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Fast gleichzeitig schoben Kiara und ich unsere Teller in die Mitte des Tisches und sahen Emilia an. Diese lachte nur. "Habt ihr etwa immer noch Hunger?" Synchron nickten wir. "Das kann doch nicht sein, ihr habt knapp ein Dutzend Spieleier mit Speck verputzt." Was Essen angeht hatte ich in Kiara eine Seelenverwandte gefunden. Grinsend sah ich Emilia an und setzte kurz darauf einen flehenden Blick auf. "Ist ja gut", sagte sie und drehte sich um. "Du guckst wie eine Babyrobbe. Das ist unfair." Seufzend schlug sie Eier in die Pfanne. Nachdem Leonie und Balthasar verschwunden waren, hatte ich uns zurück zur Villa, wo Kiara und Nuala sich sofort in Nualas Zimmer zurück gezogen hatten. Eric und ich hatten den anderen berichtet, was geschehen war, nur dass Leonie eine Wirtin eines uralten Gottes war hatte ich verschwiegen. Der Schock war groß gewesen. "Also sind sie tatsächlich in Kuba.", hatte Damon grimmig gesagt. "Verdammt, das ist die erste brauchbare Spur." Emilia war eher über die Tatsache, dass ich das Licht Gottes einsetzen konnte, verblüfft gewesen. Immerhin wusste sie was ich war. Wer ich war. Dennoch hatte sie nichts gesagt, wofür ich ihr dankbar war. Die anderen würden es früher oder später eh erfahren. Kurz nach dem Gespräch hatte ich mich schlafen gelegt und bis zum Vormittag geschlafen. Ich schlang die Spiegeleier rasch runter und stand mit einem gemurmelten "Danke" auf. Ohne ein weiteres Wort ging ich auf mein neues, recht spartanisch eingerichtetes, Zimmer. Ich zog Nadel und Faden aus einer Innentasche meines Mantel, dann flickte ich das Loch, dass Kiaras Eiszapfen hinterlassen hatte. Zum Glück bewahrte mich meine adaptive Regenration, wie ich die Fähigkeit genannt hatte, davor, mich mehr als einmal pro Finger zu stechen. Das konnte durchaus nützlich sein, vorausgesetzt, eine böse Stiefmutter sollte versuchen mich in einen hundertjährigen Schlaf zu versetzen. Stolz betrachtete ich mein Werk, dann schnappte ich mir mein Feuerzeug und mein halbvolles Päckchen Zigaretten. Ich musste Aurus zum Reden bringen, seit dem Kampf gegen Leonie hatte der Gott kein Wort mehr gesprochen. Aber vorher brauchte ich eine Kippe. Neugierig sah ich zum Fenster. Kurzerhand öffnete ich es und stieg auf die Fensterbank. Während meiner Zeit an der Akademie war ich nachts oft aufs Dach geklettert, einfach um die Aussicht zu genießen und den neugierigen Blicken meiner Mitschüler zu entgehen. Eine schöne Angewohnheit wie ich fand. Geschickt erklomm ich die Wand, nutzte kleine Risse um Halt zu finden. Eine Minute später saß auf auf dem Dach, den Rücken an den Schornstein gelehnt. In einiger Entfernung breitete sich Havanna wie ein Flickenteppich aus, rechts davon das Meer. Nachdenklich zündete ich mir eine Zigarette an, als hinter mir ein Knirschen zu hören war. Unwillkürlich schoss meine Hand zu der Stelle, wo normalerweise ich mein Messer trug. Die Ereignisse der letzten Wochen hatten mich mehr verändert als gedacht. Schüchtern kam Kiara um den Schornstein herum, wobei sie an dem weißen Shirt nestelte, das sie nun trug. Mein Shirt. Warum trugen eigentlich immer alle meine Klamotten? Irgendwann würde ich noch halbnackt kämpfen müssen. "Nathaniel?", fragte Kiara schüchtern. "Nenn mich ruhig Nath.", erwiderte ich freundlich und rückte ein Stück. "Nath.", flüsterte Kiara probeweise, schien sich den Klang einzuprägen und setzte sich zu mir. Lächelnd bot ich ihr eine Zigarette an, die sie mit einem zaghaften Lächeln annahm. Nachdem ich ihr Feuer gegeben hatte sagte sie zögerlich: "Ich möchte dich um etwas bitten." "Nur raus damit." Kiara machte eine kurze Pause. "Ich will mich an SOL rächen." "Dann bist Du hier am perfekten Ort." Langsam pustete Kiara den Rauch in Richtung Havanna. "Du verstehst nicht. Ich werde die Männer töten, die an mir rumexperimentiert haben." Ihre Stimme wurde leiser. "Du kannst dir nicht vorstellen was sie mir angetan haben." Langsam drehte sie sich um und zog sich das Shirt über den Kopf. Bei dem Anblick der sich mir bot sog ich scharf Luft durch die Zähne. Große, hässliche Brandnarben zogen sich quer über Hüfte, Rücken und Schultern der Magierin. Vorsichtig streckte ich die Hand aus und strich über die Narben. Unter meiner Berührung zuckte Kiara kurz zusammen. "Wie ist das passiert?", fragte ich. Nur mit Mühe konnte ich verhindern, dass meine Stimme vor Wut bebte. "Sie haben niedere Dämonen beschworen um meine Fähigkeiten zu verstärken. Feuerdämonen, die sie danach getötet haben. Damals hatte ich meine Kräfte noch nicht so gut im Griff wie heute, das Höllenfeuer verwundete mich schwer, die Narben tun bis zum heutigen Tag weh." Kiara schluchzte leise, dann drehte sie sich um und warf sich in meine Arme. Kurz fragte ich mich was sie in mir sah. Dann umarmte ich sie, wobei mein Blick die Siegel auf meinen Armen streifte. Ich konnte Magie kopieren, solange ich sie mal gesehen hatte, oder sie gegen mich eingesetzt worden war. Vielleicht konnte ich ja... Ich ließ den Strom der Magie durch mich fließen, konzentrierte mich auf die Narben und auf das was der Zauber hoffentlich bewirken würde. Stellte mir vor, wie das Narbengewebe sich in gesundes Fleisch verwandelte und sich neue Haut bildete. Ein grüner Schimmer erschien um meine Hände, wurde intensiver, drang in ihre Haut ein und erstarb schließlich. Überrascht keuchte Kiara auf. Da wo eben noch Narben gewesen waren, war nun gesundes Fleisch und makellose Haut. Ungläubig versuchte die junge Frau eine Blick auf ihren Rücken zu werfen. "Danke!", sagte sie mit Tränen in den Augen. "Aber wie hast du das gemacht?" Ich grinste verlegen. "Emilia hat mal versucht ein Loch in meiner Brust zu flicken, dass das Flammenschwert eines Engels hinterlassen hat. Lustige Geschichte. Ein Teil von mir muss sich wohl die Funktionsweise des Zaubers eingeprägt haben." Kiara wollte etwas erwidern, als jemand meinen Namen rief. "Nath! Schnell! Zachai..." Emilia kam um den Schornstein und blieb abrupt stehen. Mit einem ungläubigen Blick sah sie mich und Kiara an, deren Shirt immer noch neben ihr auf dem Dach lag. "Das kannst du mir später erklären.", sagte Emilia in einem Tonfall bei dem selbst ein Schneeman gefroren hätte. Dann wurde ihre Stimme plötzlich weicher. "Komm schnell. Zachaire ist plötzlich im Wohnzimmer aufgetaucht, er ist schwer verletzt und sagt, dass er dich sprechen muss. Er sagt es geht um deine Mutter."

Rogue HeroWo Geschichten leben. Entdecke jetzt