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Es war bereits weit nach Mitternacht, als ich mich nach draußen schlich. Emilia lag in meinem Bett, völlig entkräftet und schlief tief und fest. Im Wohnzimmer war lediglich Jack gewesen, der neben seiner Axt, dem Granatwerfer und einem leeren Six-pack selig schlummerte und schnarchte wie ein Trupp Holzfäller. Obwohl ich schwere Stiefel trug, bewegte ich mich so leise wie eine Katze. Erst als ich ein gutes Stück von der Veranda entfernt war, wurde ich schneller. Ich hatte keinen Plan, also würde ich eben improvisieren müssen. Ich hätte zwar Nero oder Jasmin um Hilfe bitten können, oder sogar Jack, aber das hier musste ich alleine tun, die anderen wären niemals damit einverstanden gewesen. Ich brauchte nicht lange, höchstens eine halbe Stunde, dann hatte ich eine große Lichtung erreicht. Der Mond war hell heute Nacht, er schien mich vorwurfsvoll anzustrahlen, als wüsste er genau, warum ich hier war. Angestrengt dachte ich an die Bibliothek der Akademie zurück, an die vielen Bücher, die ich in der Zeit dort gelesen hatte und versuchte mich an eines zu erinnern, in dem gefährliche, schwarzmagische Rieten beschrieben worden waren. Aber natürlich waren solche Bücher nicht für Schüler zugänglich gewesen. Na gut, dann würde ich eben auf familiäre Bande oder so vertrauen. Sollte ich mich hinknien? Quatsch, ich wollte ja nicht mit dem alten Mann da oben reden. Außerdem würde ich mir nur meine Jeans schmutzig machen. "Hey", sagte ich zögerlich und versuchte mir nicht wie der letzte Idiot vorzukommen. "Ich weiß nicht wie ich anfangen soll, ich weiß nicht mal, ob das funktioniert und du mich hörst. Leider haben wir letztes Mal nicht unsere Handynummern ausgetauscht und ich bezweifle, dass du ein Fan von sozialen Netzwerken bist. Aber ich brauche Hilfe, wenn ich Leviathan aufhalten will. Keine Ahnung wie man dich beschwört, oder ob das überhaupt geht. Mich würde es extrem stören, wenn man mich beschwören würde, während ich gerade unter der Dusche stehe. Ich hoffe, du hörst mich, du bist der Einzige, der mir jetzt noch helfen kann…" Ich stockte, ehe ich mich dazu überwinden konnte, den Satz zu beenden. "Vater." Stille. War ja zu erwarten, schließlich war er schon die letzten 18 Jahre nicht da gewesen. Ich wartete noch ein paar Sekunden, dann drehte ich mich mit einem wütenden Schnauben um. Da sah ich ihn. Luzifer. Der gefallene Engel lehnte an einem Baum und musterte mich mit einem amüsierten Gesichtsausdruck. "Luzifer reicht vollkommen.", meinte er. "Ich glaube kaum, dass ich eine brauchbare Vaterfigur abgebe." Ein mehr als peinliches Schweigen trat ein, ich konnte fast die Grillen zirpen hören, doch stattdessen drang nur der Ruf einer ziemlich heiseren Eule an meine Ohren. "Du brauchst also meine Hilfe.", brach der Teufel schließlich das Schweigen. "Worum geht es?" Ich nahm mir einen Moment Zeit, um meine Gedanken zu sammeln, ehe ich antwortete: "Leviathan. Bei unserem ersten Kampf hat sie mein Herz durchbohrt und dabei ein Siegel in meinem Inneren blockiert. Ich kann meine Kräfte kaum noch benutzen, nur noch mit höchster Konzentration oder wenn meine Emotionen die Kontrolle übernehmen. Und das ist gefährlich. Den letzten Kampf habe ich nur überlebt, weil ich unsterblich war und es Leviathan in den Kram gepasst hat. " Luzifer sah mich lange an, dann schüttelte er den Kopf. "Ich kann nicht einfach dein Siegel reparieren, Michael würde durchdrehen, mein Bruder ist jetzt schon gereizt. Ich habe es dir schon auf diesem Friedhof gesagt, mir ist es untersagt auf der Erde stärkere Magie zu wirken." Ich wollte ihm eine wütende Antwort entgegenpfeffern, besann mich aber eines Besseren. Dann musste ich das eben anders angehen. "Na gut, Luzifer.", sagte ich. "Ich verstehe, dass du es nicht einfach so tun kannst. Aber wie wäre es mit einem Deal?" Luzifer horchte auf und ein schelmisches Grinsen schlich sich auf seine Lippen. "Du, Nathaniel Black, willst also eine Pakt mit dem Teufel schließen?" Entschlossen nickte ich und fragte: "Was verlangst du für das Lösen der Blockade?" Luzifer ging langsam auf und ab und schien nachzudenken. "Wenn ich dir deine Macht zurückgeben kann, hast du eine realistische Chance. Aber zum einen hat sie bereits einige ihrer stärkeren Hauptmänner auf die Erde geschmuggelt, was gegen jegliches Abkommen mit dem Himmel verstößt. Und wenn du den Drachen des Westens besiegst, wird in der Hölle, nun ja… die Hölle los sein. Es wird ein Kampf um Leviathans Posten ausbrechen, ein Kampf der in einem Bürgerkrieg gipfeln könnte." "Du willst meine Hilfe dabei.", stellte ich fest. "Ich soll diese Hauptmänner töten und dir in der Hölle helfen, die Lage zu stabilisieren." "Kluges Köpfchen.", meinte Luzifer. "Aber es geht etwas darüber hinaus. Die Aufträge auf der Erde werden nie lange dauern, die meiste Zeit wirst du in der Hölle sein. Ich habe schon viele Pakte geschlossen, von den meisten forderte ich ihre Seele. Doch von dir nicht. Wenn ich das blockierte Siegel in dir wieder richte, wirst du mir dienen. Ein Jahr und einen Tag lang, von dem Moment an, in dem du Leviathan besiegst. Niemand darf es erfahren, du wirst dich nicht verabschieden, ist Leviathan tot oder in Ketten gelegt, wirst du umgehend in die Hölle kommen. Bist du mit den Bedingungen einverstanden?" Sprachlos ballte ich die Fäuste. "Ist das dein verdammter Ernst?", knurrte ich. Satan nickte. "Nur so ist es möglich. Ich weiß, was du für deine Freunde getan hast. Was du für die Tochter Pans getan hast. Was würde sie wohl tun, wenn sie erfahren würde, wo du bist?" "Sie würde mir folgen.", erwiderte ich widerwillig. Langsam begriff ich, worauf er hinaus wollte. "Genau", fuhr Luzifer fort. "Sie würde einen Weg finden, um in die Hölle zu gelangen, man könnte sie gefangen nehmen und versuchen, dich zu erpressen. Ebenso deine anderen Freunde, nur Jack wird es wissen, aber sobald der Pakt besiegelt ist und du in der Hölle bist, wird er einen Schwur leisten." Meine Gedanken rasten, ich suchte nach irgendeinem Schlupfloch, aber Luzifer hatte Recht. Nur so konnte ich Emilia beschützen und eine andere Wahl hatte ich nicht. Gelang es mir nicht, Leviathan zu stoppen, würde es sowieso nichts mehr zu beschützen geben. Ich schluckte schwer, dann straffte ich die Schultern und sah Luzifer fest in die Augen. "Ich akzeptiere deine Bedingungen. Wie läuft das Ganze ab?" Der gefallene Engel schien einen Moment lang überrascht zu sein, er hatte wohl mit mehr Gegenwehr meinerseits gerechnet. "Früher habe ich einen Vertrag vorbereitet und mit Blut unterschreiben lassen, aber das ist ziemlich altmodisch. Außerdem bist du mein Sohn. Also wirst du einfach einen Schwur leisten und einige Tropfen Blut vergießen, um ihn bindend zu machen." Ich überlegte einen Moment und legte mir die Worte zurecht, dann räusperte ich mich. "Ich, Nathaniel Black schwöre, meinem Vater, Luzifer Morgenstern, dem Lichtbringer und Satan ein Jahr und einen Tag lang zu dienen, sofern er seinen Teil des Paktes erfüllt und meine Macht wiederherstellt. Mein Dienst beginnt, sobald ich Leviathan, die Herrin des Westens, aufgehalten habe. Solange ich Luzifer diene, werde ich im Dunkeln arbeiten, seine Befehle befolgen und mein altes Leben hinter mir lassen. Das schwöre ich bei dem alten Gott, den Neuen und bei meinem Blut." Hey, für einen improvisierten Schwur war das gar nicht mal so übel gewesen. Ich war im Begriff mein Messer zu ziehen, überlegte es mir aber anders. Es war nie die Rede davon gewesen, wie ich das Blut vergießen musste und dieser ganze Pakt missfiel mir, das durfte Luzifer ruhig spüren. Kurzerhand biss ich mir fest in die Wange und spürte sofort, wie Blut in meinem Mund floss. Ich wartete ein paar Sekunden, dann spuckte ich einen großen Batzen Blut aus. Ein kurzer, kräftiger Wind kam auf und das Rascheln der Bäume klang wie das Wispern eines vielköpfigen Wesens. Doch ehe ich etwas verstehen konnte, erstarb der Wind und Luzifer klatschte in die Hände. "Nun denn", sagte er mit ernster Stimme. "Mit einem Pakt, der mit Blut besiegelt wurde, ist nicht zu spaßen. Leg dich auf den Rücken." Ich wollte protestieren, dass der Waldboden unbequem und feucht sei, als Luzifer mit den Fingern schnippte und eine schlichte Arztliege erschien. "T-Shirt aus.", wies Luzifer mich an und einen Augenblick später lag ich mit nacktem Oberkörper auf der Liege, während Luzifer mit den Knöcheln knackte. "Das könnte jetzt ein wenig unangenehm werden.", meinte er mit einem scheinheiligen Lächeln und begann seine, nun leicht schimmernde und durchscheinende Hand in meinen Brustkorb zu schieben. Zischend sog ich Luft durch meine Zähne und krallte mich in den Kunstlederbezug der Liege. "Hast du immer so kalte Hände?", brachte ich mühsam hervor. "Verdammt, du wärst ein beschissener Frauenarzt." Und ein mieser Proktologe, aber das sagte ich nicht, zu sehr war ich damit beschäftigt, still zu halten und Luzifer keinen Kinnhaken zu verpassen. "Was haben wir denn hier?", fragte er interessiert und zog seine Hand aus meiner Brust. Zwischen Zeigefinger und Daumen hielt er eine Kugel. Trotz der Schmerzen war ich neugierig, Luzifer hatte weder meine Haut verletzt, noch hatte er Blut an der Hand. "Da müsste noch ne Zweite sein.", knurrte ich. "Hat mir Leonie verpasst." Achtlos warf Luzifer das Projektil beiseite und versenkte seine Hand wieder bis zum Handgelenk in meiner Brust. Kurz darauf warf er die zweite Kugel fort. "In der Bauchregion sollten auch noch zwei sein.", keuchte ich. "Kriegst du die auch raus?" Satan verdrehte die Augen und keine zehn Sekunden später war mein Körper bleifrei. "Jetzt kommt das Wichtigste.", murmelte Satan und bewegte seine Hand in Richtung meines Herzens. Die Schmerzen wurden immer schlimmer und ich befürchtete schon, ich könne in Ohnmacht fallen. Fuck, wieso konnte ich diesen Schmerz nicht einfach ausblenden? Ich hätte ja Aurus gefragt, aber der Gott sprach seit Tagen nicht mehr mit mir, auch wenn ich seine miese Laune deutlich spüren konnte. Außerdem wäre ich zu kaum mehr als einem Winseln zustande gewesen, während ich spürte, wie Luzifers Finger auf mein Herz stießen und etwas packten. Er runzelte die Stirn und stützte sich mit einer Hand auf der Liege ab, dann zog er kräftig. Es fühlte sich an als zöge er einen Splitter aus meinem Fleisch, nur dass dieser Splitter aus Säure zu bestehen schien, eiskalt war und gleichzeitig zu brennen schien. Mit einem Ruck riss Luzifer seine Hand aus meiner Brust und nun konnte ich nicht mehr anders und schrie auf. Doch kaum war der fingerlange Eiszapfen, den Luzifer neugierig betrachtete, aus meiner Brust, hatte ich wieder die Kontrolle. Ich blockierte den Schmerz und setzte mich schwer atmend auf. "Leviathan hat das in mir stecken lassen?", fragte ich überrascht. Luzifer nickte. "Es hat genau in deinem Herzen gesteckt, ein Wunder, dass du überhaupt in der Lage warst, zu kämpfen." Er ließ den Eiszapfen fallen und sah mich an. "Wie sieht's aus? Fühlst du dich anders?" Ich zog mein Shirt wieder an, stand auf und ließ die Schultern rollen. Dann hob ich meinen Arm, streckte meinen Geist aus und tastete nach der Magie um mich herum. Ein euphorisches Gefühl überkam mich, als ich mühelos in den Strom eintauchen konnte. Kleine Funken tanzten über meine Fingerspitzen, dann schoss ein gewaltiger Blitz aus meiner Handfläche und ließ einen Baum in winzig kleine Splitter zerbersten. Unwillkürlich grinste ich und breitete meine Flügel aus. Das Gefühl der kühlen Nachtluft, die durch sie hindurch strich, war einfach unbeschreiblich, dieses Gefühl der Freiheit und der Kraft. Frische Energie strömte durch meinen Körper, ich fühlte mich als könne ich Bäume ausreißen. Naja, streng genommen hatte ich das die ganze Zeit gekonnt, aber mir fiel keine passendere Metapher ein. Zufrieden faltete ich meine Flügel wieder zusammen und lächelte Luzifer grimmig an. "Du hast deinen Teil der Abmachung erfüllt. Jetzt ist es an der Zeit, dass ich Leviathan in den Arsch trete." Ich wollte mich schon umdrehen, als Luzifer rief: "Warte! Es gibt noch eine Sache…" Ich drehte mich um und sah ihn fragend an. "Bathasar.", fuhr der gefallene Engel fort und seine Stimme hatte einen traurigen Klang. Ich sah ihm in die Augen, die plötzlich nicht mehr strahlten und aus denen jegliche Schalkhaftigkeit gewichen war. Mit einem Mal sah ich all das Leid und den Kummer, der sich über all die Jahrhunderte hinweg angesammelt hatte. "Das gehört nicht zu unserem Pakt", fuhr Luzifer fort. "Aber ich möchte doch um etwas bitten, von Vater zu Sohn. Ich weiß, ich habe nicht das Recht dazu, aber wenn sich dir die Gelegnheit bietet Balthasar zu töten... Verschone ihn. Er ist überheblich, arrogant und grausam, aber er ist mein Sohn. Er ist in einen inneren Kampf verstrickt, als Kind eines Engels und einer Dämonin. Sein Schicksal ist hart und er hat Fehler gemacht, dir und denen, die du liebst wehgetan, aber er ist neben dir das Einzige, was ich zu meiner Familie zählen kann. Also bitte ich dich: Überlass seine Bestrafung mir und ich verspreche, dass er nie wieder einen Fuß auf die Erde setzen wird." Luzifers Worte hatten mir die Sprache verschlagen, ich hätte nie gedacht, dass der König der Hölle überhaupt solche Gefühle empfinden konnte. Hatte meine Mutter ebenfalls eine solche Seite an ihm hervorbringen können? Meine Mutter… Bald würde ich Luzifer dienen, aber davor musste ich noch etwas erledigen, so schnell wie möglich. Luzifer sah mich immer noch mit diesem gebrochenen Blick an und wartete auf meine Antwort. "Gut.", meinte ich schließlich. "Ich werde Balthasar die Chance geben, sich zu ergeben. Sollte er das aber ausschlagen, habe ich keine andere Wahl." Er nickte knapp. "Das ist nur fair." Satan wandte sich um und trat in die Schatten. Kurz bevor er verschwunden war, drehte er nochmal den Kopf in meine Richtung und sagte: "Ich wünsche dir viel Glück. Deine Mutter wäre stolz auf dich."

Rogue HeroWo Geschichten leben. Entdecke jetzt