämlicher Gänseblümchenknuddler.", kommentierte Aurus, aber irgendwie beschlich mich das Gefühl, es wäre eine schlechte Taktik der Konfliktlösung es dem Gott mitzuteilen, besonders das Wort 'Gänseblümchenknuddler'. "Wie wäre es, wenn wir noch mal von vorne anfangen.", schlug ich vor, erntete dafür aber nur einen wütenden Blick. "Von vorne anfangen? Junge, ich habe einem Hellion mal die Eingeweide ausgerissen, nur weil er auf eine meiner Blumen getreten ist. Erst einmal warten warten wir auf Baal." Pan schnippte mit den Fingern und eine weiße Blume spross zwischen seinen Hufen hervor, wurde wie von einem Windstoß entwurzelt und weggetragen. Und wenn ich mich nicht täuschte, murmelte die Blume vor sich hin. Da Pan keine Anstalten machte etwas zu sagen, humpelte ich rüber zum Schnitzelkopfer, setzte mich und zündete mir endlich eine Zigarette an. Mit ein leisen, unangenehmen Knirschen schoben sich die restlichen Knochen in ihre ursprüngliche Position und auch die großflächige Fleischwunde auf meiner Brust war schon fast verheilt. Gerade als ich befürchtete Pan würde auf mich losgehen, allein um das unangenehme Schweigen zu unterbrechen, tauchten Baal, Winston und meine Freunde in einer Rauchwolke auf. "Was sollte das, Pan?", donnerte der Fürst. "Du weißt, wie ich das hasse! Gerade noch saß ich gemütlich da, trank Tee und sah dabei zu wie dieser Junge einen meiner fähigsten Krieger in seine Einzelteile zerlegt, da taucht eine deiner schreienden Blumen auf und überzieht mich mit einer Schimpftirade!" "Und die war noch viel zu harmlos!", knurrte Pan. "Einige der Bäume waren schon alt, als der Sohn von diesem aufgeblasenen Wichser da oben ans Kreuz genagelt wurde!" Dämon und Gott standen sich gegenüber, von beiden ging eine furchteinflößende Aura aus. Aber meine Aufmerksamkeit galt Emilia, die einen Schritt zurück gemacht hatte und Pan anstarrte. Rasch stand ich auf und ging rüber zu ihr. "Das...", murmelte sie. "Ist das?" Nun bemerkte Pan Emilia. Augenblicklich wurde sein Ausdruck ein wenig weicher und er ließ Baal links liegen. "Emilia...", sagte er mit sanfter Stimme. "Du bist deiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten." "Du kennst diese Halbe?", fragte Baal. "Sie... sie ist meine Tochter.", erwiderte der Gott mit brüchiger Stimme. Die Cambion brachte immer noch kein Wort hervor, also klatschte ich in die Hände. "Ich glaube, hier ist es an der Zeit für ein Gespräch. Baal, wie wäre es, wenn Ihr mit Jack, Winston und Joe zurück kehrt zu Eurem Palast, ich bleibe mit Emilia und Nemira hier und komme später nach. Und danach führt Ihr uns zu Azazels Werkstatt. Der Fürst sah erst mich an, dann Pan, Emilia und mich. Schließlich stieß Joe ihn an. "Komm schon, Vater. Ich glaube, die beide brauchen diesen Moment." Baal zögerte einen Moment, dann sagte er: "Nun gut. Aber danach werden wir reden. Unter anderem darüber", richtete er das Wort an mich. "warum der Wirt von Aurus eine so mächtige Klinge besitzt." Der Fürst und die anderen verschwanden und ich zog mich taktvoll zurück, bis ich neben Nemira stand. Emilia starrte Pan immer noch an, dann machte sie drei schnelle Schritte und verpasste dem Gott einen saftigen Kinnhaken, der ihn nach hinten stolpern ließ. Dann trat sie ihm gegen Brustkorb. Meine Fresse, im Vergleich dazu war mein erstes Treffen mit Luzifer das reinste Kaffeekränzchen gewesen. Schwer atmend stand die Cambion vor Pan, der es irgendwie geschafft hatte auf den Beinen zu bleiben. "Das habe ich vermutlich verdient.", murmelte der Gott und rieb sich das Kinn. "Vermutlich? VERMUTLICH?", schrie Emilia, deren Augen zu leuchten schienen. "Verdammt, du hast meine Mutter im Stich gelassen! Wärst du damals da gewesen, wäre sie vielleicht noch am Leben! Du hättest sie retten können!" Pans Augen wurden traurig. "Emilia, du musst mir glauben, ich habe Felicitas geliebt. Aber ich konnte nicht bei ihr sein, als... es geschah. Es war mir nicht erlaubt." "Wie meinst du das?", fragte Emilia wütend. Ich vergrub meine Hand in Nemiras Fell und begann sie zu kraulen. Am liebsten hätte ich mich gesetzt, aber für den Fall, dass Emilia nochmal auf den Gott losging, sollte ich wohl dazwischen gehen. Pan machte eine vage Handbewegung und Wurzeln wuchsen empor, bis sie zwei Stühle geformt hatten. Klar, ich wurde geflissentlich ignoriert. Der Gott setzte sich, doch Emilia blieb mit verschränkten Armen stehen. "Was meintest du damit, dass es dir nicht ERLAUBT war?" "Es ist kompliziert. Weißt du, als ich noch auf der Erde wandelte, war ich der Hüter jedes einzelnen Baumes. Und es gab so viele, so viele Bäume um die ich mich kümmern konnte, so viele Bäume, deren Gesellschaft mir so viel lieber war als die der anderen Götter oder der Menschen. Aber diese dämlichen Primaten reduzierten den Baumbestand, um Waffen herzustellen und ähnlichen Schwachsinn um in ihren lächerlichen Kriegen zu kämpfen und meine Wälder mit ihrem Blut zu tränken. Und als Gott schließlich zurückkehrte, wurde ich in die Hölle geworfen, wie einst Luzifer selbst. Und das, obwohl ich nie einem Unschuldigen etwas angetan habe. Einfach weil Er keine anderen Götter dulden konnte." Wenn es mir nicht schon vorher klar gewesen war, dann spätestens jetzt: Gott hatte einen Gotteskomplex. Irgendwie paradox, aber der Kerl musste ein in der Geschichte des Universums einzigartiges Ego haben. Obwohl, irgendwie offensichtlich, wenn man eine ganze Welt erschafft, in der alles intelligente Leben einen anbeten soll. Klassischer Narzissmus. Eher ich mir das Hirn weiter über den Schöpfer des Universums und seine psychischen Macken zermartern konnte, fuhr Pan mit seiner Erzählung fort. "Das Leben hier unten war... nun ja, die Hölle. All die Pflanzen, all das Leben, war für mich unerreichbar, ich war wie ein Fisch an Land. Luzifer bemerkte mein Leid und er beschloss mir zu helfen. Er fing an Bäume in der Hölle pflanzen zu lassen, allein schon um diesen Ort etwas erträglicher zu machen. Aber das war nicht dasselbe, ihnen fehlte die Sonne, die frische Luft. Und schließlich gewährte mir Luzifer eine Nacht pro Jahr, die ich auf der Erde verbringen durfte. Natürlich ein wenig getarnt. Wegen meinen Hörnern war zwar nichts zu machen, aber der Rest meines Körpers sah menschlich aus." "Und in einer dieser Nächte hast du meine Mutter kennengelernt?", fragte Emilia, die inzwischen ein wenig ruhiger wirkte. "Genau.", antwortete der Gott. "Ich traf sie in einem Waldstück. Sie saß einfach da, den Rücken einen Baum gelehnt. Kein Buch, kein Skizzenbuch zum Zeichnen. Einfach eine wunderschöne Frau, die den Lauten der Natur lauschte. Die Einzelheiten erspare ich dir, aber neun Monate später wurdest du geboren. Wieder half mir Luzifer. Das war mein zweiter Gefallen. Er schaffte es, das ganze vor den Engel zu vertuschen, half mir dich und deine Mutter zu verstecken. Sie verliebte sich neu, was ich ihr niemals vorgeworfen habe, immerhin könnten wir uns nur einmal im Jahr sehen. Dennoch durfte ich dich einmal im Jahr sehen. Vermutlich erinnerst du dich kaum, immerhin warst du noch ein kleines Kind." "Was ist mit der Nacht als meine Familie getötet wurde?", hakte Emilia nach, wobei ihre Stimme ein wenig zitterte. Pans Ton wurde nun deutlich düsterer. "Ich hatte euch erst eine Woche zuvor besucht, deshalb verbot mir Luzifer dich in Sicherheit zu bringen. Er meinte, du müsstest dich selbst durchschlagen, aber er hat immer wider dafür gesorgt, das mordlustige Dämonen sich von dir fernhielten. Als deine Mutter starb, bat ich Luzifer um einen dritten Gefallen. Sie hatte ein Kind mit mir gezeugt, für den Himmel gelte ich als Dämon, also hätte sie auf den Feldern der Bestrafung landen müssen. Aber Luzifer brachte die Seele deiner Mutter zu mir und ich... ich sang für deine Mutter. Das erste Mal seit Jahrhunderten sang ich, ließ ihre Seele in einen Hibiskus fließen, die Lieblingsblume deiner Mutter. Diese Blume pflanzte ich schließlich ein, in einem versteckten Winkel der Hölle, wo sie sicher ist vor allen Gefahren." Emilias Augen wurden groß und ich sah, wie eine Träne ihre Wange herabrollte und glaubte einen kleinen Hoffnungsschimmer zu erkennen. "Du meinst, sie ist... Könnte ich...?" Pan nickte langsam. "Ja, du hast meine Fähigkeiten geerbt. Es wird dich viel Kraft kosten, aber es ist möglich. Du wirst ein letztes Mal mit deiner Mutter sprechen können."

Rogue HeroWo Geschichten leben. Entdecke jetzt